Der Biologe Sasha Mendjan träumt davon, einmal in seinem Labor ein von ihm gezüchtetes Herz schlagen zu sehen. Die biologischen Grundlagen dafür erforscht er ab Oktober in Wien.

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Wien – Etwa 60 bis 80 Mal in der Minute, rund 100.000 Mal am Tag schlägt unser Herz. Es ist die Pumpe des Blutkreislaufs, ein Hochleistungsmotor des Lebens – und "das am aufwendigsten konstruierte Organ des Menschen", sagt Sasha Mendjan. Der Biologe meint damit zum Beispiel die zehn und mehr verschiedenen Gewebetypen, die ein menschliches Herz aufbauen. Für einen Stammzellforscher wie Mendjan ist dies "sehr viel".

Je mehr Gewebetypen, desto schwieriger ist die Suche nach Antworten, etwa auf die Frage: Wie bilden sich aus Stammzellen – also dem Ausgangsmaterial, das sich noch zu allen Zelltypen unsers Körpers entwickeln kann – bestimmte Organe? Und wie lassen sie sich bilden? Denn die künstlichen Organe versprechen großen Nutzen für die medizinische Forschung.

So ist auch Mendjans Vision, in seinem Labor einmal ein von ihm gezüchtetes Herz schlagen zu sehen. Die biologischen Grundlagen dafür erforscht er ab 1. Oktober am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Organe im Millimetermaß

Weltweit arbeiten Forscher an der Entwicklung von aus Stammzellen gewonnenen Organen. Am IMBA gelang es Forschern um Jürgen Knoblich vor zwei Jahren, aus den nicht differenzierten Zellen menschliche "Minihirne" von bis zu vier Millimetern Größe herzustellen. Britische Forscher haben bereits 2006 erste "Minilebern" vorgestellt – sie sind so groß wie kleine Münzen. "Minilungen" haben jüngst Forscher vom britischen Stem Cell Institute in Cambridge entwickelt – Mendjans derzeitiger Forschungsstandort.

Diese sogenannten Organoide sind dreidimensionale Modelle, die das Verhalten und die Funktion der menschlichen Organe nachahmen. Sie dienen vor allem zur Erforschung von Krankheitsentstehungen und zum Testen von Medikamenten.

"95 Prozent der Forschung in diesem Bereich konzentrieren sich bisher darauf, ein bestimmtes Gewebe aus Stammzellen zu produzieren. Die Organoide bestehen aber wie die echten Organe des Menschen in der Regel aus mehreren Gewebetypen", sagt Mendjan. Nachdem das Gewebe auch untereinander "kommuniziert", könnten sie viel besser die Wirkung von Medikamenten demonstrieren.

Die vergleichsweise teuren und aufwendigeren Versuche mit Mäusen, Ratten und anderen Tieren machen die Organoide nicht obsolet. "Sieht man in ihnen, dass eine bestimmte Mutation die Herzentwicklung beeinflusst, will man auch sehen, ob das in der Maus zutrifft. Das ist immer noch ein echter Organismus", sagt Mendjan.

In der Kombination von molekularer Grundlagenforschung, Tiermodellen und humanen Stammzellmodellen aus dem Labor sieht der 36-Jährige die Zukunft der Medizinforschung.

Eingeschränkte Entwicklung

Doch: "Die künstlichen Organe müssen noch sehr viel besser werden – bisherige Organoide sind noch nicht wirklich optimal entwickelt", sagt der künftige IMBA-Forscher. So funktionieren zurzeit viele Organoide viel eingeschränkter als unsere Organe. "Ihre Zellen ähneln eher jenen aus einem sehr frühen Stadium der Entwicklung – noch vor der Geburt. Um sie wirklich zur Medikamentenentwicklung oder zu therapeutischen Zwecken einsetzen zu wollen, braucht man die volle Funktionalität."

2007 kam Sasha Mendjan als Postdoc an das Stem Cell Institute der University of Cambridge: ein Ort, der heute rund 50 Stammzellforschungsgruppen beherbergt. Auch wenn das IMBA die Stammzellforschung noch weiter ausbauen will, "ist sie hier natürlich viel kleiner aufgestellt".

Doch der Wechsel vom "Silicon Valley" der Stammzellforschung Europas nach Wien fällt Mendjan nicht schwer: "Hier am IMBA habe ich mehr Möglichkeiten, an etwas Neuem zu arbeiten." In Cambridge herrscht unter den vielen Gruppen ein großer Wettbewerb. "Die beste Idee wird nicht mit anderen diskutiert", sagt Mendjan. Von Wien zeichnet er ein anderes Bild: "Hier trifft man auf Leute, die sehr verschiedene Dinge machen, verschiedene Techniken anwenden und mit denen man sehr frei diskutieren kann." Zum Beispiel auch Ansätze, wie man der Entwicklung des künstlichen Herzens auf die Schliche kommen könnte.

Fehlende Herzminiatur

Warum ihn gerade das besonders interessiert, begründet Mendjan: "Ein Organoid vom Herzen gibt es noch nicht." Das trifft auch auf andere Gewebe zu, die vom Mesoderm – einem bestimmten Zelltyp aus der sehr frühen Entwicklung des Menschen – abstammen: zum Beispiel das Bindegewebe oder die Muskulatur. "Ich will wissen: Warum konnten wir bisher noch keine Organoide, die sich aus den mesodermalen Zellen entwickeln, herstellen?" Und vor allem interessiert Mendjan: "Wie können wir sie herstellen?"

Ein Grund für die wenigen Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet könnte sein – so Mendjans Annahme -, dass die Stammzellen in Organen wie dem Herz wenig aktiv sind. Im Darm werden die Gewebezellen alle sechs Tage ausgetauscht, die Stammzellen regenerieren das Gewebe.

"Im Herz wird ein Prozent aller Zellen in einem Jahr ausgewechselt. Das Herz ist also ein Organ, das sich nur sehr langsam regeneriert. Daher wurde auch bisher noch keine Herzstammzelle gefunden", sagt Mendjan.

Zudem ist zu bedenken: Selbst wenn es Stammzellen im Herz gäbe, ließe sich hier – im Gegensatz zum Darm – eine Biopsie kaum durchführen. Dadurch ließen sich also die nützlichen Stammzellen für die Experimente im Labor nicht gewinnen.

Für seine Herzforschung will der gebürtige Belgrader, der in Deutschland studierte, daher vor allem "pluripotente" Stammzellen nutzen: also jene neutralen Zellen, die sich noch in keiner Weise ausdifferenziert haben.

Dabei greift er auf induziert pluripotente Stammzellen zurück: 2012 ging der Medizin-Nobelpreis an Forscher, die normale Körperzellen künstlich reprogrammiert und in Zellen verwandelt haben, die sich wieder in jegliches Gewebe entwickeln können. Die Technik hat die Stammzellforschung revolutioniert; sie macht sich auch Mendjan zunutze.

Nebenwirkungen möglich

Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen nach wie vor zu den häufigsten Krankheiten. Das treibt die Forscher an. Zudem könnte mit einem künstlichen "Miniherz" besser sichergestellt werden, dass Medikamente jeglicher Art keine Nebenwirkungen auf unser zentrales Lebensorgan haben.

Denn: "Jedes Medikament muss vor Zulassung auf Herz-Toxizität getestet werden. Bisher dient vor allem ein Typ von Herzzellen, von Mäusen, Ratten oder auch Hunden abstammend, diesen Versuchen. Bei vielen Medikamenten sind damit Nebenwirkungen auf unser Herz nicht ausgeschlossen." Das, hofft Mendjan, wird sich langfristig ändern. (Lena Yadlapalli, 19.8.2015)