Die Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely kann freundlich und fröhlich wirken, kann aber genauso gut mir harten Bandagen kämpfen. Im Streit um die Ärztearbeitszeit hat sie es bewiesen.

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Nach einer halben Stunde hat sie sie in der Tasche: 180 Schülerinnen und Schüler der Krankenpflegeschule Donauspital, die gerade noch getratscht, geflirtet, ihre Handys gecheckt oder ihre Haare gerichtet haben, applaudieren der Frau, die mit großer Geste ruft: "Ihr seid die Zukunft!"

So etwas hört jeder gern. Sonja Wehsely, 45, seit ihrem 14. Lebensjahr politischer Vollprofi, legt diesen rhetorischen Köder natürlich bewusst aus. Die Wiener "amtsführende Stadträtin für Gesundheit und Soziales" ist keine schlechte Rednerin.

Sie wirkt lebendig und engagiert, legt sich bei trockenen Themen wie "Pflege- und Betreuungskonzept 2030" derart ins Zeug, dass sie mitunter außer Atem gerät. Und sie würzt ihre Ausführungen mit kleinen Bonmots der Marke "Ich bin ja nur eine profane Juristin, ihr seid die Expertinnen" oder "Für die Pflege braucht man mehr als ein gutes Herz, und ihr seid der beste Beweis dafür". Damit hat sie Lacher und Zustimmung auf ihrer Seite.

Die Kunst des Verhandelns

Natürlich spricht die 45-jährige SPÖ-Politikerin hier, gleich neben dem Donauspital im rot regierten Bezirk Donaustadt im rot regierten Wien, vor eher freundlich gesinnten Studierenden, Lehrenden und Personalvertretern. Die Schule gehört zum Krankenanstaltenverbund (KAV), den Sonja Wehsely "gut im Griff hat", wie etwa die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz meint. Obwohl, mit dem Griff ist das so eine Sache: Zuletzt schien es eher so, als drohten ihr die Zügel zu entgleiten – zumindest, was die Ärzte betraf. Zu ihnen, konkret zu ihrer Standesvertretung, war die Gesprächsbasis vorübergehend stark gestört.

Denn gerade die im KAV beschäftigten Spitalsärzte wehrten sich am hartnäckigsten gegen das neue Ärztearbeitszeitgesetz und das neue Gehaltsschema. Ausgerechnet der rote Ärztekammer-Chef Szekeres opponierte am vehementesten gegen die rote Stadträtin.

Ausgerechnet vor der Wiener Gemeinderatswahl im Herbst. Zuletzt zauberte die Ärztekammer sogar eine Umfrage unter Spitalsärzten hervor, laut der über 90 Prozent streiken wollen. Wehsely ließ postwendend ausrichten, sie halte weitere Gespräche für "derzeit nicht zielführend", solange die Verhandlungstaktik der Standesvertretung auf "Erpressung im Wahljahr" ausgerichtet sei. Dann einigte man sich doch noch im letzten Augenblick: um den Preis ein paar weiterer Milliönchen.

Kann mit harten Bandagen kämpfen

Der Dauerkonflikt zeigt: Sonja Wehsely kann auch mit harten Bandagen kämpfen. Immerhin hat sie, gemeinsam mit dem schwarzen Landeshauptmann von Oberösterreich und dem schwarzen Finanzlandesrat von Niederösterreich, eine bundesweite Gesundheitsreform ausgearbeitet und paktiert – was viele nicht für möglich gehalten hätten.

Sie hat in Wien fünf Spitäler geschlossen, und sie hat, mitten im Sparzwang, den Bau des neuen Krankenhauses Nord durchgesetzt. Zudem ist Wehsely drauf und dran, ihre Ankündigung wahrzumachen, dass es ab heuer nur mehr moderne Pflegeheime in Wien geben soll. So weit wäre also alles gut. Wären da nicht die ständigen Reibereien mit den Ärzten.

Ihre Verhandlungstaktik sei geschickt, sagt Patientenanwältin Pilz, die als grüne Gesundheitssprecherin manche Klinge mit ihr gekreuzt hat. Pilz: "Sie hat in der Psychiatrie-Untersuchungskommission ihr Personal geschützt und wenig später, als Gras über die Sache gewachsen war, eine Reform begonnen, die die wesentlichen Forderungen aufgegriffen hat." Wehsely sei "veränderungswillig und fortschrittlich", sagt Pilz, "aber kommuniziert wird, dass es Vorschläge der SPÖ und nicht der Opposition sind, die umgesetzt werden".

Auch mit Zähneknirschen

So gesehen war eigentlich nicht mehr damit zu rechnen, dass es etwas in der Gesundheitspolitik gibt, an dem sich Sonja Wehsely die Zähne ausbeißen könnte. Vielleicht erstaunte sie das monatelange Patt selbst. Nach jeder gescheiterten Verhandlungsrunde wirkte sie irgendwie fassungslos. Ihr letztes Zugeständnis, das dann zur Einigung mit den KAV-Ärzten führte, ist wohl unter Zähneknirschen erfolgt.

Denn Wehsely, seit 2007 Gesundheitsstadträtin, bleibt zumeist eisern, mit Tendenz zur Sturheit, wenn sie sich im Recht fühlt. Dass ihr nun auch SPÖ-intern manche nachsagen, sie hätte sich früher, nicht ausgerechnet im Wahljahr, um die Reform der Ärztearbeitszeit kümmern sollen, ist freilich ein wenig ungerecht: Einen diesbezüglichen Vorstoß Wehselys im Vorjahr bremste die rote Gewerkschaft, die lieber bis zur letzten Minute zuwarten wollte. Will man ihr etwas vorwerfen, dann, dass hier die Gesundheitspolitikerin gegen die Parteifrau verlor.

Dass Wehsely wegen ihres medizinischen Dauerkonflikts sogar bei Bürgermeister Michael Häupl in Ungnade gefallen sei, ist freilich ein Latrinengerücht. Häupl imponiert ihre Energie und ihre in (fast) jeder Lebenslage kontrollierte Zielstrebigkeit. Er vertraut ihr auch dort, wo es nicht um Gesundheits- und Sozialfragen geht. Wehsely ist etwa auf ihrer Facebook-Seite eine der vehementesten Kritikerinnen von Rot-Blau im Burgenland, und ihre Empörung über die Ausländerfeindlichkeit der blauen Truppe in Wien duldet keine Kompromisse.

Politische Triebfeder

Das hat auch mit ihrer Herkunft zu tun. Sie stammt aus einer Familie assimilierter Leopoldstädter Juden, die in der NS-Zeit doppelt verfolgt wurden – viele ihrer ermordeten Verwandten waren Kommunisten. Wehsely hat die Kommunalpolitik, wie ihre jüngere Schwester Tanja, Vize-SPÖ-Klubchefin im Wiener Gemeinderat, schon mit dem Babybrei gelöffelt. Ihre Dauerbeziehung mit Andreas Schieder, mit dem sie einen erwachsenen Sohn hat, macht sie zum Mitglied der eng versippten roten Wiener Partei-Elite.

Das ist aber nicht der Grund, warum sie schon lange als SPÖ-Nachwuchshoffnung mit wechselnder Aussicht auf das Gesundheitsministerium oder den Bürgermeisterinnenposten gilt. Wehsely ist tief verwurzelt in Wien, mehr noch, in ihrem Heimatbezirk Leopoldstadt. Dort, im "Zweiten", ist sie ähnlich bekannt wie ihre langjährige Mentorin Brigitte Ederer, und auch ähnlich beliebt bei den Eingeborenen.

Wehsely hält Wien wahrhaftig für die beste aller Städte, sie hat, obwohl bekennende Feministin, die paternalistische Sicht der SPÖ auf die Stadt inhaliert: In Wien machen wir es anders als im Rest Österreichs und der Welt, in Wien ist alles besser und muss so bleiben. Das ist ihr Motto und ihre Überzeugung.

Weichen für die Zukunft stellen

Nie ist sie authentischer und temperamentvoller, als wenn sie Geschichten erzählt, wie schlecht Gesundheitssysteme anderswo laufen – etwa in London oder in Hamburg, wo man die Spitäler weitgehend privatisiert hat. Eine starke öffentliche Hand, ein modernes Gesundheits- und Sozialsystem, (versorgungs-)gerecht zu allen – das sind ihre Anliegen, damit, glaubt sie, müsse man auch Wählerstimmen bekommen können. Aber sie werde sich dabei nie anbiedern, sagt sie selbst, "am Stammtisch mitraunzen liegt mir nicht".

In der Krankenpflegeschule sagt sie mit Nachdruck: "Mir geht's in erster Linie um die Sache." Alles andere ist, frei nach Hans Krankl, primär – diese Botschaft ist im roten Kernland mit Sicherheit angekommen. (Petra Stuiber, Cure, 27.8.2015)