Die Bauchspeicheldrüse ist durch die Überdosis von Zucker aus billigem Essen heillos überfordert.

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Fastfood ist einer der Faktoren, die zu einer raschen Verbreitung von Diabetes beitragen.

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Nur ein Blick auf die Entwicklung der Zahlen macht klar, mit welch großem Problem man es hier zu tun hat: 387 Millionen Menschen leben laut International Diabetes Federation (IDF) derzeit weltweit mit der Zuckerkrankheit. Im Jahr 2000 waren es noch 150 Millionen, 2035 werden es wohl mehr als 590 Millionen Patienten sein. Diabetes ist also längst zu einer Epidemie geworden – einer Krankheit, die nicht übertragbar ist, die sich aber dennoch scheinbar ungehemmt und rasch ausbreitet.

Betroffen sind vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen und Bildungsstand. Die IDF meint sogar, mindestens 80 Prozent der jährlich 4,9 Millionen Todesfälle aufgrund von Diabetes seien in Niedriglohnländern zu beklagen. Und sie macht mehrere Gründe dafür verantwortlich: Neben Fastfood ist es auch der fehlende Zugang zu einer zeitgemäßen ärztlichen Versorgung.

Ein Besuch beim Arzt, die Versorgung mit künstlichem Insulin und anderen Medikamenten ist zwar in westlichen Ländern weitgehend selbstverständlich, in Ländern der Dritten Welt ist es eine Herausforderung. Ungezählt sind die Berichte von Menschen, denen es nicht möglich ist, an lebensnotwendige Medikamente zu kommen. Entweder aus finanziellen Gründen oder weil sie keine Möglichkeit haben, zum nächsten Arzt zu kommen.

Große Ungerechtigkeit

Dabei könnte man mit der Zuckerkrankheit ebenso alt werden wie Gesunde. Die Voraussetzung ist allerdings eine gute Einstellung, also ein Zuckeranteil im Blut, der kaum und vor allem nicht über längere Zeit über dem von Gesunden liegen sollte (nüchtern: 80 bis 130 mg/dl).

Beim Typ 1 fällt immerhin das Risiko einer späten Diagnose weg: Diese Krankheit, die meist Kinder und Jugendliche entwickeln, weil ihr Immunsystem die Insulin produzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse für Fremdkörper hält und sie daher zerstört, zeigt sich relativ rasch durch starken Durst, häufigen Drang zum Wasserlassen und Müdigkeit. Die Patienten müssen ein Leben lang künstliches Insulin spritzen, um zu überleben.

95 Prozent aller Zuckerkranken leiden aber am Typ-2-Diabetes, der nach seinem Auftreten oft längere Zeit unerkannt bleibt. Die Patienten sind häufig übergewichtig und neigen dazu, sich wenig zu bewegen.

Bauchspeicheldrüse macht schlapp

Die Bauchspeicheldrüse produziert in diesem Fall zwar das lebenswichtige Hormon Insulin, der Körper kann es aber nicht aufnehmen und Kohlenhydrate und Zucker somit in Energie umwandeln. Die Patienten nehmen Medikamente, sollten Diät halten und abnehmen. Bei schlechter Zuckereinstellung können Spätfolgen auftreten, weil Zuckerablagerungen Blutgefäße und Nerven schädigen. In den schlimmsten Fällen kommt es zu Herzinfarkten oder Schlaganfällen, die auch tödlich sein können. Manche Patienten verlieren ihr Augenlicht.

Besonders stark von derlei Folgeerkrankungen ist laut Weltgesundheitsorganisation WHO Afrika südlich der Sahara betroffen. Dieser Teil des Kontinents hatte in den vergangenen Jahrzehnten vor allem zwei Probleme: Kriege und Aids. Die nicht übertragbaren Erkrankungen wie Diabetes wurden dabei zu wenig beachtet, schreibt Andre Renzaho von der Monash University in Australien im Open-Access-Journal "Global Health Action".

Invasion von Billigessen

Ausgangspunkt der Public-Health-Krise sei die rasche Urbanisierung und Industrialisierung dieser Region gewesen. Es folgte ein Bruch mit Traditionen: Die afrikanische Küche wurde dabei von einer stark kohlenhydrat- und fettreichen westlichen und (was in sozial ärmeren Schichten wichtig ist) von billigem Fastfood abgelöst.

Immer mehr Kinder werden dadurch fettleibig und sind gefährdet, Typ-2-Diabetes zu entwickeln, der noch vor 50 Jahren die Krankheit der älteren Menschen war und daher Altersdiabetes genannt wurde.

Das verstärkte Auftreten der Zuckerkrankheit kann, wie man seit Ende der 1990er-Jahre weiß, auch mit der Behandlung der HIV-Infektion durch die Kombinationstherapie HAART zusammenhängen. Die Arzneimittel lassen den Bauch wachsen, krankmachende Blutfette werden steigen.

Renzaho berichtet in seiner Analyse von einer aktuellen Studie: Männer, die diese Therapie erhielten, entwickelten ungefähr viermal so häufig Diabetes wie Männer, in deren Blut keine Antikörper gegen den HI-Virus gefunden wurden.

Tragweite erkennen

Renzaho, der selbst aus dem Kongo stammt, beschließt sein Paper mit Forderungen: Die Regierungen der betroffenen Länder sollten Diabetes endlich eine ähnliche Bedeutung geben, wie sie Aids hat. Derzeit seien nicht einmal aktuelle Daten über Krankheitsfälle vorhanden. Abgesehen davon sollte es Regeln für die Fastfood- und Getränkeindustrie geben. Das Angebot habe sich in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten vervielfacht.

Das Problem einer adäquaten Gesundheitsversorgung endet für Afrikaner nicht notwendigerweise, wenn sie die Grenzen ihrer Heimat hinter sich lassen: Die Europäische Kommission stellte schon mehrfach fest, dass Europa auf die besonderen Bedürfnisse von Flüchtlingen aus der Region südlich der Sahara – und nicht nur von dort – nicht eingestellt ist.

Trotz Krankenversicherung für Menschen, die einen Asylantrag eingereicht haben, würden zu viele ohne Versicherungsschutz leben, sich teure Medikamente auch nicht leisten können: Allein in Österreich leben nach vorsichtigen Schätzungen der Diakonie insgesamt 100.000 Menschen ohne Versicherungsschutz – darunter sicher auch Afrikaner, einige von ihnen sind zuckerkrank. (Peter Illetschko, Cure, 12.10.2015)