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Bei der Entwicklung spielen DNA und Umwelt zusammen, das wird in Zwillingsstudien deutlich.

Foto: dpa / Karl-Josef Hildenbrand

Da sei jemand, der einfach zu ihr gehört, sagt Flora Oberhammer. Jemand, auf den sie sich immer verlassen konnte. Ein Zweiter, ein Kompagnon, früher ein Spielkamerad, heute ein Freund. Sie habe sich als Kind nie allein gefühlt, erzählt die junge Frau. Oberhammer hat einen Zwillingsbruder. Wie alle nicht gleichgeschlechtlichen Zwillinge sind die beiden zweieiig, also aus verschiedenen Eizellen entstanden. Genetisch betrachtet sind sich Flora und ihr Bruder nicht ähnlicher als andere Geschwister.

"Gerade in der Pubertät war mein Bruder eher verschlossen und ich total aufgeweckt. Auch heute kann ich nicht sagen, dass wir uns wahnsinnig ähnlich sehen oder sind", sagt Oberhammer. Dennoch sei sie sich sicher: Die Verbindung zwischen Zwillingen ist speziell. Oberhammer erwartet demnächst ein Kind. Genauso die Freundin ihres Bruders. "Dass wir gleichzeitig das erste Kind bekommen, hat uns zwar sehr amüsiert, aber irgendwie gar nicht verwundert."

Zwillingen wird dieses geistige Band auch nachgesagt. Das lässt sich so freilich nicht nachweisen. Fest steht allerdings, dass viele Zwillinge eine enge Beziehung zueinander pflegen. "Wir haben Zwillingspaare befragt, ob sie eher ihren Partner oder ihren Zwilling aufgeben würden. Die meisten würden eher auf den Partner verzichten", sagt Frank Spinath, Leiter der Arbeitseinheit Differenzielle Psychologie an der Universität Saarland, einer der wenigen ausgewiesenen Zwillingsforscher im deutschsprachigen Raum.

Erbliches Schicksal

Die Zwillingsforschung ist ein weites Feld. In erster Linie bemüht sie sich darum, Unterschiede zwischen Menschen zu ergründen. "Zwillinge sind für die Wissenschaft wahnsinnig interessant. Kein Pärchen weist eine so hohe genetische Ähnlichkeit auf wie eineiige Zwillinge. Zweieiige Zwillinge hingegen sind eine gute Vergleichsgruppe, weil sie gleich alt sind und zumeist sehr ähnlich aufwachsen", sagt Spinath.

Für ihn lautet eine der entscheidendsten Erkenntnisse der Zwillingsforschung: "Alles ist mehr oder weniger erblich. Selbst beim menschlichen Verhalten müssen wir die Gene mit ins Kalkül ziehen." Dennoch gebe es kein genetisches Schicksal, dem man hilflos ausgeliefert ist.

"Natürlich spielen bei der Entwicklung eines Menschen auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Bestimmte Anlagen werden erst durch gewisse äußere Bedingungen sichtbar", erklärt Spinath. Einige Fakten über Zwillinge können sich Forscher allerdings bis heute nicht erklären. Etwa warum Zwillingsgeburten in Afrika wesentlich häufiger sind als in Asien und warum sie dort wiederum seltener vorkommen als in Europa.

Eizelle und Spermien

Von eineiigen Zwillingen spricht man, wenn eine Eizelle von einem Spermium befruchtet wird und sich dann teilt. Aus den beiden neuen Zellen entwickeln sich dann zwei Kinder mit fast identischem Erbgut. Ein krimineller Zwilling kann sich allerdings nicht darauf verlassen, dass vielleicht dem Bruder oder der Schwester die Tat angelastet wird – Fingerabdrücke eineiiger Zwillinge sind zwar sehr ähnlich, können aber mithilfe eines Computers unterschieden werden. Blut- und Speichelproben sind hingegen identisch.

Zweieiige Zwillinge sind doppelt so häufig wie eineiige Geschwisterkinder. Hier werden zwei Eizellen von zwei Spermien befruchtet. Theoretisch kommen also selbst zwei Väter infrage.

Die Rate an Zwillingsgeburten ist weltweit steigend. Das liegt daran, dass Frauen, je älter sie sind, eher zu Zwillingsschwangerschaften neigen – und Frauen heute später Kinder bekommen als früher. Hinzu kommt, dass Hormonbehandlungen Zwillingsgeburten begünstigen.

In der Forschung sind Zwillinge bis heute beliebt. Erst kürzlich ließ die Nasa mit einer Mission aufhorchen, die Grundlagen für die Erkundung des Planeten Mars liefern soll: Ein US-Astronaut befindet sich derzeit im All auf der Internationalen Raumstation ISS. Sein Zwillingsbruder dient auf Erden als Vergleichsproband.

Intelligenz in den Genen

Was viele ungern hören würden, wie Spinath sagt, aber durch Zwillingsstudien inzwischen wissenschaftlich gedeckt sei: "Auch Intelligenz ist erblich. Und das zu fünfzig Prozent oder mehr." Der Einfluss der Gene steige mit den Lebensjahren, weil man mit zunehmendem Alter häufiger selbst bestimme, wie man seine Ressourcen einsetzt. "Je stärker jemand seinen Neigungen folgen kann, desto größer wird der Spielraum für die Gene", sagt Spinath.

Bei Flora Oberhammer und ihrem Zwilling wurden die Ressourcen früher jedenfalls so effizient wie möglich verteilt: "In der Volksschule habe ich zwei Deutschhausübungen geschrieben, und er hat die Matheaufgaben doppelt gelöst. Da ist man uns leider draufgekommen. Im Gymnasium mussten wir in unterschiedliche Klassen." (Katharina Mittelstaedt, Cure, 14.9.2015)