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Stephan Brändle aus Frankreich

Die Franzosen halten ihr Gesundheitsmodell natürlich für das beste der Welt. Und es stimmt: Noch im Jahr 2000 hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Gesundheitsversorgung in Frankreich in einer Rangliste auf Platz eins geführt. Seither hat sie einige Plätze eingebüßt, aber der Stolz der Franzosen bleibt berechtigt, zumindest was die soziale Abdeckung betrifft.

Die "Securité sociale" kommt zwar nur noch für rund zwei Drittel der Gesundheitskosten auf; für Zahnbehandlungen, Brillen sowie Einzelzimmer im Spital haben die meisten der 65 Millionen Franzosen eine Zusatzversicherung abgeschlossen. Doch all jene, die durch die sozialen Maschen fallen würden – sogar die illegal zugereisten "Papierlosen" –, haben Anspruch auf die CMU, die unentgeltliche Gesundheitsversorgung.

Und die Qualität der Pflege? Sie nimmt wohl keinen Spitzenplatz ein. Französische Spitäler stehen oft in der Kritik.

Das Beste und sein Gegenteil

Eine Fernsehreportage aus einigen Notfallstationen zeigte kürzlich, wie ältere Patienten in dunklen Korridoren zwischengelagert und oft schlicht vergessen wurden. Das beste Gesundheitssystem der Welt hinderte eine Anästhesistin in Orthez (Südwestfrankreich) nicht daran, im Vollsuff zu arbeiten – worauf sie prompt die Spritzen verwechselte und eine Patientin in den Tod schickte.

Kurz, in französischen Arztpraxen und Spitälern trifft man das Beste an, aber auch sein Gegenteil. Auf die Auswahl kommt es an. Wer sich in Frankreich pflegen lässt, betreibt genaue Recherchen oder gehorcht der Mundpropaganda. Seinem Leben zuliebe.

Foto: APA/EPA/IAN LANGSDON

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Anne Rentzsch aus Schweden

Im Sommer in Schweden krank zu werden ist riskant. Vom gesetzlich verbrieften Recht auf vier Wochen Sommerurlaub macht auch das Gros der Ärzte und Krankenschwestern Gebrauch; die Folge: Viele Praxen und Spitäler sind ebenso wie Polizeireviere "sommarstängd" – wegen Sommer geschlossen.

In der Urlaubssaison eskalieren die Probleme des ohnehin chronisch überlasteten Gesundheitswesens: Seit Jahren herrscht in den Krankenhäusern ein akuter Mangel an qualifiziertem Krankenpflegepersonal, das wegen höherer Löhne ins benachbarte Norwegen abwandert. Zu Jahresbeginn fehlten in den knapp 70 Krankenhäusern rund 2.000 Schwestern und Pfleger. 900 Betten konnten deshalb nicht belegt werden – und im OECD-Durchschnitt gehört Schweden mit 2,7 Betten pro 1.000 Einwohner ohnehin schon zu den Schlusslichtern.

Private Krankenversicherung boomt

Entsprechend lang sind oft die Wartezeiten bei Operationen: So musste man laut Untersuchungen des schwedischen Fernsehens 2014 in der Provinz Värmland durchschnittlich 233 Tage auf eine Prostatakrebs-OP warten. Schneller geht’s mit einer privaten Krankenversicherung, die Ende 2014 mehr als 600.000 der insgesamt rund 9,7 Millionen Schweden abgeschlossen hatten – eine Versechsfachung seit 2000.

In diesem Sommer erhalten Krankenschwestern pro verschobene Sommerurlaubswoche eine Prämie von 1.600 Euro. Doch Norwegen lockt. Und wieder warnen Ärzte und Schwestern vor laufender Kamera, sie könnten die Sicherheit der Patienten nicht garantieren. Alles wie immer.

Foto: APA/EPA/JONAS EKSTROMER / TT

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Markus Bernath aus Griechenland

Einen Spitalbesuch sollte man in dieser Zeit tunlichst vermeiden. So sagen es die Griechen. Es gibt die Geschichte vom Patienten, der schon im OP des größten Krankenhauses in Athen lag, bereit für die Implantierung eines Herzschrittmachers, als der Buchhalter kam und den Eingriff abbrechen ließ. Der Patient hatte nicht genug Geld.

Nirgendwo ist Griechenlands Zerrüttung durch die Finanzkrise sichtbarer als im Gesundheitswesen. Die öffentlichen Spitäler sind völlig überlastet, fahrlässig unterfinanziert, schwer getroffen von der Massenauswanderung ihrer Ärzte, die lieber in Großbritannien oder Deutschland praktizieren als für 1.500 Euro im Monat in einem Misere-Spital in Athen oder Thessaloniki.

Überfüllte Ambulanzen, gekürzte Budgets

Unter dem Druck der Kreditgeber ist Griechenlands Gesundheitssystem seit 2010 sukzessive abgebaut worden. Arbeitslose verlieren seit einer Gesetzesänderung nach kurzer Zeit ihren Anspruch auf eine Krankenversicherung. 2,5 Millionen Griechen sind nach Angaben der linksgeführten Regierung derzeit in dieser Situation. Ein Gesundheitsminister der Konservativen versuchte 2014, diesen Missstand zu korrigieren, und verpflichtete die staatlichen Spitäler zur kostenfreien Versorgung Unversicherter.

Die Zahl der Patienten in der Ambulanz ist seither um ein Drittel gestiegen, die Budgets aber müssen weiter jedes Jahr gekürzt werden. 20 bis 50 Euro Selbstbehalt für Besuche in Arztpraxen können sich viele nicht mehr leisten. Das spüren längst auch die privaten Kliniken.

Foto: EPA/SIMELA PANTZARTZI

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Adelheid Wölfl aus Bosnien-Herzegowina

Sie stehen in der Fußgängerzone oder vor dem Supermarkt, haben einen Karton mit dem Bild eines Kindes vor sich aufgestellt und sammeln für eine Operation – in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo ist das eine normale Straßenszene. Das Gesundheitssystem ist mehr als löchrig. Viele Menschen haben überhaupt keine Krankenversicherung, vor allem jene, die zwar arbeitslos, aber nicht arbeitslos gemeldet sind. Viele arbeiten schwarz.

Die meisten dieser Leute gehen einfach gar nicht zum Arzt, wenn sie krank sind. Oder sie bitten ihre versicherten Bekannten oder Verwandten, an ihrer Stelle Medikamente zu kaufen.

Kein staatliches Gesundheitsministerium

Das Versicherungssystem spiegelt auch die Nachkriegsgesellschaft wider. Leute, die in Not sind und dringend eine Krankenversorgung bräuchten, können sich diese nicht leisten. Andere, die eine Sonderstellung haben, werden kostenlos versorgt, ob sie bedürftig sind oder nicht. Das gilt etwa für Kriegsveteranen. Auf der gesamtstaatlichen Ebene gibt es nicht einmal ein Ministerium, das für Gesundheit zuständig ist.

Das wichtigste Krankenhaus befindet sich in Banja Luka. Deshalb werden Leute aus Sarajevo mit dem Bus dorthin geschickt. Das Gesundheitssystem ist zudem von parteipolitischen Interessen unterlaufen, und das bedeutet gleichzeitig: von ethnischen Quoten. In einigen Städten wird Klinikpersonal strikt nach ethnischer Quote gesucht. Wenn gerade ein Bosniake gesucht wird und ein Serbe sich bewirbt, hat Letzterer Pech.

Foto: APA/EPA/FEHIIM DEMIR

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Jan Marot aus Spanien

Guter Rat ist nicht teuer: "Trinken Sie erst einen Lindenblütentee", hört man selbst oder aus dem Bekanntenkreis wiederholt, wenn man sich an die Telefonauskunft des Andalusischen Gesundheitsdienstes (SAS) wendet. Sollte es wehtun, folgt zumeist der Hinweis: "Nehmen Sie doch eine Ibuprofen- oder Paracetamol-Tablette." Selbst wenn der gut gemeinte Tipp nicht immer die erhoffte Heilung bringt, so hat man dennoch im Fall der Fälle rasch einen Termin in einem der zentralisiert organisierten Gesundheitszentren.

Rezeptgebühren oder Ambulanz-Selbstbehalte sind nun die Regel. Viele gängige Medikamente werden nicht mehr durch die Kasse gedeckt. So gab knapp ein Fünftel (22 Prozent) in Umfragen an, "wegen hoher Kosten vom Kauf eines Präparats abgesehen zu haben". Folglich wandern mehr und mehr in die private Krankenversorgung ab, wie aktuelle Zahlen des Versicherungsverband ICEA belegen. Bereits ein Viertel, in Summe mehr als 10,5 Millionen, haben Zusatzversicherungen. Nicht miteinbezogen sind hierbei Polizzen für Zahn- und Kieferbehandlungen.

Bis zu sechs Monate Wartezeit

Wartezeiten, sei es auf einen Arzt- oder einen Operationstermin, sind mit den mageren Krisenjahren deutlich angestiegen. Daten hierzu werden aber seitens des SAS nicht mehr publik gemacht, kritisieren Medizinergewerkschaften: Bis zu sechs Monate wartet man auf eine Darmspiegelung zur Krebsfrüherkennung.

So ist es auch der Spitzenforschung, beispielsweise in der Onkologie, zu verdanken, dass sich die Mehrheit der Spanier bei einer (Krebs-)Erkrankung noch immer hier im öffentlichen Spital behandeln lassen würde. Spanier gelten ja als geduldig. Sollte gar ein Organ oder schlimmstenfalls alle versagen: In keinem Land gibt es mehr Spender. Ein jeder zählt dazu, sofern man nicht schriftlich widerruft.

Foto: APA/EPA/JAVIER BELVER

Birgit Baumann aus Deutschland

Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt – so loben Politiker regelmäßig die medizinische Versorgung in der Bundesrepublik. Was dabei nicht erwähnt wird: Es ist auch eines der teuersten. Und dennoch befürchtet die Hälfte der Bundesbürger, dass sich die Versorgung in den nächsten zehn Jahren verschlechtern wird.

Die medizinische Grundversorgung ist in Deutschland natürlich gewährleistet, doch auch dort bekommen Kranke nicht mehr alles bezahlt. Deutschland hat die sogenannten IGEL-Leistungen eingeführt ("individuelle Gesundheitsleistungen"). Das bedeutet: Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht zur Übernahme der Kosten verpflichtet, etwa beim Hautscreening oder der Glaukom-Früherkennung. 1,3 Milliarden Euro geben Versicherte dafür im Jahr aus.

Privat zahlt sich aus

Gesetzlich Versicherte (das sind rund 90 Prozent der Krankenversicherten) sind auch in anderen Fällen schlechter gestellt. Nach wie vor müssen viele von ihnen nicht nur im Wartezimmer, sondern auch auf nicht lebensnotwendige Operationen länger warten als jene Patienten, die privat versichert sind.

In Deutschland kann man sich nicht nur privat zusatzversichern, sondern auch anstatt der gesetzlichen eine private Vollversicherung wählen. Dies ist aber nur Selbstständigen, besser verdienenden Angestellten und Beamten vorbehalten. Es gibt keine Mitversicherung von Familienmitgliedern, diese müssen alle einzelne Verträge abschließen. Eine private Krankenversicherung kann auch Interessenten abweisen, wenn absehbar ist, dass deren Behandlung teuer wird. (Birgit Baumann, Markus Bernath, Stephan Brändle, Jan Marot, Anne Rentzsch, Adelheid Wölfl, 25.8.2015)