Wien – Mitten in die Diskussion über angeblich mangelnde Arbeitsbereitschaft wegen ausreichender staatlicher Transferleistungen platzt ein Fall, der nicht so recht ins Bild der sozialen Hängematte passen will und der vom Verfassungsgerichtshof geprüft wird. Er hat in seinem Prüfbeschluss schwere Bedenken zur Wiener Regelung – die Mindestsicherung ist Ländersache – geäußert. Konkret stoßen sich die Höchstrichter daran, dass die Sozialleistung sofort eingestellt wird, wenn der Bezieher die Hauptstadt verlässt.

Dass die Mindestsicherung bei Ortsabwesenheit "ohne Bedachtnahme auf die Gründe" in jedem Fall entzogen wird, "dürfte jeder sachlichen Rechtfertigung entbehren und daher verfassungswidrig sein", meint der VfGH und lässt damit wenig Zweifel am Ausgang des Verfahrens.

Der Anlassfall der Beschwerde: Eine Bezieherin der Mindestsicherung ist wegen chronischer Polyarthritis arbeitsunfähig. Im Vorjahr teilte sie dem Magistrat der Stadt Wien mit, dass sie sich zur Behandlung ihrer Krankheit drei Wochen lang außerhalb des Wohnortes zur Kur aufhalten werde. Zehn Tage nach der Mitteilung verfügte der Magistrat per Bescheid die Einstellung der Mindestsicherung und die Rückforderung der bereits für den betreffenden Monat ausbezahlten Leistung.

Lebensmittelpunkt ausschlaggebend

Als Begründung wurde angegeben, dass die Bezieherin ihren Lebensmittelpunkt nicht in Wien habe beziehungsweise sich nicht tatsächlich in der Hauptstadt aufhalte. Damit seien die Voraussetzungen für den Bezug der Leistungen in diesem Zeitraum nicht erfüllt. Mit der Berufung gegen den Bescheid blitzte die Beschwerdeführerin beim Verwaltungsgericht Wien ab: Die Bezüge seien wegen Verlassens des Wohnortes zu Recht eingestellt worden. Daraufhin wurde der Verfassungsgerichtshof angerufen. Er hat in seinem Beschluss schon einige relevante Aspekte behandelt.

In der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, auf der die Umsetzung der Mindestsicherung basiert, sind Hauptwohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthaltsort entscheidend dafür, welches Land für die Leistung aufzukommen hat. "Der Wiener Landesgesetzgeber scheint nun darauf insoweit nicht Bedacht genommen zu haben, als im Falle auch nur tage- oder wochenweiser tatsächlicher Abwesenheit von Wien zwar der Anspruch auf Mindestsicherung in Wien verloren geht, obwohl ... der gewöhnliche Aufenthaltsort in Wien nicht verloren geht." In seiner vorläufigen Erwägung meint der VfGH auch, dass das Land nicht verpflichtet sei, jede Reisebewegung von beliebiger Dauer durch Zahlungen zu unterstützen. Auch dürfte es legitim sein, die Fortzahlung bei vorübergehender Abwesenheit an gewisse Gründe zu knüpfen.

Der VfGH befasst sich nicht zum ersten Mal mit der Materie. Die oberösterreichische Regelung wurde erst heuer beanstandet, weil die Mindestsicherung für Behinderte gut 200 Euro niedriger lag als die Regelleistung. Linz hatte das mit dem Bezug einer erhöhten Familienbeihilfe durch Menschen mit Behinderung begründet – vergeblich. Gegen einen Teil der Salzburger Mindestsicherung läuft ein VfGH-Verfahren. (Andreas Schnauder, 31.7.2015)