Griechenland macht ihn nervös: Der slowakische Regierungschef Fico sagt, bei seinen Landsleuten gebe es keine Empathie für die Griechen.

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Von Flüchtlingsquoten hält Fico nichts, Österreich könne die Slowakei aber unterstützen, sagt er.

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Wegen der Überlastung von Asylunterkünften sollen Flüchtlinge aus Österreich noch im August in der slowakischen Gemeinde Gabčíkovo untergebracht werden, wo sie sechs Monate bleiben können. Nach den Worten des slowakischen Premierministers Robert Fico wäre die Regierung in Bratislava bereit, im Ernstfall weiteren Asylwerbern aus Österreich Unterkunft zu bieten.

Im STANDARD-Interview vertritt der Premier auch eine harte Linie gegenüber Griechenland: "Die Slowakei wird nicht einen einzigen Cent an griechischen Staatsschulden erlassen, solange ich Premierminister bin."

STANDARD: Am 12. Juli haben die Regierungschefs der Eurozone die Nacht durchverhandelt, um eine Vereinbarung mit Griechenland erzielen zu können. Wie haben Sie diesen Marathon erlebt?

Fico: Ich war nicht überrascht. Ich bin seit acht Jahren Premierminister, habe also Erfahrungen mit langen Nächten in Brüssel. Die wichtigste Entscheidung an jenem Tag war aus meiner Sicht, dass wir einem Schuldenschnitt für Griechenland keine Zustimmung erteilt haben. Manchmal herrscht in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass in der EU nur Deutschland und Frankreich entscheiden und die anderen Staaten ihnen folgen. Aber das stimmt nicht. Die Slowakei gehört zu jenen Ländern, die jeden nominellen Schuldenschnitt für Griechenland kategorisch ablehnen. Hätte es in der Gipfelerklärung irgendeinen entsprechenden Passus gegeben, hätte ich nicht zugestimmt.

STANDARD: Es hieß, nur wenige Länder, Italien, Zypern und Frankreich, hätten Partei für die Griechen ergriffen.

Fico: Ich wäre gern professionell und will deshalb nicht zu viel über interne Diskussionen verraten. Aber es stimmt, die Eurozone war gespalten, mindestens in drei Gruppen: Eine davon hat Griechenland offen unterstützt. Ich war überrascht. Denn diese Länder waren bereit, das Land ohne strenge Bedingungen im Euro zu halten. Dann gab es eine Reihe neutraler Staaten, die sich nicht eingemischt haben. Die dritte Gruppe, zu denen neben Deutschland, Finnland und den Niederlanden auch die Slowakei gehörte, war sehr kritisch gegenüber Athen. Meine Position war absolut hart.

STANDARD: Sie sind Premier einer sozialdemokratischen Regierung. Trotzdem klingen Sie wie der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, ein Konservativer.

Fico: Weil ich Wolfgang Schäubles Ansichten über Griechenland voll und ganz unterstütze. Meine Regierung ist sozialdemokratisch, und wahrscheinlich würde jeder erwarten, dass wir nicht Spar-, sondern Investitionspolitik befürworten. Ich will aber ein pragmatischer Sozialdemokrat sein. Ich glaube, dass eine Mischung aus Einsparungen und Investitionen notwendig ist. In der Slowakei funktioniert das: Durch eine effektivere Steuereintreibung wollen wir 1,6 Milliarden Euro zusätzlich zwischen 2014 und 2016 einnehmen – ohne Steuererhöhungen. Wir sind erfolgreich. Wir haben die Verschuldung unter Kontrolle, das Defizit liegt bei unter drei Prozent. Zugleich wollen wir neue Investoren ins Land holen: Aktuell hoffen wir, Landrover davon überzeugen zu können, in der Slowakei zu produzieren.

STANDARD: Griechenlands Wirtschaft ist seit 2010 um ein Viertel eingebrochen. Das lässt sich doch nicht mit der Slowakei vergleichen.

Fico: Was in Griechenland geschehen ist, liegt nicht in meiner Verantwortung – sondern in jener der Politiker vor Ort. Politiker werden gewählt. Für das, was in Griechenland passiert ist, tragen letztlich also die Griechen selbst die Verantwortung. Wenn Sie mich nun fragen: "Was ist besser in Griechenland: Einsparungen oder Investitionen?", würde ich sagen: zunächst Einsparungen. Und ja, es tut mir leid, das zu sagen, aber es wird schmerzhaft sein. Wir in der Slowakei kennen diesen Prozess, wir haben nach 1989 einen harten Transformationsprozess erlebt. Wir können es deshalb nicht hören, wenn jemand in Griechenland sagt: "Seht her, wie schwer wir es haben." In der Slowakei sind die Löhne und Pensionen immer noch niedriger als in Griechenland. Wenn ich die Preise vergleiche, stelle ich keinen signifikanten Unterschied fest.

STANDARD: Sie machen die Slowakei ärmer, als sie ist: Die Wirtschaftsleistung pro Kopf ist kaufkraftbereinigt höher als in Griechenland. Die Slowakei ist, statistisch gesehen, wohlhabender.

Fico: Ich glaube nicht an Statistiken, sondern an konkrete Zahlen, die ich kenne. Ich weiß, welche Pension meine Mutter bekommt. Ich weiß, wie viel meine Frau verdient: Sie ist Assistenzprofessorin für Jus in Bratislava. Sie hat 29 Jahre Erfahrung, ist Expertin für Zivilrecht. Sie verdient trotzdem nur 1.000 Euro. Statistisch liegt das Durchschnittsgehalt in der Slowakei bei rund 900 Euro, aber das herkömmliche Gehalt liegt zwischen 600 und 650 Euro, herkömmliche Pensionen liegen bei 300 Euro. Ich beklage mich nicht, ich stelle das fest.

STANDARD: Schäuble hatte beim Gipfel die Idee, Griechenland einen befristeten Euroausstieg anzubieten. Eine gute Idee.

Fico: Ja. Es gibt keine Regeln in der EU über einen Euroaustritt. Die Väter des Euro konnten sich eine solche Situation wie jene mit Griechenland nicht vorstellen. Aber das bedeutet doch nicht, dass man die Regeln nicht schaffen kann. Der Vorschlag mit einem befristeten Euroaustritt hatte damals Vorteile. Ich unterstütze die gefundene Einigung in Sachen Griechenland, aber wir werden sehr genau beobachten, was nun geschieht. Wir sind nervös.

STANDARD: Warum?

Fico: In der Gipfelerklärung von Brüssel steht, dass die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) an der Griechenlandhilfe eine Grundvoraussetzung ist. Der IWF sagt aber, dass Griechenland zuerst einen Schuldenschnitt braucht, erst dann will der Fonds mitmachen. Das wird nicht gehen. Die Slowakei wird nicht einen einzigen Cent an griechischen Staatsschulden erlassen, solange ich Premierminister bin. Es gibt andere Möglichkeiten: Man kann Rückzahlungstermine verschieben – wobei auch das Grenzen hat: Wir können nicht 100 Jahre warten, bis Griechenland seine Schulden zurückzahlt.

STANDARD: Beim Eurogipfel fanden die wichtigen Gespräche zwischen Deutschland, Frankreich und Griechenland statt. Welche Rolle spielen die kleinen Länder noch?

Fico: Es ist schwierig, ein Problem in großer Runde zu lösen, wenn nicht Ansätze auf dem Tisch liegen. Deshalb ist es verständlich, wenn einflussreiche Staaten wie Deutschland, Frankreich und Italien sich zusammensetzen, versuchen eine Einigung zu erzielen und dann die übrigen Länder um Unterstützung bitten. Aber kleine Länder können sich einbringen und manchmal sogar durchsetzen. Ein Beispiel dafür war der EU-Gipfel bezüglich der Migrationskrise im Juni. Damals lag ein Plan der EU-Kommission auf dem Tisch, 40.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf andere Länder nach einem verpflichtenden Quotensystem aufzuteilen. Mein tschechischer Amtskollege und ich haben diesen Plan abgelehnt. Die Gespräche dauerten bis drei Uhr früh, unsere Kollegen haben uns in diesem Moment gehasst. Aber erst als klar war, dass keine verpflichtende Quote kommt, haben wir der Gipfelerklärung zugestimmt.

STANDARD: Die Slowakei wird aber 500 Flüchtlinge von Österreich aufnehmen. Warum eigentlich?

Fico: Bei der verpflichtenden Quote war vorgesehen, dass die Slowakei 1.200 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland aufnimmt. Das hat uns nervös gemacht: Wir kennen diese Menschen nicht. Wir wissen nicht, ob darunter Terroristen oder Extremisten sind. Zugleich ist es schwierig, Menschen zu integrieren, die eine andere Tradition und Kultur haben. Es gibt in der Slowakei viele Roma. Wir schaffen es ja nicht einmal, sie, also unsere eigenen Staatsbürger, zu integrieren. Wie schwer wäre das also mit Menschen aus Nordafrika gewesen? Also haben wir Nein zu verpflichtenden Quoten, aber Ja zu freiwilligen Beiträgen gesagt. Wir haben der EU-Kommission angeboten, 200 Menschen aus Syrien aufzunehmen. Syrische Christen, denn die Slowakei ist ein christliches Land, und wenn man Menschen integrieren will, sollten Religion und Kultur ähnlich sein. Zugleich haben wir noch ein Angebot gemacht: Ich weiß, dass die Asyleinrichtungen in Österreich unter Druck stehen. In der Slowakei dagegen gibt es gewisse Kapazitäten. Deshalb sind wir bereit, diese Menschen eine Zeitlang bei uns unterzubringen.

STANDARD: Dürfen unter diesen 500 Flüchtlingen aus Österreich auch nur Christen sein?

Fico: Nein. Das haben wir so gewollt, weil die EU-Kommission die Integration dieser Menschen bei uns gewünscht hat. Was wir Österreich angeboten haben, ist eine vorübergehende Lösung. Wir bieten Unterkunft, Essen und medizinische Betreuung. Für Sicherheit und die soziale Betreuung ist Österreich verantwortlich. Und Österreich entscheidet, wer kommt. Die Flüchtlinge dürfen maximal sechs Monate bleiben. Danach müssen sie zurück, um ihr Asylverfahren abzuschließen.

STANDARD: Das heißt, das Abkommen mit Österreich soll der EU zeigen: Seht her, wir tun was, verpflichtende Quoten sind nicht nötig.

Fico: Ja, natürlich. In Österreich gibt es ja einige ernsthafte Probleme in Asyleinrichtungen. Warum sollten wir gezwungen werden, 1.200 Menschen zu integrieren, wenn wir Österreich mit den Asylwerbern helfen können.

STANDARD: Würde die Slowakei nach diesen 500 weitere nehmen?

Fico: In der jetzt getroffenen Vereinbarung ist einmal die Rede von 500 Menschen. Sollte dieser Mechanismus als sehr effektiv angesehen werden, stehen wir bereit, weiterzuhelfen. Dann können wir sehr aktiv sein, wobei wir von allen Migranten erwarten, dass sie diszipliniert sind und die Gesetze hier beachten. Wenn sie Lebensart und Regeln nicht akzeptieren wollen, werden wir sehr streng reagieren.

STANDARD: Aber Sie können nicht leugnen, dass Italien und Griechenland die Hauptlast tragen.

Fico: Ich will nicht zu kritisch sein. Aber ich habe eine Frage: Wer hat Libyen bombardiert? Wer hat Probleme in Nordafrika geschaffen? Die Slowakei? Nein.

STANDARD: Sie spielen auf den Militäreinsatz gegen das Gaddafi-Regime in Libyen an. Diese Luftangriffe wurden 2011 geflogen, um eine Diktatur zu stürzen.

Fico: Es ist eine Sache, eine Diktatur zu stürzen. Das kann man gut finden und applaudieren, aber die Frage dabei ist immer: Was ist der Plan B? Mir scheint es, als habe es in Libyen, Syrien und Irak keinen Plan B gegeben. Man kann immer sagen, es gibt viele Flüchtlinge in Italien. Aber man muss auch fragen, wie es dazu gekommen ist. (INTERVIEW: András Szigetvari, 10.8.2015)