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Haben Space Invaders die Pyramidenbauer gecoacht?

Foto: APA / EPA / Mike Nelson

Ich habe gerade die Kaffeetasse vermessen, die ich jeden Tag benutze. Sie ist 96,5 Millimeter hoch und hat einen Durchmesser von 85,5 Millimetern. Das ist eine Grundfläche von 5.741,46 Quadratmillimetern; genau so viel wie ein Quadrat mit einer Seitenlänge von 75,77 Millimetern hätte. Verdoppelt man diese Seitenlänge und teilt den Wert durch die Höhe meiner Tasse, kommt man auf 1,57. Und das ist nichts anderes als die Hälfte der Kreiszahl Pi, immerhin auf zwei Nachkommastellen genau!

Der Kaffeetassen-Code

Meine Tasse kann aber noch mehr: Multipliziere ich den Durchmesser mit dem Radius, dann erhält man die Zahl 3.655. Geteilt durch 10 ergibt das 365,5; genau die Mitte zwischen 365 und 366: Die Zahl der Tage in einem Kalenderjahr beziehungsweise Schaltjahr.

Verdoppelt man die Seitenlänge des aus der Grundfläche der Tasse abgeleiteten Quadrats, erhält man 152. Und 152 Millionen Kilometer ist die Erde am sonnenfernsten Punkt ihrer Umlaufbahn von unserem Stern entfernt. Und schließlich: Addiere ich die Höhe der Tasse und ihren Radius, dann komme ich auf 139,25 – was fast genau der aktuellen Höhe der Cheops-Pyramide entspricht!

Bei Pyramiden gelten (vermeintlich) andere Gesetze

Ist meine Tasse also das Produkt irgendeiner mysteriösen außerirdischen Zivilisation? Ein Überrest der verlorenen Hochkultur von Atlantis? Oder verstecken sich in ihr vielleicht sogar göttliche Prophezeiungen? Und was hat das alles mit den Pyramiden in Ägypten zu tun?

Natürlich würde niemand ernsthaft auf die Idee kommen, nach versteckten Botschaften in den Abmessungen meiner Kaffeetasse zu suchen. Aber wenn es um die Pyramiden geht, sieht die Sache anders aus. Hier sind tatsächlich viele Menschen davon überzeugt, dass sie große Geheimnisse bergen. Sie sollen irgendwelche besonderen "Energiepunkte" markieren, von Aliens gebaut worden sein oder "altes Wissen" und "kosmische Weisheiten" verschlüsseln.

Die Ursprünge der "Pyramidologie"

Interessanterweise war es ein Astronom, der die moderne Pseudowissenschaft der "Pyramidologie" begründet hat. Der Schotte Charles Piazzi Smyth war eigentlich ein brillanter Astronom und einer der ersten, der sich genaue Gedanken darüber machte, wie der Bau von Sternwarten in hochgelegenen Regionen die Beobachtungsgenauigkeit erhöhen kann. Zwischen 1846 und 1888 war er sogar der "Astronomer Royal for Scotland" und Direktor der königlichen Sternwarte in Edinburgh.

Smyth war aber auch ein wenig exzentrisch und veröffentlichte 1859 das Buch "The Great Pyramid: Why Was It Built & Who Built It?". Darin veröffentlichte er seine eigenen Vermessungen der Pyramiden von Gizeh und seine Interpretation derselben.

Zahlenrätsel

Laut Smyth folgt der Bauplan der Pyramiden einem göttlichen Plan. Teilt man zum Beispiel die Seitenlänge der Cheops-Pyramide durch die Länge eines "Pyramidenzolls", dann kommt man auf den Wert 36.524. Geteilt durch 100 ergibt das 365,24: die Länge eines Jahres. 500 Millionen Pyramidenzoll sind genau so lang wie der Durchmesser der Erde und aus der Höhe der Pyramide könne man den Abstand zwischen Sonne und Erde berechnen.

Teilt man die doppelte Breite ihrer Basis durch ihre Höhe, erhält man die Zahl Pi. Und so weiter. Das klingt natürlich beeindruckend und viele Autoren sind Smyths Beispiel gefolgt – am bekanntesten davon ist wahrscheinlich Erich von Däniken – und haben in den Ausmaßen der Pyramide noch weitere, angeblich bedeutsame, Zahlen entdeckt.

Wer suchet, der findet ...

Das Problem an der Sache: Wenn man nur genug Geduld hat und lange genug mit den Zahlen herumspielt, dann findet man immer irgendetwas, das (zumindest halbwegs) passt. Wie auch das Beispiel mit meiner Kaffeetasse zeigt. Oder das "paranormale Fahrrad" des Astronomen Cornelis de Jager, der 1992 aus dem Durchmesser der Klingel auf seinem Fahrrad, dem Durchmesser von Vorderrad, Lampe und der Länge des Pedalwegs durch geschickte Kombination die gleichen Naturkonstanten und astronomischen Werte berechnet hat, die sich angeblich auch in den Pyramiden finden lassen.

Es ist immer leicht, Muster und beeindruckende Zusammenhänge zwischen Zahlen zu finden. Viel schwieriger ist es dagegen, wenn man herausfinden will, ob sie auch tatsächlich etwas bedeuten oder nur Zufall sind. Man darf nicht dem sogenannten "Bestätigungsfehler" erliegen und einfach mit der Untersuchung aufhören, sobald man etwas gefunden hat, das dem entspricht, was man sich gewünscht oder erwartet hat.

... und was nicht passt, wird passend gemacht

Genau das ist bei der Pyramidologie aber der Fall. All die Zahlen aus den Abmessungen der Pyramiden lassen sich auf so viele verschiedene Arten miteinander kombinieren, dass es überraschend wäre, würde man dabei nicht irgendwelche Muster oder Zusammenhänge entdecken. Und zur Not kann man die Zahlen ja immer noch einfach passend machen: so wie beim "Pyramidenzoll" von Smyth. Denn überraschenderweise ist diese Einheit mit 2,54 Zentimetern fast exakt so lang wie der in Großbritannien verwendete Zollmaßstab.

Smyth meinte, diese Einheit von archäologischen Fundstücken aus Ägypten ableiten zu können (was seriöse Ägyptologen nicht bestätigen können). Smyth meinte übrigens auch, dass der neumodische Metermaßstab und das daraus abgeleitete metrische System, das man in Frankreich wenige Jahrzehnte zuvor entwickelt hatte, großer Unsinn seien. Der "Beweis", dass die britischen Einheiten in den Ausmaßen der viel älteren Pyramiden vorkommen und damit quasi göttlich vorgegeben seien, kam ihm da natürlich sehr recht ...

Smyths Ansehen als Wissenschafter litt unter der immer seltsamer werdenden Numerologie, seine Anhänger sind dagegen bis heute davon überzeugt, dass die Erbauer der Pyramiden über "geheimes" Wissen verfügten, das sie in ihren Bauwerken der Nachwelt mitgeteilt haben.

Mit knapp 270.000 Euro die Menschheit retten

Und es müssen mittlerweile nicht einmal mehr die original ägyptischen Pyramiden sein. Alles was irgendwie pyramidenförmig ist, erfreut sich der Aufmerksamkeit der Esoteriker: "Energiepyramiden arbeiten mit dem Magnetfeld der Erde. Sie bauen ein besonderes Kraftfeld auf, das wir als harmonische, beruhigende und Stress abbauende Energie empfinden. Die Pyramidenenergie schirmt uns ab von energetischen Störungen und gibt uns kreative Impulse", kann man da zum Beispiel auf der Homepage von "Horus®Energiepyramiden®" lesen.

Das 18 Zentimeter hohe "Modell A" (es dient der "feinen Steuerung der Gefühle") ist da mit einem Preis von 419 Euro noch regelrecht günstig. Wer sich dagegen das "Modell G" mit seinen neun Metern in den Garten stellen will, muss schon 268.999 Euro investieren. Aber immerhin ist sie dann auch "die Antwort auf die Orientierungslosigkeit der gegenwärtigen Epoche". Denn sie "wird die Erde zum Schwingen bringen. (…) Es gilt Leben neu zu schaffen, neu zu formen, neu mit vitaler Energie auszustatten. Ohne diese neue Technologie wäre das Risiko groß, daß alle menschliche Kultur in Dekadenz versinkt."

Und noch so eine Erfindung

Bei diesen Preisen sollte man allerdings schauen, dass man das Geld anderweitig wieder verdient. Zum Beispiel mit der vom Österreicher Thomas Trawöger erfundenen "Strompyramide". Die nutzt eine geheimnisvolle Energie, die sich im Inneren von pyramidenförmigen Objekten ansammeln soll, und produziert dabei Strom aus dem Nichts, weiß man bei der "Forschungseinrichtung "Mino-Tech" zu berichten:

"Allen beobachteten Phänomenen ist gemeinsam, dass sie auf der Wirkung von Hyperschallfeldern basieren. Gelingt es, im Luftraum einer Pyramide dauerhaft Hyperschallpegel von über 526 dB zu erzeugen, so werden alle Luftbestandteile in Protonen, Neutronen und Elektronen zerlegt. Mit geeigneten Vorrichtungen ist es möglich, die freien Elektronen einzusammeln und in nutzbaren elektrischen Strom umzuwandeln."

Eine grandiose Erfindung: wenn es denn jemand schaffen würde, das Ding nachzubauen, was bis jetzt leider nicht funktioniert hat (und dass die von der Pyramidenenergie angetriebenen Geräte in den im Internet veröffentlichen Videos immer noch an einem Netzteil hängen müssen, macht die Sache nicht vertrauenswürdiger).

Die Wirklichkeit ist staunenswert genug

Es erübrigt sich fast zu sagen, dass es keinerlei wissenschaftliche Belege für die Existenz dieser Pyramidenenergie gibt und "freie Energie" dort genauso wenig zu finden ist wie anderswo.

Die Pyramiden von Gizeh gehören zu den beeindruckendsten und bedeutendsten Baudenkmälern auf dieser Welt. So wie sie sind, sind sie schon faszinierend genug – man muss ihnen keine geheimen Botschaften andichten oder sie als Grundlage esoterischer Geschäftemacherei missbrauchen. Meine Kaffeetasse ist mir aber trotzdem nicht so ganz geheuer ... (Florian Freistetter, 4.8.2015)