Gesund essen, die Muskeln trainieren und dabei glücklich sein: Solche Ideen beflügeln die Wellness-Industrie.

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Ein Gefühl, ganz leicht sein: Nicht nur die Muskeln, auch die Psyche gehört zu dieser Wunschvorstellung, die die Menschheit seit Jahrtausenden beflügelt. Heute nutzen Marketingleute diesen Traum.

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Die Auswahl des richtigen Joghurts im Supermarkt dauert: Welcher Bakterienstamm soll der Darmflora diesmal zugeführt, mit welchen Inhaltsstoffen körperliches Wohlbefinden am nachhaltigsten gesteigert werden? Zwischen prall gefüllten Regalreihen geht es mittlerweile um mehr als um das Stillen von Hunger: Es geht um eine Optimierung von Körper und Seele.

"Wir haben in der Alltagskonsumwelt zunehmend Produkte, die so inszeniert sind, als seien sie Medikamente", sagt Wolfgang Ullrich, Kunstwissenschafter und Medienphilosoph aus Leipzig. In der Warenästhetik werde stark mit der Inszenierung von Placeboeffekten gearbeitet.

So werde suggeriert, dass man mit dem Produkt Körper und Psyche regelrecht selbst designen kann. Diese Art der Logik ist nicht aufs Kühlregal beschränkt: Kosmetikprodukte, Müslis, Säfte – sie alle versprechen, aus Konsumenten bessere Menschen machen.

Die Suche nach dem besseren Ich ist omnipräsent. Wellness, Gesundheit folgen dem Ansatz der Kalokagathie, also einer Verbindung von innerer und äußerer Schönheit, nach der Idee: Wer innerlich schön ist, strahlt es nach außen aus. Wenn es um die Fitness und die damit verbundene Modifizierung des Körpers geht, kann das, einem protestantischen Lebensprinzip folgend, schon auch mit viel Mühe und Disziplin verbunden sein – oder mit einem operativen Eingriff.

Die plastische Chirurgie ist zu einem Kernbereich der Selbstoptimierung geworden. Die Grenzen verschwimmen. Viele plastische Chirurgen ordinieren heute beispielsweise in Wellnesshotels.

Leere Versprechungen

Christian Putscher, Ernährungswissenschafter und Personal Trainer, hilft Selbstoptimierern: Zu ihm kommen Menschen, die an Diäten und Trainingsvorsätzen gescheitert sind. Anstatt abzuspecken, haben manche in einem wilden Mix aus Diäten über die Jahre stark zugenommen. "Wer sich verbessern will, der muss sich auch ein entsprechendes Fachwissen aneignen", sagt Putscher. "Als Konsument hat man heutzutage keine Chance mehr zu erkennen, ob an Ernährungshypes überhaupt was dran ist."

Im Fitnessbereich sieht es ähnlich aus: Immer effektiver soll trainiert, immer weniger Zeit dafür aufgewendet werden. Das Ziel ist stets ein perfekter Körper. Das hat Potenzial für große Versprechungen und neue Geschäftsideen. Ein Workout, das nur sieben Minuten dauert, soll so effektiv wie stundenlanges Schwitzen sein. Ein Training, bei dem der Körper mit Stromstößen malträtiert wird, soll die Muskeln sprießen lassen. "All das funktioniert auf Dauer nicht", urteilt Putscher, "aber die Branche lebt im Endeffekt von der Dummheit der Massen."

Der Druck, einen perfekten Körper zu haben, steigt zunehmend: Besonders Frauen und junge Männer kämen häufig mit unrealistischen Vorstellungen. "Früher ging man mit einem Foto von einer schönen Frisur zum Friseur", sagt er, "heute zeigt man seinem Trainer Fotos vom Traumkörpern und sagt: 'So will ich werden.'"

Zwanghaft glücklich sein wollen

"Auf ganz vielen Ebenen herrscht sehr viel Druck", kritisiert auch Heide-Marie Smolka, Psychologin und Glückstrainerin. Schließlich soll ja auch im Beruf und im Privatleben alles wie am Schnürchen klappen. "Dieser Zwang zur Optimierung überfordert die Menschen", ist sie überzeugt.

In ihren Seminaren gehe es darum zu erkennen, was einen selbst glücklich macht. Dabei kämen Menschen oft auf ganz andere Ideale als jene, die die Mainstreamgesellschaft vorgibt.

Selbst im Bereich des persönlichen Glücks werde aber oft gedacht "wie bei einem Autoservice": "Viele denken am Anfang meiner Seminare: Ich bin vegan, gehe einmal in der Woche laufen – und das mit dem Glück bringe ich jetzt auch noch in Ordnung." Das für immer anhaltende Gefühl von Glück, das sich viele von ihren Seminaren erhoffen, kann Smolka aber nicht versprechen: "Dazu gehört immer auch ein Gegenpol."

Beginnende Grundpanik

Hinter dem Trend der Selbstoptimierung steht eine zunehmende Individualisierung der Gesellschaft, sagt Ullrich: "Jeder ist für sich selbst verantwortlich, und jeder muss erst mal selber schauen, wo er bleibt." Auch das Bewusstsein, dass man eben nur das eine Leben habe, sei sehr stark ausgeprägt.

Daraus resultiere auch der Selbstgestaltungstrieb: "Die Endlichkeit der Möglichkeiten ist den Menschen bewusst." Daher hätten viele den Drang, das Beste aus ihrem Leben zu machen und ihre Zeit optimal zu nutzen, um fit, gesund und stark werden.

Aber ist das so schlecht? Die Gesellschaft wird oft als krank bezeichnet. Psychische Erkrankungen sowie Adipositas nehmen seit Jahren zu. "Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Gesellschaft nicht nur krankredet", winkt Ullrich ab. Denn durch diese "Grundpanik", dass man schlecht lebt, werde der Verkauf von jenen Produkten, die dem Abhilfe verschaffen könnten, ja erst angekurbelt.

Eines ist aber klar: "Wenn der Bogen überspannt wird, dann meldet sich der Körper", warnt Smolka, etwa mit Burnout oder Depressionen. Das sei dann eine "Riesenalarmglocke".

Kluft zwischen Arm und Reich

Noch eine Kehrseite der Medaille: Wer nicht mitmachen will oder kann, hat ein Problem. "Ich glaube, dass sich die Felder der Intoleranz in den letzten 40 Jahren stark verschoben haben", sagt Ullrich. Früher waren Übergewicht und Rauchen noch akzeptiert. Wer extrem übergewichtig ist, dem würde heute eine Spitzenposition gar nicht mehr zugetraut. Menschen, deren Körper nicht ins Bild passt, würde mit Misstrauen begegnet: "Denn der Körper wird gern als Indiz dafür genommen, dass mit diesem Menschen grundsätzlich etwas nicht stimmt."

Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst indes weiter, urteilt Ullrich: Wer reich ist, kann sich Selbstoptimierung bis hin zu chirurgischen Schönheitsoperationen leisten – und wird von der Gesellschaft deshalb auch als leistungsfähiger betrachtet. "Wer Geld hat, kann sich auch besser inszenierte Angebote leisten." Der Trend zur Selbstoptimierung wird, so Ullrich, weitergehen, "die Geschäftsfelder verzeichnen Wachstum. "Man will Milieus ansprechen, die bisher nicht erreicht wurden."

Was man gegen all den Druck tun kann? "Langeweile zulassen", rät Glückstrainerin Smolka. "Selbstliebe kultivieren und sich hier und da Nicht-optimal-Sein gestatten." (Franziska Zoidl, Cure, 31.8.2015)