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Das vor wenigen Tagen von der ESA veröffentlichte Bild von Tschurjumow-Gerassimenko entstand in einer Entfernung von 171 Kilometern und zeigt die zunehmende Aktivität des Kometen bei seiner Annäherung an die Sonne.

Foto: AP Photo/ESA/Rosetta/Navcam

Die Aufnahme zeigt die wahrscheinliche Route, auf der Philae über die Oberfläche des Kometen gehüpft ist. Die Landepunkte sind mit TD gekennzeichnet.

Foto: ESA/ROSETTA/NAVCAM/SONC/DLR

Göttingen/Wien – Zuletzt hatte ihm Pluto etwas die Show gestohlen, aber vergessen ist Tschurjumow-Gerassimenko, Zielkomet der Rosetta-Mission, keineswegs. Während Wissenschafter auf weitere Datenpakete vom Zwergplaneten warten, die über Monate hinweg portionsweise eintreffen werden, läuft die Auswertung der mit dem Landemodul Philae gewonnenen Erkenntnisse auf Hochtouren.

Das US-Wissenschaftsmagazin "Science" bringt in seiner aktuellen Ausgabe gleich sieben Studien zu Tschuri. Wissenschafter analysierten seine Temperatur, den offenbar sehr homogen aufgebauten "Kopf" des entenförmigen Kometen und dessen hohe Porosität sowie mögliche Erosionsprozese an der Oberfläche. Noch nie konnte die Anatomie eines Kometen derart durchleuchtet werden. Besondere Bedeutung wird der Vielzahl organischer Moleküle beigemessen, die im Oberflächenstaub des Kometen gefunden wurden.

16 organische Verbindungen

Insgesamt 16 unterschiedliche organische Verbindungen konnten laut dem Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung nachgewiesen werden. Vier davon – Methyl-Isocyanat, Aceton, Propionaldehyd und Acetamid – waren von den Forschern zu eresten mal auf dem Kometen nachgewiesen worden. Alle enthalten Kohlenstoff und Wasserstoff, drei auch Stickstoff. Ein weiteres Team fand Hinweise auf größere kettenförmige Moleküle. Viele davon gelten als Schlüsselmoleküle für biochemische Reaktionen – etwa bei der Entstehung von Zuckern oder Aminosäuren.

Die europäische Raumsonde Rosetta hatte das Mini-Labor Philae am 12. November 2014 nach zehnjähriger Reise auf dem Kometen abgesetzt. Statt weich aufzusetzen prallte Philae mehrmals von der Kometenoberfläche wieder ab. Bei seinem ersten Auftreffen auf dem "Kopf" des entenförmigen Kometen in der Region Agilkia traf die Sonde auf eine weiche, körnige Oberfläche von mindestens 20 Zentimetern Dicke, wie ein Team um Jens Biele vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln berichtet. Die meisten Partikel dort hätten einen Durchmesser von höchstens einem Zentimeter.

Darauf können die Wissenschafter aus Daten über die weitere Flugbahn und Dämpfungseigenschaften der Beine des Landers schließen, wie Norbert Kömle vom Institut für Weltraumforschung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Graz erklärte. Da Philae sich nicht festhaken konnte, gelangte das Mini-Labor mit langsamen Hüpfern auf seinen letzten Landeort namens Abydos.

Philae seit 9. Juli verstummt

Diese im Vergleich zum geplanten Landungsort viel schattigere Stelle erschwerte die Energieversorgung der Sonde, der nach wenigen Tagen der Strom ausging. Nachdem der Komet sich in den vergangenen Wochen immer stärker der Sonne angenähert hatte, erwachte sie am 13. Juni wieder und kommunizierte mit Rosetta, die den Kometen umkreist und die Verbindung zur Erde herstellt. In den folgenden Tagen "meldete" sich der Lander insgesamt sechs Mal wieder. Seit 9. Juli erreichen Philae-Projektleiter Stephan Ulamec und sein Team aber keine Daten mehr. "Es ist ein wenig frustrierend, einen scheinbar funktionstüchtigen Lander auf der Oberfläche eines Kometen zu haben, aber nicht mit ihm kommunizieren zu können", sagte der aus Österreich kommende Forscher.

Trotz der ungünstigen Lage wurden in den ersten Tagen nach der Landung Experimente durchgeführt. Bei elektromagnetischen Messungen ergab sich etwa, dass die Zusammensetzung des oberen Teils des Kometen überraschenderweise relativ homogen sein dürfte. Aufgrund des Zeit- und Energiemangels konnte nicht geklärt werden, ob die eigentümliche Form des vermutlich vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstandenen Himmelskörpers eine Folge von Erosion ist, oder ob er aus ursprünglich getrennten Objekten besteht.

Vergebliches Hämmern

Überraschend ist auch die Erkenntnis, dass Philae auf einer harten Oberfläche zum Stehen oder Liegen kam. Diese Beschaffenheit dürfte auch die geplante Durchführung des MUPUS-Experiment (Multi purpose Sensors for Surface and Subsurface Science) verhindert haben, erklärte Kömle, der an dem Projekt und zwei der sieben Fachartikel beteiligt ist. Offenbar ist die Oberfläche so hart, dass der Mechanismus, den mit einer scharfen Spitze ausgestatteten 35 Zentimeter langen MUPUS-Stab nicht wie gewünscht im Untergrund hämmern konnte. Obwohl das System über drei Stunden hinweg bis zu 500 Hammerschläge mit steigender Energie ausgeführt hat.

Temperatur-Sensoren in den Harpunen, die Philae eigentlich bei der Landung im Boden verankern sollten, und in einem anderen Instrument zeigten, dass die Tagestemperaturen auf "Tschuri" zwischen 90 und 130 Kelvin (minus 183 und 143 Grad Celsius) liegen. Warum die Harpunen nicht abgefeuert wurden, sei noch immer unklar, so der Grazer Forscher. "Meine Hoffnung wäre, dass man die Harpunen gegen Schluss der Mission einfach doch noch schießt und damit weitere Daten erhält", erklärte er.

Oberflächenveränderungen widersprechen Annahmen

Laut einem weiteren Ko-Autor einer der neuen Publikationen, dem Planetologen Karsten Seiferlin von der Universität Bern, könnte die harte Oberfläche erst vor kurzem, etwa durch die starke Strahlung in Sonnennähe, entstanden sein. Das widerspreche allerdings der Annahme, dass sich der Komet seit seiner Entstehung kaum verändert hat und somit einen Blick in die Gegebenheiten vor Milliarden Jahren ermöglicht. "Der erhoffte Zeuge der Entstehung des Sonnensystems leidet gewissermaßen an Amnesie", so Seiferlin. (jdo/APA, 30.7.2015)