Stephen O’Malley – Gruidés (DDS)

cover: dds

Mit Hilfsmitteln kommt man nicht nur beim Sex zu mehr oder weniger konstant berechenbaren Ergebnissen. Auch in der Musik, die die jungen Leute gern hören, wenn sie ein wenig aufgeweckter als das Radioprogramm sind, zählt es seit Jahr und Tag zum Um und Auf, sich mittels diverser elektronischer Kasteln eine gewisse Sicherheit und ein zusätzliches Spielbein zu verschaffen. Es ist zum Beispiel bei einer gewissen Neigung, Töne länger zu halten, unendlich leichter, dies auf Instrumenten zu bewerkstelligen, die man an eine Steckdose anschließen muss, als man es auf einem Klavier, einer Wandergitarre oder einer Violine vermag. Besonders schwer haben es hier Leute, die zum Beispiel aufgefordert werden, auf Trompete, Posaune oder Flügelhorn einen einzigen Ton mehrere Minuten lang zu halten. Das geht dann schon mehr in Richtung Apnoetauchen und Schwimmbad-Blackout. Siehe auch: Nahtoderlebnis.

Luft anhalten

US-Gitarrist Stephen O’Malley kennt man als Freitauch- und Atemanhalt-Gitarristen vor allem als Mitglied der ursprünglich aus Seattle kommenden, in Mönchskutten und Bühnennebel steckenden Drone-Kolosse Sunn 0))) und live meist einstündigen Exerzitien in Sustain, Feedback und Erdbebenforschung auf einem einzigen Akkord, der dann meist eine Viertelstunde durchgehalten wird.

Auf dem Label DDS des düsteren britischen Laptop-Gruselduos Demdike Stare veröffentlicht O’Malley nun seine erste Arbeit für Orchester. Gruidés entstand auf Anregung und in Zusammenarbeit mit dem französischen Pianisten und Komponisten Frédéric Blondy. Dessen 35-köpfiges, klassisch instrumentiertes Improvisationsorchester ONCEIM (l’Orchestre de Nouvelles Créations, Expérimentations et Improvisation Musicales) muss nun auch teilweise sehr, sehr lange die Luft anhalten, um 35 Minuten lang diese Drone-Komposition Gruidés umzusetzen.

Es ist ein mächtiges Anschwellen, Abebben, Donnergrollen. Voller wundervoller Dissonanzen, Peitschenknallperkussion und Halbtonschritte hin zum Einatmen kurz vor der Bewusstlosigkeit. Drone-Metal für eine Zeit, in der das Licht ausgeht. It’s not dark yet, but it’s getting there. (schach, Rondo, 31.7.2015)