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Umgerechnet mehr als 1000 Euro pro Tablette kostet das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi, bzw. dessen Nachfolger Harvoni.

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Pharmafirmen fusionieren: Viele Medikamente kommen auf diese Weise "aus einer Hand".

Foto: KHM; Illustrationen: Sarah Egbert Eiersholt

Das Medikament hat eingeschlagen wie schon lange keines. Wegen der exorbitant hohen Kosten war die Einführung von Harvoni mit heftigen Diskussionen verbunden. Der Grund: Für das Hepatitis-C-Medikament kassierte der US-Konzern Gilead Science umgerechnet mehr als 1000 Euro – pro Tablette.

Hepatitis C ist eine schwere Infektionskrankheit. Wird sie chronisch, kann sie zu Leberzirrhose und Leberkrebs führen. Harvoni und Sovaldi, eine ältere Version der Tablette, werden zwar als "Wundermedikamente" gehandelt, die eine mehr als 94-prozentige Heilungschance versprechen; dennoch löste der Fall angesichts der rasant steigenden Kosten im Gesundheitssystem eine Grundsatzdiskussion aus, was ein fairer Preis ist.

Gilead wurde zum Symbol für außer Kontrolle geratene Medikamentenpreise. Das Präparat wird inzwischen etwas billiger abgegeben. Das hat auch mit AbbVie zu tun. Das Unternehmen, das seinen Sitz wie Gilead in den USA hat, ist mit einem Konkurrenzprodukt aufgefahren. Wettbewerb wirkt, die Diskussion über die Auswüchse von Big Pharma reißt dennoch nicht ab.

Merger & Acquisitions

Dabei klagen die Pharmaunternehmen selbst über steigende Kosten und starken Preisdruck. Sie versuchen, dem entgegenzuwirken, indem sie wachsen. Fressen oder gefressen werden lautet das Motto vieler.

In keiner anderen Branche laufen derzeit so viele Firmenübernahmen und Zusammenschlüsse wie in der Pharmaindustrie. Allein im ersten Halbjahr 2015 gab es gut ein Dutzend Deals, bei denen jeweils mehr als eine Milliarde Dollar floss. Der Gesamtwert der im Pharmabereich abgeschlossenen Mergers & Acquisitions (M&A) hat sich im Vergleich zum ersten Halbjahr 2014 von 69 Milliarden auf 210 Milliarden Dollar (190 Milliarden Euro) fast verdreifacht, hat eine Recherche der Agentur Thomson Reuters ergeben.

"Hohe Liquidität und wenig interne Investitionsmöglichkeiten treiben das M&A-Geschäft an", sagte Ewald Kreid. Er ist seit 17 Jahren für das Beratungsunternehmen Boston Consulting Group (BCG) tätig und hat sich auf Pharma spezialisiert. An den Top-Deals sind fast immer Amerikaner beteiligt, in einigen Fällen Europäer, sehr selten Unternehmen aus Entwicklungsländern, hat er festgestellt.

Steuern sparen

Gerade US-Unternehmen schwimmen derzeit in Geld, das sie vielfach steuerschonend im Ausland geparkt haben. "Bei Steuerdeals ist es oft so, dass vielfach nur die Aktionäre profitieren, Patienten und Allgemeinheit eher nicht", sagte Kreid. Bei Mergers, die aus anderen Motiven durchgezogen würden, seien die Gewinner hingegen meist breiter gestreut.

Viele Unternehmen suchen schlicht Ersatz für Blockbustermedikamente, an denen sie lange Zeit sehr gut verdient haben, deren Patentschutz aber abläuft. Ein zweiter Grund für die Fusionitis ist die hohe Börsenbewertung vieler Firmen. "Wenn der eigene Aktienkurs hoch ist, kann man leichter andere kaufen", sagte Kreid. "Bei Bedarf kann der Hunger nach Größe immer noch mit Fremdkapital gestillt werden, das wegen der tiefen Zinsen so billig ist wie schon lange nicht."

Ablaufende Patente

Die mit Abstand größte Übernahme im heurigen Jahr geht auf das Konto von Actavis. Der US-Pharmariese hat im ersten Quartal 2015 den Botox-Hersteller Allergan für rund 70,5 Milliarden Dollar geschluckt. Im zweiten Quartal hat AbbVie zugeschlagen. Das Unternehmen aus Chicago, das Gilead mit einem eigenen Hepatitis-C-Medikament in die Quere gekommen ist, hat knapp 21 Milliarden Dollar für Pharmacyclics lockergemacht – ein Unternehmen, das im Prinzip nur ein Produkt hat: Imbruvica – ein Blockbuster gegen Blutkrebs.

Die Pharmacyclics-Übernahme durch AbbVie ist ein gutes Beispiel, wie die Pharmabranche Transaktionen nutzt, um einem drohenden Verlust der Marktexklusivität aufgrund von ablaufenden Patenten zu begegnen.

Ein Ende des Übernahmefiebers ist nicht in Sicht – im Gegenteil, es könnte noch um ein paar Grad steigen. So haben die zehn größten Transaktionen, die für die zweite Jahreshälfte 2015 angekündigt sind, alle einen Wert von mehr als einer Milliarde Dollar, manche sogar deutlich mehr. Jüngstes Beispiel: Teva aus Israel. Der weltgrößte Generikahersteller hat Ende Juli 40,5 Milliarden Dollar für die Generikasparte des Botox-Herstellers Allergan aus den USA geboten. Mit dieser Akquisition steigt die Ratiopharm-Mutter nach eigener Darstellung in die Riege der weltweit zehn größten Pharmakonzerne auf.

Onkologie im Fokus

Pharmaunternehmen interessieren sich derzeit vor allem für Unternehmen, die in den Bereichen Onkologie und kardiovaskuläre Erkrankungen tätig sind. Davon zeugen die angekündigte Übernahme von Cellectis durch Pfizer für 1,6 Milliarden Dollar sowie die Akquisition von Cordis durch Cardinal Health um 1,9 Milliarden. 2014 haben die globalen Ausgaben für Krebsmedikamente erstmals die 100-Milliarden-Grenze gesprengt. Kreid von BCG ist überzeugt, dass Forschungsansätze wie Immuntherapien die Attraktivität des Marktes weiter steigern werden.

Andere Unternehmen versuchen, eine relevante Größenordnung in einem Bereich zu erringen, und hoffen, dadurch höhere Erträge zu lukrieren. So hat etwa GlaxoSmithKline (GSK) aus Großbritannien sein Onkologieportfolio an die Schweizer Novartis verkauft; gleichzeitig hat der in Basel ansässige Konzern sein Geschäft für verschreibungsfreie Medikamente in ein Joint Venture eingebracht, bei dem GSK die Führung hat.

Weil Pharma einer der meistregulierten Zweige der Wirtschaft ist, gibt es viel Spielraum für digitale Intermediäre. Das haben auch Apple, Google & Co erkannt. Sie drängen immer stärker in den Markt. Die wirkliche Revolution im Pharmasektor steht erst bevor. (Günther Strobl, Cure, 7.9.2015)