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STANDARD: Die Neos sind übermotiviert gestartet, wurden gehypt und durchlaufen einen Ernüchterungsprozess. Wie schaut der typische Neos-Wähler aus, Herr Rubey?

Rubey: Wahrscheinlich so ähnlich wie wir zwei. Männlich mit äußerlich einem Hang zum Geschleckten. Ich verbinde neoliberal mit Grasser-Typen, deswegen umschiffen das die Neos auch. Rein vorurteilsmäßig kommt alles aus dem ÖVP-Dunstkreis.

Strolz: Gerade in Ihrer Community gibt es viele Vorurteile gegen die Neos. Sind das jetzt wirklich Gute oder nur neoliberale Säcke? Das tut mir weh. Aber bei mir ist die Neos-Wählerin eine Frau, 36, wohnt in einer Stadt und hat zwei Kinder. Sie ist bildungsaffin, strampelt sich zwischen all den verschiedenen Aufgaben ab und kauft Bioprodukte.

STANDARD: Das ist die klassische Grün-Wählerin.

Strolz: Sie hat Grün gewählt, jetzt aber Neos, weil sie bei uns mehr wirtschaftliche Vernunft findet.

STANDARD: Die Neos sind durch Aktionismus und Überdrehtheit aufgefallen. War das zu viel?

Strolz: Ich bin schon längst nicht mehr überdreht. Wir müssen aber unsere Inhalte öffentlichkeitstauglich inszenieren, sonst kommen wir nicht vor. Meine Rede über den Überwachungsstaat haben über 600.000 Menschen auf Youtube gesehen. Ich hatte nur eine simple Überwachungskamera dabei und habe Norbert Darabos anvisiert. Das muss drin sein.

Manuel Rubey (li.) warnt davor, Populismus der FPÖ zu überlassen. Matthias Strolz fordert, bei Hasspostings Haltung zu zeigen. Eine Kündigung ist okay, wenn Betroffene eine zweite Chance bekommen.
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STANDARD: Muss ein Politiker eine Rampensau sein, Herr Rubey?

Rubey: Es ist sicher kein Nachteil. Als die Neos kamen, habe ich auf einen guten Populisten gehofft, der sich Strache entgegenstellt. Wenn man zu sehr ins Detail geht, hören die Leute nicht zu.

Strolz: Populismus darf nicht nur der Rechten gehören, das halte ich für strategisch und inhaltlich falsch. Ich wäre gerne ein guter Populist. Wir sind aber auch der intellektuellen Redlichkeit verpflichtet. Die Zuspitzung ist immer eine Gratwanderung. Dem blanken Populismus darf man sich nicht hingeben.

STANDARD: Wie kann man das Asylthema positiv populistisch besetzen?

Strolz: Asyl braucht Menschlichkeit, auch das ist eine Zuspitzung.

Rubey: Die FPÖ hat mit den Schildern den Höhepunkt an Schrecklichkeit erreicht. Der Bundespräsident wäre gefordert, zu zeigen, dass wir miteinander reden können. Es sind Menschen, die zu uns kommen. Das geht unter.

Strolz: Wir haben viel gemacht, ohne mediale Inszenierung. Mir zieht es alles zusammen, einzelne Schicksale ins Scheinwerferlicht zu ziehen. Mit Leid sollte man kein politisches Geschäft machen, obwohl ich weiß, dass wir dem FPÖ-Getöse etwas Emotionales entgegensetzen müssen. Ich habe nur keine Antwort.

"Es ist einfach zu sagen, dass es an den Menschen liegt, die zu uns kommen. Das ist Bullshit", sagt der Schauspieler Manuel Rubey.
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STANDARD: Herr Rubey, Sie haben in einem Interview gesagt: "Wenn ich auf Facebook Gutmenschensachen poste, verliere ich ein paar Likes". Wieso?

Rubey: Gutmensch ist so ein FPÖ-Terminus. Leute, die nachdenken, werden als Gutmenschen verunglimpft. Mir ist die Thematik sehr wichtig, obwohl ich finde, dass Kulturmenschen nicht überall etwas dazu sagen müssen. Wir machen immer wieder Veranstaltungen und sammeln Spenden, aber ich würde es am liebsten nicht groß kundtun.

STANDARD: Aus Angst vor negativen Reaktionen?

Rubey: Nein. Das ist wichtig. Ich versuche mit jedem zu diskutieren, auch wenn es nur Millimeterarbeit ist. Es müssen ja in jedem Bekanntenkreis FPÖ-Sympathisanten sein, sonst geht sich das statistisch nicht aus.

STANDARD: Was sagen Sie dann?

Rubey: Ich versuche klarzumachen, dass es auch eine Chance ist. Es geht nicht um die Frage, ob wir das wollen oder nicht, die Menschen werden weiterhin kommen, und wir können das gut lösen, wenn wir uns dem gemeinsam stellen. Wenn wir verhärten, kommt der Faschismus. Dann brennt und kracht es wieder.

Strolz: Es ist wichtig, Zuversicht zu geben. Wenn man es populistisch erzählen will, muss man eine einzelne Person herausnehmen und kommunikativ shoppen gehen. Das Mädchen, das zur Abkühlung durch den Wasserstrahl der Feuerwehr gelaufen ist, hat am meisten die Herzen erwärmt.

STANDARD: Verstehen Sie die Ängste der Menschen?

Strolz: Sie sind hin- und hergerissen. Jeder Mensch, der sagt, er habe keine negativen Reflexe, lügt. Wir haben riesige Herausforderungen, die Österreich nicht allein lösen kann. Wenn wir jeden Konfliktherd mit fünf Jahren Verspätung erkennen und keinen sinnvollen Beitrag leisten, wie in Syrien oder der Ukraine, dann können wir uns nicht beschweren, wenn die Leute kommen – tot oder lebendig. Sie werden kommen. Wir brauchen kurzfristige und langfristige Lösungen. Die sehe ich nicht.

Rubey: Eine Völkerwanderung hat es immer gegeben. Die Angst rührt daher, dass viele Sicherheiten zu Bruch gehen. In unserer Elterngeneration galt noch: Wenn man sich nicht komplett deppert anstellt, wird das Leben wirtschaftlich besser. Das stimmt heute nicht mehr. Es ist einfach zu sagen, dass es an den Menschen liegt, die zu uns kommen. Das ist Bullshit. Man muss versuchen, die Ängste ernst zu nehmen, aber gleichzeitig zeigen, dass die Zusammenhänge nicht so bestehen, wie sie von rechts vermittelt werden.

"Ich bin längst nicht mehr überdreht. Wir müssen aber unsere Inhalte öffentlichkeitstauglich inszenieren", sagt Neos-Chef Matthias Strolz.
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Strolz: Wir haben im letzten Jahr 200 Millionen für Asylwerber ausgegeben, wenn wir heuer doppelt so viele nehmen, sind es 400 Millionen. Wir geben aber für Sinnlosigkeiten Geld aus: Im Bildungsbudget fehlen uns 600 Millionen, wir bohren Löcher durch die Berge, die wir nicht brauchen, die Hypo kostet Milliarden. Asyl ist ein drängendes Problem, aber nicht das größte Österreichs.

STANDARD: Es gibt in den sozialen Netzwerken teils sehr heftige Reaktionen und Hasspostings. Ist Kündigung die richtige Antwort?

Strolz: Das ist okay. Die Menschen müssen sehen, dass sie Verantwortung für ihr Tun übernehmen müssen. Auch in einer anonymen Umgebung wie Facebook. Die Antworten darauf müssen klar sein. Dass diese Menschen eine zweite Chance verdienen, halte ich für ebenso wichtig. Man kann nicht zu allem sagen, dass es eh wurscht ist. Es ist eben nicht wurscht.

STANDARD: Wenn ein 17-jähriger Lehrling nach einem Hassposting gekündigt wird, kann es seinen Frust auch weiter steigern.

Rubey: Definitiv. Deswegen muss man ihn gezielt abholen. Gleichzeitig waren das große Unternehmen wie Spar, ÖBB oder Porsche, die Haltung zeigen müssen. Auch das ist wichtig.

Strolz: Für die Betroffenen ist es hart und unangemessen, dass das medial verhandelt wird. Aber es muss an einem Fall festgemacht werden. Als Vater tut's mir schiach. Er wird einen Einschnitt in seinem Lebenslauf haben.

Rubey: Als Vater muss man sich aber fragen, wie es dazu kommt.

Strolz: Schön wäre es, wenn er eine zweite Chance bekäme und das auch öffentlich berichtet wird.

STANDARD: Das Thema Schule ist Ihnen beiden wichtig. Herr Rubey war in einer Waldorfschule ...

Strolz: ... und kann seinen Namen tanzen.

Rubey: Das ist eine STANDARD-Legende, ich habe es großspurig behauptet, und im Video kam heraus, dass ich es eh nicht kann.

STANDARD: Ihre Tochter geht jetzt in eine öffentliche Schule mit hohem Migrantenanteil. War es die richtige Wahl?

Rubey: Das Bildungssystem insgesamt ist selten eine gute Wahl. Wir leben im 15. Bezirk. Wir wollten keine Privatschule, weil unsere Kinder viele Leute kennen, die Außenpositionen in der Gesellschaft einnehmen. Deswegen war es uns wichtig, dass die Schule einen anderen Teil der Realität abbildet. Trotz aller Schreckensgespenster funktioniert die Schule sehr gut. 70 Prozent Nichtmuttersprachler, zwei Lehrerinnen für 22 Schüler, das ist super.

STANDARD: Würden Sie Ihre Töchter in eine Schule mit 70 Prozent Migrantenanteil geben, Herr Strolz?

Strolz: Das kommt auf die Förderung an. Wenn es dem Zufall überlassen ist, dann habe ich damit ein Problem. Bei guter Förderung bin ich Freund einer Zweitsprache. Ich differenziere nicht zwischen Türkisch und Englisch. Es gibt keine guten Sprachen, auch Türkisch soll Maturafach sein.

Rubey: Woran scheitert es, dass nichts weitergeht?

Strolz: Bei Bildung und Integration müssen wir drei Jahrzehnte aufholen. Viele in der Regierung sagen, dass wir zu viel Geld für Bildung ausgeben. Das stimmt aber nicht. Wir fallen bei den Bildungsinvestitionen zurück, obwohl sie im OECD-Durchschnitt gestiegen sind. Das halte ich für einen Schwachsinn – volkswirtschaftlich und humanistisch.

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STANDARD: Ein Thema, das die Neos spaltet, ist Religion: Sind Sie religiös, Herr Rubey?

Rubey: Nein, nicht mehr. Das Gebot der Stunde wäre, Religion zu überwinden. Jede Religion ist Verantwortungsabgabe, auch die katholische. Wenn man sieht, was geschichtlich unter dem Wappen der Religionen passiert ist, dann ist es nicht mehr aufzurechnen mit ein paar guten Beispielen. Was unter Religion ständig aufgeführt wird, macht mir Angst. Religion müsste man hinter sich lassen.

Strolz: Das ist eine Utopie.

Rubey: Natürlich ist es utopisch.

Strolz: Wenn wir Religionen abschaffen, tauchen sie in anderem Kleid wieder auf. Ich verstehe den Gedanken, aber ich bin zwischen Pragmatismus und Spiritualität zu Hause. Der Mensch hat eine spirituelle Dimension, und die wird sich immer in Organisationen zusammenfassen, auch wenn viele Rattenfänger dabei sind. Religionsgemeinschaften sind aber wichtige gesellschaftliche Akteure.

STANDARD: Wie halten Sie es mit der Religion, Herr Strolz?

Strolz: Ich bin ein spiritueller Mensch.

STANDARD: Ist das eine Kombination aus Religion und Esoterik?

Strolz: Nein, ich habe einen Gottesbegriff für mich, den ich nicht in Worte fassen kann.

Rubey: Das ist doch ein bisschen das Problem der Neos, sie sind nicht greifbar. Sie wollen immer alles mit reinpacken.

Strolz: Wir wollen einen verpflichtenden, überkonfessionellen Ethik- und Religionenunterricht, das ist eine klare Haltung.

Rubey: Sie lassen sich nicht festnageln.

Strolz: Weil Religion Privatsache ist. Sie ist nicht Teil unseres Programms. Daher hat Niko Alm mit Nudelsieb bei uns genauso Platz wie ein katholischer Kirchgänger. (Marie-Theres Egyed, Video: Maria von Usslar, 8.8.2015)