Das griechische Parlament hat einschneidende Reformen beschlossen und so den Weg zu einem dritten, internationalen Hilfspaket freigemacht. Ministerpräsident Alexis Tsipras hat im Interesse des Kompromisses die Einheit seiner linken Syriza-Partei und seiner Regierung geopfert. Mehr als vierzig Syriza-Abgeordnete stimmten gegen das Reformprogramm, das nur mithilfe der Oppositionsparteien verabschiedet werden konnte. Tsipras habe die harten Bedingungen akzeptiert, um einen kollektiven "Selbstmord" zu verhindern, sagte er, wenn das Land die Währungsunion hätte verlassen müssen. Der bis vor kurzem vom missionarischen Eifer der Verbalrevolutionären getriebene Regierungschef scheint nach dem jüngsten ernüchternden Euro-Gipfelerlebnis die Mahnung Max Webers verstanden zu haben: Politik sei "ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß". Für den Kurswechsel muss der von den Linksromantikern umjubelte Tsipras möglicherweise mit einer verlorenen Vertrauensabstimmung und sodann mit Neuwahlen rechnen.

Die andere Schlüsselfigur beim denkwürdigen Gipfeltreffen, Bundeskanzlerin Angela Merkel, könnte bei der morgigen Bundestags-Abstimmung über das Hilfspaket auch eine herbe Enttäuschung erleben. Mitte Juli hatte fast ein Fünftel der CDU/CSU-Fraktion neue Kreditverhandlungen mit Griechenland abgelehnt. Am Mittwoch erwartet man noch mehr Neinsager, zum Teil auch wegen der konrtraproduktiven Sanktionsdrohung des CDU- Fraktionsvorsitzenden. Trotzdem wird mit einer großen Mehrheit im Bundestag für das Hilfspaket gerechnet, weil die SDP und auch viele Grünen Abgeordnete dem Merkel-Kurs zustimmen dürften.

Es ist bisher den Linksromantikern in den Medien à la Jacob Augstein im Spiegel nicht gelungen, den von ihnen verteufelten Parteivorsitzenden Gabriel und den Außenminister Steinmeier wegen ihrer staatspolitisch richtigen Linie zu stürzen. Man kann nur hoffen, dass auch in Spanien, Portugal und Italien die verlockenden Träume der Linksromantiker über einen "freien, staatsfernen Sozialismus" oder "eine Art Netzwerk-Sozialismus" gegen die ernüchternde Wirklichkeit nicht siegen werden. Das gilt auch für den neuen Liebling der englischen Bürgerbewegung, den Altlinken Labour-Abgeordneten Jeremy Corbyn, der mit seiner Kampagne für die Renationalisierung wichtiger Wirtschaftszweige und für den Austritt aus der Nato den Vorsitz seiner Partei während der laufenden Urabstimmung der Mitglieder und Sympathisanten erobern möchte.

Als ich während der Arbeit an meiner Kreisky-Biografie dem Bundeskanzler die spöttische Bemerkung eines hohen SPÖ-Funktionärs (ohne Namensnennung) erzählte – "bei Kreisky besteht keine Gefahr, dass er den Weg zum Sozialismus findet" -, sagte Kreisky mit beißender Ironie: "Vielleicht kann Ihnen der einmal sagen, wo der Weg hingeht. Ich bin der Meinung, dass endlich einmal mit diesem sinnlosen, geistesschwachen Geschwätz "Der Weg zum Sozialismus" Schluss sein muss. Ein mystisches Reich, das irgendwann einmal plötzlich dastehen wird ..." Die Linksromantiker waren und sind die Totengräber der modernen Sozialdemokratie und (freilich ungewollt) die Wegbereiter der rechtspopulistischen Bewegungen. (Paul Lendvai, 17.8.2015)