Bedja will nicht so richtig. Und Peronja auch nicht. Die Stiere glotzen sich zwar an, aber kämpfen? Weil ihre Besitzer sie mit Stäben anstacheln, machen sie dann doch mit. Nach einer Minute hat der eine aber den anderen verjagt. Erst als Medonja – der "Bärenartige" – in die Almarena geschickt wird, jault das Publikum auf. Denn Medonja geht auf seinen Besitzer los und stößt diesen mit den Hörnern zu Boden. "Hinsetzen!", ruft ein Mann durchs Mikrofon die aufgeregten Leute auf, wieder auf der Wiese Platz zu nehmen. Am Sonntag fand zum 68. Mal der Stierkampf – genannt Korida – in Čevljanovići statt, einem Dorf 30 Kilometer nördlich von Sarajevo.

Hier in Čevljanovići fließt kein Blut.
Adelheid Wölfl

Tausende Bosnier kommen jedes Jahr Ende Juli hierher, sie parken die Alm zu, breiten ihre Picknickdecken zwischen all den Autos auf, tanzen zwischendurch den Kreistanz Kolo und üben sich im Steinewerfen. Am beliebtesten ist heuer eine Band namens "Die Satelliten", deren Musik über die Almen dröhnt. Die Korida von Čevljanovići ist für viele Bosnier das wichtigste Ereignis des Jahres – vor der Wirtschaftskrise kamen bis zu 100.000 Personen hierher. Auch viele Diaspora-Bosnier aus Dänemark, Deutschland und Österreich sind angereist.

Auffallend positiv ist, dass Nationalismus, Religion und ethnische Zugehörigkeit hier keine Rolle spielen. Sehr wohl aber Solidarität. Vor Beginn der Korida wird für Kranke gesammelt, die Leidensgeschichten werden durchs Mikrofon erzählt, dann gehen Männer mit Cowboyhüten und Spendenboxen herum. In Bosnien-Herzegowina gibt es im Sommer viele Stierkämpfe. 13 Klubs von Züchtern sind registriert. Die Korida von Čevljanovići ist aber die Größte und Beliebteste.

Kolo, der Kreistanz.

"Hier sieht man den Unterschied zwischen Spanien und Bosnien", erklärt eine Frau. "In Spanien sterben die Tiere, in Bosnien rennt ein Stier bloß dem anderen davon, wenn er nicht mehr kämpfen mag. Wahrscheinlich hat das was mit unserer Mentalität zu tun. Wir mögen keine Brutalitäten." Tatsächlich ist die Korida relativ harmlos. Blut fließt hier keines. Heute wird sogar darauf geachtet, dass die Hörner nicht zu scharf und spitz sind, damit sich die Tiere nicht verletzen können.

Zehntausende Bosnier kommen jährlich hierher.
Adelheid Wölfl

Die Züchter, die hier mit Namen genannt werden, können durch ihre Stiere zu Ruhm gelangen. Es ist so, als würde die Tapferkeit und Virilität der Tiere auf sie zurückfallen, so stolz gehen sie neben ihnen einher. Bei der Party auf der Alm, die auf einem Plateau liegt, eingerahmt von hübschen bosnischen Dörfern mit weißen Minaretten, tiefgrünen Wäldern und zahlreichen Wochenendhäusern, kann man die Leute aus den anderen Dörfern treffen. Die wenigen Sarajlis, die sich hierher verirrt haben, werden angestarrt.

Auf der rechten Seite der Alm gehen die Besucher einem weiteren Sport nach: Sie jagen einen Teddybären auf einem Ringelspiel – auf bosnisch Ringispil. Dieser wird von einem Buben an einem Flaschenzug hochgezogen. Die Männer stoßen sich gegenseitig in die Luft, wenn das Karussell sich zu drehen beginnt – solange, bis einer den Bären erwischt. Teddybär und Stier. Die Sehnsucht nach Kuscheln ist offenbar ähnlich ausgeprägt wie jene zu Dominanz.

Ringispil – auf der Jagd nach dem Teddybären.
Adelheid Wölfl

Čevljanovići ist aber in erster Linie ein Fest des Fleisches. Nach den Ständen mit den rosa Zuckerstangen und den Holzherzen, die als Talisman verkauft werden, kommt man zu den Grills. Ganze Kälber und Lämmer brutzeln auf Eisenstangen über dem Feuer. Sind sie gar, werden sie mit einer Hacke geteilt und dann verkauft.

Fleisch ohne Ende.
Adelheid Wölfl

Neben Dutzenden Schafsköpfen, aus denen die Zähne herausstehen, liegen deren Zungen, daneben Lammschultern, Lammhaxen, Lammrücken, Lammbrüste. Es riecht nach Fleisch, man sieht an jeder Ecke Fleisch, es gibt hier nur Fleisch. Als Alternative zu den Lammbrocken kann man sich aber auch für Ćevapi entscheiden.

Tischtanz in Reizwäsche.
Adelheid Wölfl

Um "Fleisch" geht es offensichtlich auch manchen Männern in den Zelten. Zwei junge Mädchen tanzen in Reizwäsche auf den Tischen. Dabei handelt es sich nicht um Tradition, sondern um jene Turbofolk-"Kultur", die seit den 1990ern den Balkan dominiert. (Adelheid Wölfl aus Čevljanovići, 29.7.2015)