Der Ausblick ist atemberaubend: Die verglaste Panoramagondel gleitet innerhalb weniger Minuten über schroffe Felswände vom steirischen Ort Ramsau zu dem südlichen Teil des Dachsteinmassivs und seinen drei Gletschern empor. Bergfreunde sehen beim Ausstieg als Erstes die Figur eines grünen Dinosauriers. Die Figur soll Kinder begeistern, bekommt aber in diesen Tagen eine Symbolik: Auch Gletscher gehören zu einer aussterbenden Gattung, wie zahlreiche Studien belegen. Auch die drei Dachsteingletscher – der Gosau-, der Hallstätter- und der Schladmingergletscher – verlieren jedes Jahr an Masse.

Die Südwandbahn erschließt seit 1969 den Dachstein. "Wer nicht an den Klimawandel glaubt, soll uns besuchen kommen", sagt Karl Höflehner, technischer Leiter der Planai-Hochwurzen-Bahnen. Die Eisschmelze ist bedingt durch den Hochsommer im vollen Gange. Bäche an klarem Wasser schneiden sich durch das Eis, unter den Füßen knirschen die auftauenden Eisbrocken bei jedem Schritt. Das ist ein natürlicher Kreislauf. Probleme entstehen nur, wenn der Verlust im Winter nicht mehr ausgeglichen werden kann. Am Dachstein ist das der Fall. Die Gletscher werden an strategischen Punkten mit weißem Vlies abgedeckt, um ein weiteres Schmelzen zu verlangsamen. Höflehner rechnet mit einem Verlust von einem halben Meter der Höhe in diesem Jahr.

Die Gletscher am Dachstein bieten im Hochsommer eine erfrischende Abwechslung.
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"Kein Planet B"

Die Grünen machten mit ihrer "kein Planet B"-Aktion am Donnerstag auf die Situation am Dachstein aufmerksam. Bundessprecherin Eva Glawischnig, Landesrat Rudi Anschober und Klimaschutzsprecherin Christiane Brunner enthüllten ein Plakat am Berggipfel und forderten erneut ihr Acht-Punkte-Programm zum Klimaschutz ein. "Gerade im Hinblick auf die UN-Klimaschutzkonferenz im Dezember darf Österreich nicht mit leeren Händen nach Paris kommen, sondern sollte sich als Ziel setzen, ein Vorbild beim Klimaschutz zu sein", sagte Glawischnig zum STANDARD.

"Gletscher sind die Fieberthermometer unseres Planeten", ergänzte Anschober und forderte "global verbindlich" zu handeln. In Oberösterreich werden seit 2006 Messungen zur Massenbilanz am Hallstätter Gletscher durchgeführt. Das Land Oberösterreich und Energie AG finanzieren die Forschung des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW in Zusammenarbeit mit Blue-Sky-Wetteranalysen. Die Verluste der Eismasse sind konstant, aber jedes Jahr wetterabhängig. Die Messperiode 2008/09 war negativer Ausreißer mit 103 Zentimetern.

Vlies soll das Schmelzen der Eisflächen verlangsamen. Auch heuer rechnen Experten wieder mit Masseverlusten der Gletscher.
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Verzögertes und verstärktes Signal des Klimawandels

Das Rückschmelzen der Zunge schildert der Schweizer Glaziologe Michael Zemp von der Universität Zürich als "verzögertes und verstärktes Signal" für Klimaveränderungen. Er nennt als Beispiel den Großen Aletschgletscher – den größten und längsten Gletscher der Alpen. Dessen Reaktionszeit beträgt 50 Jahre. Selbst im unwahrscheinlichen Fall eines sofortigen Stopps des Klimawandels würde sich der Gletscher in diesem Zeitraum noch zwei bis drei Kilometer zurückziehen, um dem heutigen Wetterstand zu entsprechen.

"Die Eisdicke der beobachteten Gletscher nimmt derzeit jedes Jahr zwischen einem halben und einem ganzen Meter ab, das ist zwei- bis dreimal mehr als der entsprechende Durchschnitt im 20. Jahrhundert", berichtet Zemp. Damit entsprechen die Gletscher am Dachstein dem globalen Trend.

Berge in Österreich niedriger als in der Schweiz

Die Alpen sind laut Zemp im weltweiten Vergleich sogar am stärksten betroffen. Und in Österreich ist die Situation noch einmal dramatischer als in der Schweiz, da die Berge niedriger sind. "Gletscher sind die besten natürlichen Indikatoren für den Klimawandel", sagt der Glaziologe. Laut Prognosen werden 90 Prozent des Eises bis Ende des Jahrhunderts verschwinden. "In Österreich wird diese Entwicklung früher voranschreiten", so Zemp.

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Wenige Informationen über insgesamt 200.000 Gletscher

Weltweit gibt es nur 37 Gletscher, die seit mehr als 30 Jahren kontinuierlich wissenschaftlich untersucht und dokumentiert werden, berichtet Zemp. Er ist auch Direktor des World Glacier Monitoring Service, das vor kurzem eine alarmierende Studie veröffentlicht hat. Demnach schmelzen die Gletscher weltweit rasant, vor allem seit Beginn des 21. Jahrhunderts.

Für die Studie wurden Daten von 2.300 Gletschern in 36 Ländern verarbeitet. Einige der 47.000 Informationen gehen bis in das 16. Jahrhundert zurück, insgesamt ist die Datenlage jedoch schwierig, betont Zemp im Gespräch mit dem STANDARD. Von vielen der insgesamt 200.000 Gletscher gibt es kaum Informationen. Zeichnungen, Aquarelle, Ölgemälde, aber auch schriftliche Dokumente von juristischen Streitigkeiten sind wichtige Zeitdokumente.

Noch lebt der Tourismus auch von den Gletschern. In Zukunft müssen neue Attraktionen geschaffen werden.
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Gletscher mit Laser vermessen

Für die glaziologische Methode werden Stangen, auch Ablationspegel genannt, tief in das Eis an möglichst repräsentativen Messpunkten gebohrt. Bei der nächsten Kontrolle wird eine eventuelle Höhenänderung ermittelt. Neue Technologien erlauben einen Laserscan im Flugzeug. Dabei wird eine Art Laserpointer senkrecht aus dem Flugzeug auf den Gletscher gerichtet und gemessen, wie lange das Licht zurückbraucht. "Durch Millionen von Lichtpunkten kann ein 3D-Abbild der Oberfläche erstellt werden", erklärt Zemp. Große Teile der Schweiz und Österreichs wurden so bereits erschlossen.

Kritik übt der Gletscherforscher an der Vergabe von wissenschaftlichen Fördergeldern. Monitoring, also die konstante Beobachtung eines Phänomens, wird nicht als innovativ gewertet. Daher fließt in diesen Bereich der Gletscherforschung kein Geld. Die Vernetzung der Länder und der Datenaustausch basieren auf Freiwilligkeit. Daher besteht immer eine Unsicherheit, wie gut die Daten sind und wie bereitwillig andere Länder sind zu teilen.

Ein Hoffnungsschimmer scheint das Wachstum des Eises in einigen Regionen der Welt zu sein. Ein Beispiel sind die norwegischen Gletscherzungen. An der Küste wurden sie in den Neunzigerjahren wieder um einige Hundert Meter länger. Dabei handelte es sich aber um ein kurzfristiges Phänomen, relativiert Zemp: "Es gab mehr Winterschnee. Mit dem Jahr 2000 war das aber auch vorbei." (Julia Schilly, 14.8.2015)

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