Eminger (50), der im Aargau aufwuchs, ist in Basel daheim.

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Mehr als 150 Elite-Siege hat Eminger auf dem Rad gefeiert.

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Eminger in Aktion: Bei den Olympischen Spielen 1988 im Duell mit dem Niederländer Gerard Kemkers.

Vid Speedska-ting

Basel/Wien – "Nichts gegen die Öffentlichen", sagt Christian Eminger und meint Verkehrsmittel. "Aber ich brauche sie nicht." In Basel, wo Eminger lebt, sind die Öffentlichen gar nicht übel, das Straßenbahn- und Busnetz ist engmaschig und reicht dennoch weit. Aber Christian Eminger fährt Rad. Früher ist er auch gelaufen, auf Eis und schnell, so hat er sich in Österreich einen Namen gemacht, der oft in einem Atemzug mit dem Namen Michael Hadschieff fiel. Zuerst Hadschieff, dann Eminger, da hielten sich die Erwähnungen an die Ergebnisse.

Doch auch Emingers Resultate konnten sich sehen lassen. Am Ende der Karriere standen mehr als hundert Top-10-Platzierungen zu Buche, darunter ein Weltcupsieg über 5000 Meter in Innsbruck (1986), Silber über 5000 Meter bei der Mehrkampf-WM 1988 (Almaty) und Bronze über 10.000 Meter bei der Mehrkampf-WM 1985 (Hamar). Dreimal (1984, 1988, 1994) nahm Eminger an Olympischen Spielen teil, 1994 wurde er zweimal Zehnter. Das Olympiadebüt 1984 in Sarajevo hätte sich mit der Abschlussprüfung von Emingers Lehre (Maschinenzeichner) überschnitten, er schrieb einen Brief und durfte die Prüfung zwei Monate später ablegen.

Unguter Verband

Einer vierten Olympia-Teilnahme war 1992 der österreichische Eislaufverband im Wege gestanden, der Eminger nicht nominierte, obwohl dieser sich eindeutig qualifiziert hatte. Wickel mit dem eigenen Verband, sagt er, "gehören bei einem österreichischen Sportler fast schon dazu". Sein Vater Kurt war, unter anderem bei Olympia 1956, ebenfalls eisschnellgelaufen – und ebenfalls mit dem Verband im Clinch gelegen. Dieser Kelch hatte sogar dazu geführt, dass die Eltern Eminger, 1960 in Wien verheiratet, noch im selben Jahr weggingen aus Österreich. "Wir schauen uns jetzt einmal die Schweiz an", sagte Kurt. Also wurde Christian 1964, wie er sagt, "in der Schweiz konstruiert und geboren", und er wuchs wie sein um ein Jahr älterer Bruder Roman in einem Dorf bei Baden im Aargau auf. Der Vater, gelernter Schreiner, hatte ebenso flott einen Job bekommen wie die Mutter, die Chemikerin war.

Irgendwann hat es den Kurt gejuckt, und er hat wieder die Schuhe geschnürt. Seine Buben nahm er mit, Christian war der talentiertere. "Eisschnelllaufen", sagt er, "ist ja nicht die größte Sportart. Wenn du die Schuhe binden kannst, läufst du als Jugendlicher bald einmal vorne mit." Die ersten Stockerlplätze, die ersten Erfolge stellten sich ein. Der Vater chauffierte Christian zwei-, dreimal die Woche zum Training nach Basel, sechzig Kilometer hin, sechzig Kilometer retour.

An längeren Wochenenden und in den Ferien ging's auf Trainingslager nach Innsbruck. Auch kurz vor Weihnachten checkte Familie Eminger ein. "Es war jedes Jahr dasselbe", sagt Christian. "Wir haben den Baum aufgestellt, wir haben Weihnachten gefeiert, haben Silvester gefeiert. Und ich habe trainiert." Dabei hatte er das Glück, schon früh auf Hadschieff zu treffen, sie wurden große Konkurrenten, vor allem aber gute Freunde. "Der Michael hatte die größeren Erfolge", sagt Eminger. "Und natürlich wäre ich auch gern so erfolgreich gewesen. Aber ich hab es ihm gegönnt." 1993 war Hadschieff, Olympiazweiter und -dritter 1988, der Trauzeige von Eminger, in jüngerer Vergangenheit ist der Kontakt etwas abgerissen. Zuletzt sah man sich vor knapp zwei Jahren, als Hadschieff seinen Fünfziger beging.

Unglaubliches Pensum

Eminger, ein Jahr jünger als Hadschieff, blieb dem Eisschnelllauf länger verbunden, 1998 verpasste er die Olympia-Qualifikation, er hatte sich nicht mit dem neuen Klappschuh anfreunden können. Doch Eminger hörte nicht auf, er sattelte eher um. Radgefahren war er schon zuvor zum Ausgleich im Sommer und mit beachtlichen Erfolgen wie dem dritten Platz bei der österreichischen Straßenmeisterschaft 1990. Jetzt, um die Jahrtausendwende, ging er es wirklich ernsthaft an. Mit einem Trainingspensum, das drei Saisonen lang je 32.000 bis 36.000 Kilometer umfasste, verschaffte er sich die nötige Basis. Und dann fuhr er – oft jedenfalls – den Jungen um die Ohren. Eminger feierte, großteils bei Rennen in der Schweiz, nicht weniger als 150 Elite-Siege. Fünfmal gab er auch Profis das Nachsehen, diese sogenannten UCI-Erfolge feierte er bei der Kamerun-Rundfahrt, wo er drei, und bei der Martinique-Rundfahrt, wo er zwei Etappen gewann. Dreimal war er Masters-Weltmeister in der Klasse der über 40-Jährigen.

Christians Frau Barbara ist Lehrerin, er selbst hat sich vor zehn Jahren selbstständig gemacht, vertreibt Insektenschutzgitter und Lichtschachtabdeckungen. Der Stress hält sich in Grenzen, den Haushalt teilen sie sich. "Wir rechnen nicht ab, wer das Frühstück gemacht und wer das Geschirr wieder weggeräumt hat." Der 21-jährige Sohn Nick, der eine Schauspielschule besucht, wohnt auch noch daheim. Christian kann sich die Tage so einteilen, dass er auch trainieren kann, fast jeden Samstag dreht er eine Runde mit seinem Bruder. Und dass sein beruflicher Radius nicht mehr als sechzig Kilometer misst, trifft sich gut. Wenn er Aufträge entgegennimmt, kommt er mit dem Rad, nur beim Ausliefern ist er aufs Auto angewiesen.

Er habe Österreich und der Schweiz viel zu verdanken, sagt Eminger, der als Österreicher in der Schweiz gut das Auslangen findet, es nie auf eine Doppelstaatsbürgerschaft angelegt hat. Auf Klischees gibt er wenig, auch wenn sie "teilweise stimmen". Vielleicht seien die Schweizer wirklich reservierter und die Österreicher lockerer, vielleicht auch nicht. "In Österreich ist der Kaiserschmarrn besser, dafür gibt es in Basel die tolle Fasnacht." Und den FC Basel gibt es auch. Eminger ist zwar kein eingefleischter Fan, ist selten im Stadion, verfolgt die Matches aber im Fernsehen, er freut sich über Meistertitel und aktuell über Tore von Marc Janko. Insgesamt haben die Emingers "das Privileg, das Leben genießen zu können. Die Probleme, die wir haben, sind relativ kleine Probleme".

Unschöner Sommer

Relativ klein ist allerdings auch relativ, wenn Eminger an den Sommer 2011 zurückdenkt. "Eine Oberschenkelarterie hat zugemacht, es wäre fast dramatisch geworden." Die Thrombose, zurückzuführen auf einen angeborenen Gendefekt, setzte ihn für einige Monate außer Gefecht, er lag nach "einem kleinen Hirnschlag" zwei Tage lang auf der Intensivstation. "Aber ich war schnell wieder draußen." Die Blutzufuhr im rechten Oberschenkel ist seither eingeschränkt, das wirke sich auf die Leistung aus. "Früher ist, wenn ich vorne schnell gefahren bin, hinten das Feld lange geworden. Wenn es jetzt vorne schnell wird, hänge ich hinten dran."

Alles halb so wild, damit habe er sich abgefunden, sagt Christian Eminger. Denn das Radfahren macht ihm "immer noch großen Spaß". Und die Straßenbahn ist sowieso keine Option. (Fritz Neumann, 10.8.2015)