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Am Large Hadron Collider prallen Protonen aufeinander – seit zwei Monaten mit bisher unerreichter Energie. Aktuelle Ergebnisse wurden bei einer Konferenz in Wien präsentiert.

Illu.: picturedesk.com / Science Photo Library

Dunkle Materie, Supersymmetrie, Pentaquarks – wer sich dieser Tage im Arkadenhof der Universität Wien aufhält, kann fundamentale Begriffe der Physik kaum überhören. Grund dafür ist die größte Teilchenphysikkonferenz des Jahres, zu der sich von 22. bis 29. Juli rund 750 Physiker in Wien aufhalten. Das Highlight der European Physical Society Conference on High Energy Physics war die Präsentation neuer Resultate vom Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Kernforschungszentrum Cern, der seit zwei Monaten mit bisher unerreichter Energie in Betrieb ist.

Nach dem zweijährigen Shut-down zur Aufrüstung kollidieren am LHC nun Protonen mit einer Energie von 13 Teraelektronenvolt (TeV). Das ist vier Billionen Mal so viel wie die Energie eines Teilchens violetten Lichts. Zuvor wurden Kollisionen bei acht TeV erreicht. Während die Physiker für die erste Laufzeit des LHC ein klares Ziel einte – das Higgs-Teilchen zu finden -, ist die Zielsetzung bei der zweiten Laufzeit wesentlich unklarer. Und uneinheitlicher. Das schlägt sich auch bei den Diskussionen der Physiker bei der Wiener Konferenz nieder: Manche erhoffen sich experimentelle Indizien zur relativ unerklärten Dunklen Materie, die zwar nicht direkt sichtbar ist, aber beobachtbare Konsequenzen hat. Andere meinen wiederum, dass eine Maschine wie der LHC gar nicht dafür geeignet ist, Dunkle Materie zu erforschen: Möglicherweise besteht sie aus Teilchen, die dort weder produziert noch nachgewiesen werden können.

Erste Ergebnisse

Auf den ersten Blick erscheinen die Daten der ersten beiden Monate nach dem Neustart wenig spektakulär: Wie Cern-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer bekanntgab, wurden bislang vor allem bereits bekannte Teilchen detektiert. "Wenn man sich große neue Ergebnisse vom Neustart erwartet, ist das etwas zu früh", sagte Heuer.

Auf den zweiten Blick sind allein schon diese Ergebnisse beachtlich: Denn durch den Nachweis bereits bekannter Teilchen konnte gezeigt werden, dass der Beschleuniger nach der langen Umbauphase wieder planmäßig funktioniert und Kollisionen mit höherer Energie produziert werden können und auch dass Detektionen präzise möglich sind. Ein Teilchen, das bisher noch nicht wieder nachgewiesen werden konnte, ist das Higgs-Boson. Entdeckt wurde das Teilchen, das allen anderen Elementarteilchen Masse verleiht, 2012 am Cern. Für seine Vorhersage erhielten Peter Higgs und François Englert 2013 den Nobelpreis. "Wir sind sicher, wir werden es wieder finden, wir brauchen nur noch etwas Zeit", zeigte sich Heuer optimistisch.

Doch der Neustart am Cern brachte offenbar auch eine bisher neue Entdeckung: Pentaquarks. Vor zwei Wochen wurde die Entdeckung dieses Zustands von fünf Quarks in Physical Review Letters publiziert (der STANDARD berichtete), und sie wurde bei der Konferenz, die vom Institut für Hochenergiephysik und vom Stefan-Meyer-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Technischen Universität Wien und der Universität Wien ausgetragen wurde, diskutiert. Bisherige Meldungen zur Entdeckung von Pentaquarks wurden nachträglich stets stark bezweifelt. Diesmal dürfte der Nachweis des exotischen Zustands, in dem vier Quarks und ein Antiquark gebunden sind, aber tatsächlich gelungen sein.

Bisher ging es bei den Experimenten am Cern vor allem darum, den experimentellen Nachweis des Standardmodells der Teilchenphysik, das alle elementaren Bausteine der Materie zusammenfasst, zu erbringen. Mit dem Higgs-Teilchen ist das letzte Puzzlestück gefunden worden – aber es zeigt sich, dass das Standardmodell der Teilchenphysik noch keine Weltformel ist, und offene Fragen bleiben bestehen: Woraus bestehen Dunkle Materie und Dunkle Energie, aus denen sich der Großteil des Universums zusammensetzt? Gibt es ein oder mehrere Higgs-Teilchen? Wie lässt sich die Struktur des Vakuums beschreiben?

Vieles deutet jedenfalls darauf hin, dass das lange Zeit so erfolgreiche Standardmodell an seine Grenzen stößt, und viele Physiker wenden sich Theorien zu, die darüber hinausgehen. Die bekannteste unter ihnen ist Supersymmetrie: Nach dieser Theorie wandeln sich verschiedene Typen von Elementarteilchen, Bosonen und Fermionen, ineinander um. Eine experimentelle Bestätigung dieser Hypothese fehlt aber bislang.

Entscheidende Phase

Auch Heuer lässt seine Gedanken gerne über das Standardmodell hinausschweifen. "Ich habe einen Traum", sagte er. Und dieser hat mit Dunkler Materie zu tun. So wie seine designierte Nachfolgerin Fabiola Gianotti hofft er darauf, dass in den nächsten Monaten und Jahren die Teilchen gefunden werden können, die Dunkle Materie bilden.

Der lokale Organisator der Konferenz, Jochen Schieck, Professor am Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Technischen Universität Wien, bezweifelt, dass ein Nachweis Dunkler Materie von einer Maschine wie dem LHC erbracht werden kann. "Überall im Standardmodell sehen wir, es quietscht und hakt ein bisschen, doch nirgendwo gibt es eine eindeutige Entdeckung, wo man sagt: Wow, das ist es jetzt", sagt Schieck.

"Der nächste Run am LHC wird sehr entscheidend werden", sagt David Kaplan, Teilchenphysiker an der Johns Hopkins University, Baltimore. "Das Dramatische derzeit ist, dass wir testen werden, ob das Standardmodell vollständig ist." Kaplan glaubt nicht, dass im nächsten Durchlauf fundamental neue Entdeckungen gemacht werden – darauf sei die Maschine nicht ausgelegt und selbst die neue Kollisionsenergie nicht ausreichend. Doch sind das keine schlechten Nachrichten für die Teilchenphysik? Kaplan: "Nicht unbedingt. Aber das ist eine soziologische Frage. Im Grunde des Herzens will doch jeder die Wahrheit erfahren. Die Natur ist viel interessanter als jedes einzelne unserer Modelle."

Um dafür am Rande der Konferenz auch Nichtphysiker zu begeistern, gab es bei dieser European Physical Society Conference on High Energy Physics erstmals ein Outreach-Programm, das sich an eine breitere Öffentlichkeit richtete: Public Talks, Ausstellungen, Zusammenarbeiten mit Künstlern und eine Vorführung des von Kaplan produzierten Dokumentarfilms über die Entdeckung des Higgs-Teilchens, Particle Fever. Organisator Schieck dazu: "Mir war wichtig, dass man, wenn man so eine Konferenz macht, auch Nichtphysikern die Chance gibt, zu sehen, was da passiert." (Tanja Traxler, 28.7.2015)