Das Haus in Wien-Mariahilf wurde inzwischen generalsaniert. Der letzte verbliebene Altmieter war in einem Bereich, für den er keinen Schlüssel hatte, tot aufgefunden worden.

Foto: Anja Melzer

Wien – Bäuchlings und mit ausgestreckten Armen lag Cafer I. am 2. August 2014 unter Baugittern im Hauseingang, seine Schuhe und seine Brille lagen neben seinen Füßen. Für die ermittelnden Behörden war damals rasch klar: Der Pensionist war erstickt. Hergang und Hintergründe wird wohl niemand so genau erfahren – denn die Ermittlungen wurden, wie der STANDARD erfuhr, nun eingestellt. Laut der vorliegenden Einstellungsbegründung gebe es keinerlei Hinweise auf Fremdverschulden. Und damit auch keinen Grund, weiter zu ermitteln.

Der Fall hatte vor ziemlich genau einem Jahr jede Menge Staub aufgewirbelt. Cafer I. war bis zu seinem Tod der letzte Mieter in einem der letzten unsanierten Häuser im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Trotz angeblicher Schikanen durch den Hauseigentümer, der in dem Gebäude Luxusimmobilien errichten will, war er auf der Baustelle wohnen geblieben. Bis zum 2. August 2014, einem Samstag. Kurz vor seinem Tod war er noch, wie jeden Morgen, beim Bäcker; die Topfengolatsche lag verpackt auf dem Küchentisch.

Vorwurf: Unzureichend ermittelt

Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall nun beendet, sie geht von einem Unfall aus. Für die Wiener Anwältin Nadja Lorenz, die die Familie des Verstorbenen vertritt, liegt das aber vor allem daran, dass die Behörden nur unzureichend ermittelt haben. Schon im Frühjahr warf sie der Anklagebehörde "Planlosigkeit" vor, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Sie kritisiert, dass wichtige Zeugen entweder spät oder gar nicht einvernommen wurden. Außerdem wurde eine Spurensicherung erst acht Wochen nach dem Tod veranlasst, blutverschmierte Gegenstände sind bis vor kurzem nicht untersucht worden.

Die Kernfrage ist aber nach wie vor ungeklärt. Denn tatsächlich wurde I.s Leiche in einem eigentlich abgesperrten Teil des Hauses gefunden – das Opfer hatte dafür keinen Schlüssel. Wie kam er also dorthin? War der Bereich doch nicht so abgesichert wie von der Bauleitung der Baustelle angegeben? Außerdem waren dort Baugitter gelagert. Waren diese wie vorgeschrieben an der Wand fixiert oder nur provisorisch angelehnt?

Hauptermittler: "Nicht glaubwürdig"

In der Einstellungsbegründung der Staatsanwaltschaft findet sich dazu lediglich die Aussage eines Bauarbeiters, der angibt, dass alles "mit ein wenig Draht" befestigt war. Dieser Draht wurde allerdings nie gefunden. Auffällig ist außerdem, dass sogar der Hauptermittler die Aussagen der Bauarbeiter als "nicht glaubwürdig" bezeichnet. Zum anderen beruft sich die Staatsanwaltschaft auf Angaben der Baupolizei – die jedoch zum Vorfallzeitpunkt gar nicht dort war. Der zuständige Permanenz-Ingenieur besuchte die Baustelle erst einige Tage nach dem Tod. Sicherheitstechnische Mängel konnte er da nicht mehr feststellen.

Gänzlich ausgeklammert werden von der Staatsanwaltschaft unter anderem die Aussagen derjenigen Zeugen, die den toten Cafer I. als Erste entdeckt haben. So wurde der Schlüsselzeuge erst neun Monate nach dem Tod einvernommen – und erst nachdem die Anwältin der Verwandten des Opfers dies beantragt hatte. Dieser Zeuge hatte noch am Abend des 2. August 2014 in einer E-Mail an die Polizei die ungesicherten Gitter geschildert. Auch Bildmaterial eines Anrainers, das die Gitter nur an die Wand angelehnt zeigt, wurde bei der Einstellung offensichtlich ignoriert.

Antrag auf Fortführung

Man hätte von Anfang an in alle Richtungen ermitteln müssen, sagt Rechtsanwältin Lorenz. Auch wegen Fahrlässigkeit. Dies sei nie geschehen. Sie stellte vergangene Woche einen Antrag auf Fortführung des Verfahrens. "Der Akt muss geprüft werden. Die Staatsanwaltschaft muss sich jetzt anschauen, wer die Verantwortung für die Baustellensicherung trägt", so Lorenz zum STANDARD. "Wer Bauarbeiten bestellt, muss dafür sorgen, dass sie so gesichert sind, dass niemand zu Schaden kommt – gerade wenn Menschen in dem Haus wohnen."

Für alle möglicherweise in Betracht kommenden Personen gilt die Unschuldsvermutung. (Anja Melzer, 10.8.2015)