Seit 1896 steht das Edelweiß unter Naturschutz: Durch das Aufkommen des Alpintourismus wurde es zu einem begehrten Souvenir. Nun ist auch die Schulmedizin an der Pflanze interessiert.

Foto: wikipedia/Böhringer Friedrich/[cc;2.5;by-sa]

Es ist ein Symbol für Österreich, die Alpen und das Bergwandern: das Edelweiß (Leontopodium). Äußerlich unscheinbar und jahrzehntelang vom Aussterben bedroht gewesen, schmückt die Alpenblume Uniformen und Kappen, dient nicht nur dem Alpenverein als Logo, ziert Briefmarken und Münzen (1 Schilling, 2 Cent) und hat es sogar bis nach Hollywood geschafft. Das Edelweißlied aus dem MusicalSound of Music kennt die ganze Welt.

Abgesehen davon schreiben Forscher der pelzigen Pflanze aus der Gattung der Korbblütler auch beträchtliches medizinisches Potenzial zu. In der Volksmedizin auch als "Bauchwehbleaml" bekannt, soll das Edelweiß mit Honig gekocht gegen Magenverstimmungen und -schmerzen helfen.

Schützende Edelweißsäure

Auch die traditionelle chinesische Medizin hat die Pflanze schon vor langem für sich entdeckt, existiert doch mehr als die Hälfte der etwa 40 Edelweißarten ausschließlich in Asien, insbesondere in China, Nepal und Tibet. So werden in der Mongolei Kopfkissen mit Edelweiß gefüllt, um Erkrankungen der Atemwege vorzubeugen. Belege, dass das wirkt, stehen aus, doch neue Forschungsergebnisse aus Innsbruck lassen aufhorchen.

Aus den Blüten und Blättern des Alpenedelweiß (Leontopodium nivale subsp. alpinum) gewannen die Forscher ein Kaffeesäurederivat, das sie Edelweißsäure nennen. Es wirkt DNA-protektiv, bindet freie Radikale im Körper und schützt zudem vor schädlicher UV-Strahlung – für das Edelweiß, das ausschließlich in höheren Gebirgslagen vorkommt, überlebensnotwendig.

Kosmetik sprang auf

Als Erstes sprang die Kosmetikindustrie auf und mischte Edelweißextrakte in die Produkte. "Die beigefügten Mengen sind aber meist für eine optimale Wirkung zu gering", sagt Hermann Stuppner, Leiter der Pharmakognosie-Abteilung am Institut für Pharmazie der Uni Innsbruck, und spricht von einem "Marketing-Gag".

Er muss es wissen, hat er doch gemeinsam mit Kollegen erstmals alle rund 60 Inhaltsstoffe desEdelweiß isoliert und einzeln untersucht. Als besonders vielversprechend stellte sich dabei das Leoligin heraus, ein Stoffwechselprodukt, das aus den Wurzeln der Pflanze gewonnen wird.

Es wirkt hemmend auf die "schlechten" LDL-Moleküle, die schädliche Blutfette transportieren und zu Arteriosklerose (Blutgefäßverkalkung) führen können. Bleibt die Erkrankung unbehandelt, droht eine Stenose (Gefäßverengung), in weiterer Folge ein Herzinfarkt. Mittels Bypässen und Stents kann man zwar erfolgreich therapieren, doch auch in den künstlich gelegten Gefäßen drohen neuerliche Ablagerungen von Blutfetten, Gerinnseln und Kalk.

Hier kommt das Leoligin ins Spiel: Die Forscher testeten die Substanz an Mäusen, indem sie ihnen ein Leoligin-Depot direkt in eine krankhaft verdickte Halsschlagader implantierten. Das Ergebnis: Der Gefäßdurchmesser nahm von durchschnittlich 43 Mikrometern bei unbehandelten Tieren auf 15 Mikrometer bei den behandelten ab.

Anwendung bei Herzinfarkt

Auch beim Menschen sei ein ähnlicher Effekt zu erwarten, wie die Forscher aus In-vitro-Untersuchungen schließen. Vor einem klinischen Einsatz gilt es aber noch die Frage der potenziellen Schädlichkeit zu klären. Aber auch dann, wenn der Worst Case bereits eingetreten und es zum Infarkt gekommen ist, könnte Leoligin beziehungsweise seine Derivate therapeutisch wirken.

"Im Tierversuch konnten wir die Infarktnarbe (zerstörte Herzwandbereiche, Anm.) deutlich verkleinern und die Leistungsfähigkeit des Herzens um 30 Prozent erhöhen", berichtet David Bernhard vom Herzchirurgischen Forschungslabor der Med-Uni Innsbruck. Er nennt ein drittes mögliches Anwendungsgebiet: als Zellteilungshemmer von Krebszellen. Erste Untersuchungen mit Leukämie-Zellkulturen hätten vielversprechende Ergebnisse gebracht. Die Forschung steht aber noch am Anfang.

Einsatz in Lebensmitteln

Manche Forscher meinen, dass Edelweißtees, -liköre, -schnäpse und -tonicwässer auch positive Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System haben könnten. In Österreich jedoch sind sie verboten. Der Grund: Längerfristige toxikologische Untersuchungen wurden nie durchgeführt.

"Unsere Daten deuten zwar darauf hin, dass alle Inhaltsstoffe ungefährlich sind", sagt Stuppner, der eine Verwendung in Lebensmitteln für "durchaus interessant" hält. Vorher brauche es aber noch genaue Untersuchungen. In der Schweiz ist die gesetzliche Lage anders, hier erfreuen sich Joghurts und Biere mit Edelweiß großer Beliebtheit. Allerdings sind die Extrakte in so geringen Mengen zugesetzt, dass "weder ein positiver noch ein negativer Effekt zu erwarten ist", so Experte Stuppner. (Florian Bayer, 1.8.2015)