Bild nicht mehr verfügbar.

Seit Mittwoch werden im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen neu ankommende Flüchtlinge nicht mehr aufgenommen, sondern mit Bussen in andere Unterkünfte gebracht.

Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Vor dem Tor des Flüchtlingslagers Traiskirchen stehen rund zwanzig Männer, Frauen und Kinder. Sie warten, um durch die Sperre aufs Areal gelassen zu werden, wo jenseits des Zaunes auf den Rasenflächen dicht an dicht kleine Campingzelte aufgebaut sind.

Die Wartenden gehören zu den rund 4.500 Menschen, die auf dem Areal wohnen, die meisten von ihnen im Freien, ohne festes Dach über dem Kopf. Mehrere Dutzend Menschen schlafen seit Tagen draußen, auf der Straße: Ein junger Mann erzählt, er habe im Lager mehrere Standkontrollen versäumt und dürfe nicht mehr hinein. Informationen, was er jetzt tun könne, habe er nicht.

Wer neu in Traiskirchen ankommt, wird seit Mittwoch null Uhr im Lager nicht mehr aufgenommen. Hinein darf er oder sie nur für kurze Zeit, für die polizeiliche Erstbefragung und den Gesundheitscheck. Dem folgt die Überstellung in andere Quartiere. Immer wieder verlassen Busse das Lager.

Zwar fänden laufend Übernahmen von Flüchtlingen in den Ländern statt, und es gebe Bundes-Überbrückungsquartiere. "Aber nach wie vor beantragen täglich mehr Menschen Asyl, als es neue Plätze in den Ländern gibt. Von einer Trendumkehr ist nicht die Rede", sagt ein Innenministeriumssprecher.

"Zuordenbarer Schlafplatz"

Grundlage des Aufnahmestopps ist ein Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden: eine dem STANDARD vorliegende sanitätsrechtliche Maßnahme auf Basis unter anderem des Tuberkulose- und Epidemiegesetzes sowie der Absonderungsverordnung. Sie untersagt Neuaufnahmen, bis alle im Lager untergebrachten Asylwerber einen "geeigneten, jederzeit zuordenbaren, auffindbaren Schlafplatz" haben.

Auch müssten jene 92 Asylwerber, die laut Landessanitätsbehörde vor einer Woche im Lager "zwar registriert", nicht aber auf Tuberkulose untersucht worden waren, aufgefunden und lungengeröntgt werden. Darüber sei der Behörde ein schriftlicher Bericht abzuliefern. Lager-Insider berichten, dass mit zunehmender Überbelegung zuletzt weniger die Angst vor Tuberkulose als vielmehr vor dem Ausbruch etwa von Masern und Feuchtblattern geherrscht habe.

Auch die Volksanwaltschaft fand laut einem am Mittwoch präsentierten Überprüfungsbericht im Zentrum Traiskirchen eine "erschütternde Lage" vor, wie Volksanwalt Günther Kräuter (SPÖ) berichtete. Am 15. Juli hätten sich 3.828 Personen auf dem Gelände befunden; bei 1.588 habe es sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, also alleinreisende unter 18-Jährige, gehandelt. Etwa die Hälfte von den Minderjährigen habe kein Bett gehabt.

"Immer die Letzten"

"Traiskirchen ist nicht in der Lage, mit so vielen Kindern und Jugendlichen umzugehen", sagte Rechtsanwalt und Kommissionsleiter der Volksanwaltschaft Franjo Schruiff. Die Minderjährigen seien immer "die Letzten", etwa bei der Essensausgabe, denn sie würden sich am Gelände oft nicht zurechtfinden und hätten keine Unterstützung.

Dazu komme, dass sie nicht betreut würden: "Sie sitzen und warten. Es gibt keinerlei Aktivitäten für sie." Das Nichtstun sei für die traumatisierten Kinder und Jugendlichen das Schlimmste, meinte Anahita Tasharofi, Gründerin des Vereins "Flucht nach vorn". Derzeit gebe es im Lager nur zwei Psychologinnen.

Medizinische Versorgung mangelhaft

Auch die medizinische Versorgung im Zentrum lässt laut Volksanwaltschaft grob zu wünschen übrig. Es gebe nicht genug Personal. "Wir haben Schwangere gesehen, die auf Kartons im Freien schlafen", erzählte Schruiff.

Zudem seien die Sanitäranlagen in einem schlechten Zustand. "In den Duschen stinkt es, und es gibt nicht einmal Vorhänge." Für die Volksanwaltschaft stelle sich die Frage, "welche Menschenrechte eigentlich nicht verletzt werden". Schruiff warnte davor, dass sich die Situation nicht bessern würde, wenn die Bundesländer in ihren Quartieren nur Neuankömmlinge aufnehmen würden. Die Menschen aus Traiskirchen müssten dringend verlegt werden. "Die obdachlosen Flüchtlinge sind jetzt schon zerstochen von den Gelsen, aber was passiert, wenn es in zwei Monat kalt wird?"

Wien schafft weitere Quartiere

Um die Situation in Traiskirchen zu entlasten, erklärte sich die Stadt Wien bereit, weitere junge Flüchtlinge aus dem Lager aufzunehmen. Anfang kommender Woche werden 45 junge Burschen nach Wien geholt, verkündete Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ).

Schon vergangene Woche hatte Wien zugesagt, alle weiblichen unter 18-Jährigen aus Traiskirchen nach Wien zu übersiedeln. Am Freitag wurden 22 Mädchen nach Ottakring gebracht. Aktuell leben in Wien 490 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. (bri, cmi, krud, ook, 5.8.2015)