Mit Schrittgeschwindigkeit fährt der in die Jahre gekommene Lada Niva das Waldstück Meter für Meter ab. Schlamm und Tümpel können den russischen Geländewagen nicht aufhalten. Ja nichts übersehen, immer wachsam sein. Sie könnten sich überall verstecken. Es ist sieben Uhr morgens. Die Sonne beginnt sich langsam am Firmament zu zeigen.

"Nachdem sie über die Grenze kommen, ruhen sich viele in den Wäldern aus", sagt Vince Szalma, ein Mezőőr (Feldwächter), und zeigt nach rechts, auf eine Stelle, wo weggeworfene Kleidungsstücke und Schuhe liegen. "Hier machen sie häufig Rast." Links, entlang der grünen Grenze zwischen Serbien und Ungarn, fließt ein Kanal. "Da kommen sie durch", richtet sich sein Blick auf einen zertrampelten Feldpfad.

Neue Aufgabe für die Feldwächter

Seitdem der Bürgermeister von Ásotthalom László Toroczkai vergangenen Herbst eine Verordnung erlassen hat, ist Szalma mit seinen Kollegen auf der "Flüchtlingsjagd", wie er das nennt. Täglich patrouilliert er 16 bis 17 Stunden mit seinem alten Geländewagen. Früher hielten die Feldwächter Ausschau nach gestohlenem Getreide, widerrechtlich geschlagenem Holz und Wildtieren, die den Bauern ihre Felderträge auffraßen. Heute sind sie auf der Suche nach "Illegalen". Wenn sie diese finden, melden sie sie sofort der Polizei. "In zwei Sekunden erkennen wir diejenigen, die nicht von hier sind", erklärt Szalma. Eine sofortige Meldung kann nur die Technik verhindern. Etwa der Ausfall der Verbindung zum Funkturm.

Video: "Flüchtlingsjagd" an der ungarischen Grenze.
Balázs Csekő, Siniša Puktalović

Hinter jedem unbekannten Fahrzeug vermutet der Feldwächter einen potenziellen Schlepper. "Jetzt haben wir einen erwischt", sagt Szalma mit einem Lächeln auf seinem Gesicht und dreht das Lenkrad nach rechts. Langsam nähert sich die Patrouille einem dunkelroten Mercedes. Ein älterer Mann steigt aus dem Wagen und begrüßt freundlich seinen Bekannten Szalma. Er wurde von ihm gerade als Freier ertappt. Das wird nicht gemeldet. Szalma kehrt das Auto um, und die Suche nach Flüchtlingen und Schleppern kann weitergehen. Heute früh, so erzählt er, hat er am gleichen Ort einen Kastenwagen mit sieben Flüchtlingen im Auto erwischt. "Diesmal kooperierte der Fahrer, letztes Mal ist mir einer weggelaufen."

Kissori-Weg

Entlang des Kissori-Weges, einer "Flüchtlingsstraße" in der Nähe der serbisch-ungarischen Grenze, bewegen sich an diesem Morgen hunderte Personen. Einige gehen zu zweit, andere in Gruppen, manche sind mit ganzen Familien unterwegs. Sie werden wohl bald von der ungarischen Polizei aufgegriffen. Oder sie entkommen den Behörden. "Fünfzig-fünzig stehen die Chancen, jeder Zweite schafft es, unentdeckt weiter Richtung Westen zu gehen", behauptet Feldwächter Szalma. Allein vergangene Woche wurden von Behörden in Ungarn mehr als 8.300 "illegale Einwanderer", die von Serbien aus gekommen sind, registriert. Mehr als 90.000 Flüchtlinge zählt man in Ungarn seit Jahresbeginn.

Überforderte Behörden

Diese Flüchtlingswelle erwischt Ungarn unvorbereitet. Die ungarische Exekutive ist überfordert. Polizisten aus verschiedenen Teilen des Landes wurden in die Grenzregion versetzt. "Wir beschäftigen uns ausschließlich mit der Flüchtlingskrise. Uns bleibt keine Zeit mehr für Kriminalitätsfälle übrig", sagt ein ungarischer Polizist, der gerade eine Gruppe von Personen nach deren Nationalität fragt und die exakten Zahlen auf einen weißen Zettel aufschreibt.

Einige haben nichts dagegen, von der ungarischen Polizei registriert zu werden – ähnlich wie Noor und seine Freunde. Sie liegen auf einer Wiese. Stunden davor haben sie die Grenze überquert. "Sind wir schon in Ungarn?", fragt er mit Angst in seinen Augen. Erleichtert sind sie, als sie ein "Ja" hören. Nach einer zweimonatigen Reise sind sie angekommen. Erschöpft und kraftlos sehen sie aus. "Serbien war schrecklich für uns", erzählt Noor. "Ich wurde verprügelt", sagt er mit sichtlich geschwollenem Auge. "Kein Problem, wenn uns die ungarische Polizei aufnimmt. Wir haben gehört, dass die Menschen hier gut sind."

Andere versuchen nach dem Grenzübergang bis zur nächsten Busstation zu kommen – in der Hoffnung, so per Bus nach Budapest zu gelangen. Oder gleich in Richtung Westeuropa. "Ich will nicht in diesem Land meinen Fingerabdruck abgeben", erzählt Parviz, der am Straßenrand vom Feldwächter Szalma aufgehalten wurde. Über die ungarische Polizei will er nichts hören. Der "Flüchtlingsjäger" aus Ásotthalom weiß, dass der Afghane damit dem Asylverfahren in Ungarn entkommen möchte. Szalma ist kaltschnäuzig. Er sagt ihnen, sie sollen warten und fährt weiter. Einige Minuten später meldet er sie einer vorbeifahrenden Polizeistreife.

Meldelust unter den Einwohnern

Unter zahlreichen sich vernachlässigt fühlenden Bürgern von Ásotthalom hat sich auch die Meldelust breitgemacht. Einige Bürger sitzen den ganzen Tag vor ihren Häusern und "helfen so, das Problem in den Griff zu bekommen", sagt Szalma. Einer von ihnen ist Imre Körömi. Der alte und füllige Mann hegt einen richtigen Groll gegen die Flüchtlinge: "Wir sollten dem ein Ende setzen auf irgendeine Art und Weise. Solange wir noch nicht infiziert sind. Sie tragen sicherlich etwas in sich", sagt er. Szalma macht keinen Hehl aus seiner Einstellung: Für dunkelhäutige Personen hat er nur abfällige Bezeichnungen übrig.

Andere Nachbarn verlassen sich bei der "Flüchtlingsjagd" auf ihre Hunde. "Wenn sie bellen, wissen die Besitzer, dass hinten im Wald Flüchtlinge unterwegs sind und melden es mir oder gleich der Polizei", so Szalma.

Den Flüchtlingen helfen die wenigsten. Eine Flasche Wasser, ein Stück Brot bekommen sie selten. Für viele Einwohner der Gegend ist sogar die kleinste "Flüchtlingshilfe" mit einem Vorstoß gegen die konventionellen Verhaltensnormen gleichzustellen.

Grenzzaun

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Verlauf des Grenzzaunes zu Serbien.
Grafik: APA

Vom geplanten Zaun an der serbisch-ungarischen Grenze hält der Feldwächter wenig. Nicht nur, dass dieser zu teuer wäre, er könne auch die Flüchtlinge nicht aufhalten. "Sie würden den Zaun mit einem Bolzenschneider durchschneiden oder über ihn drüberklettern. Das sind sehr freche Leute", sagt Szalma.

Der Vizebürgermeister von Ásotthalom, István Fackelmann, ein kleiner Mann mit einem schon etwas verwachsenen D'Artagnan-Bart, wünscht sich, dass das Militär an den Grenzen patrouilliert. Wenn nicht sie, dann, droht er, sind "die Garden eine Möglichkeit der Selbstverteidigung". Damit meint er die berüchtigten ungarischen rechtsextremistischen Schlägertrupps. Die, wenn sie nicht gerade Roma zusammenschlagen, derzeit auch die Flüchtlinge in ihr Visier genommen haben.

Frische Spuren verschiedener Größe sind auf dem nahegelegenen Feldweg erkennbar. Vor kurzem soll da eine mehrköpfige Gruppe vorbeigezogen sein. "Wir schauen immer auf die Spuren. Diese verraten, in welche Richtung sie gegangen sind", erklärt Szalma seine Methode. Dann steigt er in seinen Lada Niva ein und fährt los. Seine "Jagd" auf Flüchtlinge muss weitergehen. (Balázs Csekő, Siniša Puktalović, daStandard.at, 4.8.2015)