Die freundlichen Menschen von der Feldküche haben mich diesen Sommer zu ihrer "Waldwerkstatt" in der alten Krupp-Jagdvilla am Hubertussee eingeladen: Künstler machen Waldkunst, Köche kochen mehrgängige Waldmenüs, und dazwischen dürfen Amateure wie ich zum Amüsement aller Anwesenden ein wenig experimentieren und pfuschen. Das Thema der Veranstaltung: "Wild". Das schien mir der passende Anlass, mir einen langjährigen Traum zu erfüllen – und ein Wildschwein in einem Erdloch zu kochen.

Foto: Darko Todorovic

Der Erdofen, so scheint's, ist eine der ältesten Formen des Kochens, noch heute ist er (etwa hier und hier) in Verwendung. Das Prinzip ist bestechend einfach: Man gräbt ein großes Loch, lässt darin ein Feuer niederbrennen und gräbt dann sein Essen samt den glühenden Kohlen ein. Wenn alles gutgeht, verwandelt die langsame, gleichmäßige, rauchige Hitze das Gargut in eine saftig-weiche Köstlichkeit. Ein paar Stunden später gräbt man sein Essen wieder aus und genießt die Mutter allen Barbecues.

Als Teenager haben wir das immer wieder einmal mit Forellen und Lachsen geübt (köstlich), an einem wagemutigen Abend haben wir uns auch an einem Huhn versucht (medium rare). Die Königsdisziplin des Erdloch-Kochens, das ganze Schwein, wurde dabei am Lagerfeuer und über jeder Menge Dosenbier zwar stets besprochen und herbeigesehnt – wir haben es dann aber doch nie gewagt, es umzusetzen. Als die Lagerfeuerabende seltener wurden, habe ich das Projekt irgendwann vergessen. Bis die Feldküche-Menschen sich gemeldet haben. Die haben mir nicht nur ein Wildschwein besorgt, sondern auch noch eine Wiese, zwei Schaufeln und Helfer zur Verfügung gestellt. Gemeinsam haben wir uns an die "Drecksau" (© Christoph Fink) gewagt.

Foto: TObias Müller

Weil ich zwar vielleicht exzentrisch, aber nicht größenwahnsinnig bin, habe ich die Feldküche-Leute (bzw. deren Sponsoren, die Bundesforste) gebeten, mir wahlweise einen Wildschweinkopf (fett, handlich, gut) oder einen Frischling (zart, handlich, gut) für das Experiment zu besorgen. Es hat sich gezeigt, dass der Jäger und ich sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, was ein Ferkel ist.

Als wir in die Jagdkammer gekommen sind, hing dort ein Jungschwein, das in etwa die Größe eines erwachsenen Rottweiler-Rüden hatte. Das Loch für dieses Tier hätte die Dimensionen eines Grabes gehabt, das nötige Feuer jene eines mittelgroßen Scheiterhaufens.

Foto: TObias Müller

Ich habe mich daher von der Ganzschwein-Idee verabschiedet und das Biest mehr oder weniger fachmännisch zerlegt (ich kann jetzt stolz sagen: Wer einen Hasen auseinandernehmen kann, wird auch mit einem Wildschwein fertig). Vergraben haben wir dann ein Vorderbein samt Schulter, den Kopf samt dem Nacken und den eingerollten Bauch.

Um auf Nummer sicher zu gehen, haben wir das Schwein die ganze Nacht und den halben Vormittag schmoren lassen. Meine Erleichterung war groß, als ich in der Früh zum Erdloch gegangen bin, meine Hand daraufgelegt habe und die Erde sich deutlich warm angefühlt hat. Und es hat mich dann selbst überrascht, wie genussvoll essbar zumindest Teile des Ergebnisses waren. Vorweg: Ein im Erdloch geschmorter Wildschweinbauch ist ganz köstlich.

Die Krupp-Villa kann man übrigens von den Bundesforsten für 4.000 Euro im Monat mieten. Wenn Sie ein Wes-Anderson- oder David-Lynch-Fan sind und etwas Geld übrig haben: Sie werden es nicht bereuen, auch wenn Sie kein Erdschwein planen.

"Drecksau" (Wildschwein, im Erdloch gegart)

Was Sie brauchen:

Jede Menge Steine oder Ziegel: Damit wird das Loch ausgelegt. Wenn das Feuer brennt, speichern sie die Hitze und garen später Ihr Fleisch. Wir haben alle Pfadfinder-Ratschläge in den Wind geschlagen und die Steine am Fluss unterhalb der Villa gesammelt, weil sie dort am größten waren. Uns ist nix passiert. Wenn Sie das auch machen: Halten Sie sich vom Feuer fern, es herrscht angeblich Explosionsgefahr.

Foto: TObias Müller

Einen Spaten und/oder eine Schaufel: Selbsterklärend.

Viel Feuerholz: Mit ein paar Ästen ist es hier nicht getan, setzen Sie besser auf ordentliche Scheite.

Grüne Äste und Blätter: Die werden später zwischen die heißen Steine/Kohlen und das Schwein gepackt – das schützt das Tier einerseits davor, zu verkohlen, andererseits erzeugen die Blätter Dampf, der den Garprozess beschleunigt und verbessert, weil er die Hitze besser überträgt als Luft. Achten Sie darauf, dass Ihre Blätter essbar sind: Ich habe im Wald frische Buchenzweige und, für den Geschmack, Fichtenäste geschnitten.

Ein Jutesack: Der Sack wird nass gemacht und kommt über die Blätter, bevor das Schwein zugeschüttet wird. Das sorgt einerseits für zusätzlichen Dampf, andererseits macht er es später leichter, das Tier wieder auszugraben, weil er verhindert, dass allzu viel Erde auf die Äste und das Gargut rieselt.

Eine Rolle Alufolie: Die Hawaiianer packen ihr Erdschwein in Bananenblätter. Ich habe kurz von Huflattich-Blättern fantasiert, mich dann aber auch wegen geschmacklicher Bedenken doch für dieses Zugeständnis an die Moderne entschieden.

Gargut: Das Prinzip funktioniert mit jedem Tier und auch mit jeder Menge Gemüse (wir hatten ganz köstliche Krautköpfe in Hollersirup) – Sie müssen sich also nicht gleich ein ganzes Schwein antun. Generell gilt: Fleischteile, die sich für langes Schmoren eignen, sind die besten. Greifen Sie daher lieber zu Bauch, Stelze oder Schulter statt Filets.

Foto: Nina Keinrath

Graben Sie ein Loch, in das Ihr Gargut problemlos hineinpasst. Unseres war wohl etwa einen Meter lang, einen halben Meter breit und ebenso tief. Das hat gereicht, um Kopf, Schulter, Bauch und zwei Krautköpfe zu verbuddeln.

Foto: TObias Müller

Legen Sie den Boden und die Wände des Lochs mit Steinen aus – je mehr, desto besser, die Steine sind später Ihre Haupthitzequelle. Zünden Sie ein großes Lagerfeuer in dem Steinbecken an, legen Sie mehrmals nach, und lassen Sie schließlich alles niederbrennen, sodass Sie zwar jede Menge Glut, aber keine Flammen mehr haben. Wir haben unser Feuer etwa zwei Stunden lodern lassen, bevor wir mit dem Gluthaufen zufrieden waren.

Foto: Nina Keinrath

Während das Feuer brennt, würzen Sie Ihr Gargut. Für das Schwein habe ich Salz, Pfeffer, Knoblauch und Marillen genommen, die Krautköpfe habe ich mit hausgemachtem Hollersirup übergossen. Den Bauch habe ich zudem wie Pancetta eingerollt. Wickeln Sie alles gut in Alufolie ein, sodass es im Loch nicht mit der Erde in Kontakt kommt.

Foto: Nina Keinrath

Schieben Sie die Glut, so gut Sie können, mit der Schaufel an ein Ende des Lochs und bauen Sie eventuell eine Steinwand zwischen dem Glutlager und dem Rest des Lochs.

Foto: Nina Keinrath

Ganz werden Sie die Glut nicht vom Steinboden kratzen können, aber das macht nichts. Legen Sie die Hälfte Ihrer grünen Äste und Blätter hinein, packen Sie Ihr Gargut darauf, und decken Sie alles erst mit den restlichen Ästen und Blättern und dann mit dem nassen Jutesack ab.

Foto: Nina Keinrath
Foto: Nina Keinrath

Nun schaufeln Sie das Loch wieder zu und warten – für größere Fleischteile gern über Nacht, für kleinere wie ein Huhn auch nur drei Stunden.

Foto: Sarah Kelly

Wir hatten leider kein Funkthermometer in dem Loch, weswegen ich nur grob weiß, wie warm es darin war.

Foto: Sarah Kelly

Das Fleisch war nach etwa zwölf Stunden ziemlich perfekt geschmort, das Kraut war je nach Lage schön weich bis etwas knackig, die Erdäpfel, die testweise hineinkamen, waren hingegen ungenießbar. Ich nehme daher an, dass unser Loch in etwa zwischen 80 und 100 Grad gehabt haben wird – genug für Schwein, zu wenig für Kartoffeln.

Das absolute Highlight des Experiments war der Bauch: saftig, weich, köstlich.

Foto: Katharina Krutisch

Der Nacken und der Vorderlauf waren ebenfalls perfekt gegart, der Kopf ist – leider – ein wenig ausgetrocknet. Ich nehme an, dass es auch am Wildschwein lag: Das hat deutlich weniger Fett als ein Hausschwein, und außerdem muss man vor dem Kochen wegen der Borsten die isolierende Haut abziehen.

Foto: Nina Keinrath

Servieren Sie Ihr Erdtier mit waldigen Beilagen (Eierschwammerln? Fichtennadel-Kartoffeln?), genießen Sie Ihren Triumph über Bequemlichkeit, Elemente und Vernunft, und fragen Sie sich nicht, wie das alles wohl im stinknormalen Ofen geworden wäre.

Foto: Katharina Krutisch

Richtigstellung: Weil wir hier gerade beim Kochen in Erdlöchern sind – hier eine Richtigstellung. Ich habe in meiner letztwöchigen Restaurantkritik geschrieben, dass Barbacoa in Mexiko meist in Bananenblättern geschmorte Ziege sei. Das ist Unsinn: Es sind natürlich Agavenblätter, in denen das Tier geschmort wird. Ich weiß nicht, wie das passiert ist, vielleicht war ich in Gedanken noch zu sehr bei diesem Artikel – ich bitte jedenfalls um Entschuldigung. (Tobias Müller, 9.8.2015)