Einst verachtet, heute als Pionier gewürdigt: Ignaz Semmelweis.

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Anna Durnová, In den Händen der Ärzte. Ignaz Semmelweis, Pionier der Hygiene. € 22,90 / 242 Seiten. Residenz, St. Pölten, 2015.

Cover:; Residenz Verlag

Wien – Sein tragisches Ende machte ihn endgültig zur Legende. Denn womöglich wurde Ignaz Semmelweis auch noch im Tod zum Opfer des Ärzte-Establishments: Der Mediziner, der als Retter der Mütter in die Geschichte einging, starb am 13. August 1865 unter ungeklärten Umständen in der Landesirrenanstalt Döbling.

Wie es aber kam, dass er 14 Tage zuvor eingewiesen und dafür extra von Budapest nach Wien gebracht wurde, ist ebenso umstritten wie die Todesursache. Angeblich sei er an der Entzündung eines verletzten Fingers gestorben, hieß es zunächst. Später mehrten sich Hinweise, dass es zu einem Kampf mit Wärtern gekommen war und Semmelweis daran gestorben sei. Womöglich war es sogar Mord.

Die Tode tausender Mütter

Die Reaktionen auf den tragischen Tod des 47-jährigen Mediziner fielen unterschiedlich aus, wie die Politikwissenschafterin Anna Durnová in ihrem neuen Buch rekonstruiert: Die Wiener Medizinische Wochenschrift würdigte immerhin seine wissenschaftliche Tätigkeit. In sämtlichen Nachrufen stieß man sich aber an den Briefen, die er vor seinem Tod veröffentlicht hatte und in denen er in scharfem Ton den Ärzten die Schuld am Tod tausender Mütter gab, die am Kindbettfieber gestorben waren.

Dass Semmelweis posthum groß Karriere machen sollte, war zu diesem Zeitpunkt ganz und gar nicht abzusehen. Denn erst eine Ärztegeneration später wurden die von Semmelweis geforderten Hygienemaßnahmen bei Frauen im Kindbett durchgesetzt.

Heute sind nicht nur eine Uni in Budapest und eine Klinik in Wien nach Semmelweis benannt, dem vielleicht bekanntesten der zeitlebens verkannten Pioniere der Medizin. Auch ein Reflex trägt seinen Namen: Damit wollte der wissenschaftskritische Schriftsteller Robert Anton Wilson auf den Punkt bringen, dass sich die Scientific Community nicht selten gegen allzu große Innovationen sträubt, zumal wenn diese im Widerspruch zu etablierten Theorien oder Paradigmen stehen.

Genau diese Kontroversen um Semmelweis' Innovationen und warum sie sich erst so spät durchsetzten, stehen auch im Zentrum von Durnovás Buch, das mehr ist als eine solide Semmelweis-Biografie. Schon ihr mehrdeutiger Titel ist klug gewählt: In den Händen der Ärzte spielt nicht nur darauf an, dass die Übertragung des Kindbettfiebers, an dem damals bis zu einem Viertel der Mütter in Entbindungsstationen starben, durch die Keime auf den ungewaschenen Händen der Mediziner erfolgte. Es lag auch in den Händen der Wiener Ärzte, wie sie mit Semmelweis und seinen bahnbrechenden Erkenntnissen umgingen.

Diese durch empirische Vergleichsstudien gewonnenen Einsichten widersprachen damals nicht nur der herrschenden Ansicht, dass sich Infektionen über die Luft verbreiten, sondern überforderten damit auch die Vorstellungskraft seiner Kollegen. Besonders schmerzhaft für Semmelweis' Kollegen war, dass sie selbst und ihre verunreinigten Hände im Verdacht standen, für das massenhafte Sterben in den Entbindungsstationen am AKH verantwortlich zu sein.

Die Kontexte der Ablehnung

Es gab aber noch weitere Gründe, warum Semmelweis damals scheiterte, obwohl er heute als Pionier der Hygiene und der evidenzbasierten Medizin gilt. Wie Durnová kenntnisreich darlegt, spielte die Persönlichkeit von Semmelweis, der wenig bis nichts publizierte, ebenso eine Rolle wie der politische Kontext des postrevolutionären Wien, das Semmelweis 1849 mehr oder weniger verzweifelt in Richtung Budapest verließ.

Das Innovative an Durnovás Darstellung liegt nicht nur darin, dass sie die Kontexte der Kontroversen um Semmelweis hellsichtig in Beziehung setzt. Sie macht durch aktuelle Beispiele auch klar, dass Forschung ohne Kontroversen ebenso wenig zu haben ist wie medizinischer Fortschritt ohne Fehler. (tasch, 13.8.2015)