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In Bengasi, wo seit Monaten gekämpft wird, richten regierungstreue Kämpfer eine Puppe als Lockvogel für Scharfschützen her.

Foto: Reuters / al-Fetori

Tripolis/Kairo – Turbulent war es zugegangen, als am Sonntag das abtrünnige Parlament in Tripolis einen Entscheid fällen sollte, ob der Boykott des politischen Dialogs aufrechterhalten wird. Mit Waffen untermauert, setzten die Muslimbrüder durch, dass eine Delegation nach Genf fährt, den von allen übrigen Teilnehmern bereits vor einem Monat unterzeichneten Lösungsvorschlag aber nicht akzeptiert und weiterhin auf Änderungen beharrt. Den Fajr-Milizen der Parallelregierung in Tripolis drohen internationale Sanktionen, wenn sie den Dialog weiterhin torpedieren.

Seit bald einem Jahr ringen die beiden verfeindeten Machtblöcke – nur Regierung und Parlament in Tobruk sind international anerkannt – um eine politische Verständigung. Die unter UN-Vermittler Bernardino Léon ausgearbeiteten Entwürfe pendelten einmal mehr in Richtung Tobruk, dann wieder in Richtung Tripolis.

Streitpunkt: General Haftars Zukunft

Das Parlament in Tobruk behält in der jetzt unterzeichneten Fassung seine Funktion. Ein neuer Staatsrat, vor allem aus Mitgliedern des parallelen Parlaments in Tripolis zusammengestellt, hat wenig Befugnisse. Tripolis beharrt darauf, dass beide Machtblöcke in den politischen Gremien, die während einer etwa zweijährigen Übergangszeit das Land führen sollen, gleich stark sein müssen.

Der zweite Streitpunkt ist die Stellung von Armeechef General Khalifa Haftar, der einen Feldzug gegen radikale Islamisten führt. Tripolis beharrt auf seiner Absetzung. Haftar selbst hat bereits erklärt, dass ihn diese politischen Gespräche ohnehin nichts angehen; er habe nichts mit Politik zu tun, sondern kämpfe nur gegen den Terror.

Verhandlungen als Hoffnungsschimmer

Léon hat sich bisher nur verschwommen dazu geäußert, ob es noch Verhandlungsspielraum gibt. An der Grundsatzvereinbarung soll nichts mehr geändert werden, aber es gibt mehrere Anhänge, die erst noch ausformuliert werden müssen. Über die Hintertür könnten den Kritikern aus Tripolis doch noch Zugeständnisse gemacht werden. Ihr Erscheinen in Genf ist jedenfalls ein Hoffnungsschimmer, dass der Dialog, wenn auch im Schneckentempo, doch vorankommt. Als Nächstes soll eine Regierung der nationalen Einheit zusammengestellt werden, die in der Übergangsphase ein großes Gewicht hat.

Während die Politiker weiterhin ihre Machtspiele treiben, wünscht sich die Bevölkerung nichts mehr als eine funktionierende Regierung. Weder die Behörden in Tobruk noch die Rivalen in Tripolis können die Versorgung der Menschen sicherstellen. Die machen ihrem Unmut immer öfter mit Demonstrationen Luft.

Versorgungskrise wird immer schlimmer

Zehn Stunden dauern die Stromausfälle in der Hauptstadt täglich. Weil es zu wenig Elektrizität gibt, funktionieren auch die Wasser- und die Benzinversorgung nicht. Eine Mehlkrise sorgt für lange Schlangen vor den Bäckereien. Es fehlt an Impfstoffen, manche Spitäler haben ganz dichtgemacht.

Immer mehr Libyer werden zu Flüchtlingen, entweder im eigenen Land oder in den Nachbarstaaten. In diesem Vakuum kann sich der "Islamische Staat" ausbreiten – am Sonntag gab es bei der Explosion einer ihrer Autobomben neun Tote in Derna –, und die Schlepperbanden können ihrem lukrativen Geschäft mit den Flüchtlingen ungestört nachgehen. (Astrid Frefel, 10.8.2015)