Der gebürtige Äthiopier Esayas Berhanu-Endeshaw hatte keinen einfachen Start ins Leben. Als zweitjüngstes von insgesamt sieben Kindern ist er mit seinen Geschwistern in einem Slum der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba aufgewachsen. Lediglich 133 Birr Witwenpension bekam seine Mutter als Alleinerziehende. Umgerechnet sind das weniger als sieben Euro monatlich. Mit diversen Aushilfsjobs kämpfte die Frau um das Überleben der gesamten Familie. Umso beeindruckender ist es daher, wie sich Esayas später durchgeschlagen hat.
Trotz schwieriger Voraussetzungen und hoher akademischer Anforderungen schaffte er es in Äthiopien auf die Universität. Kaum hatte er sein Studium in Finance abgeschlossen, bekam der damals 25-Jährige eine Anstellung bei einer Bank. Er gründete einen Betriebsrat mit und wurde letztendlich zum Generalsekretär des Gewerkschaftsbunds befördert.
Die unerwartete Flucht
Dann kam etwas Unerwartetes dazwischen. Während einer Geschäftsreise in Wien im Jahr 1995 eskalierte die politische Situation in Äthiopien. Seine Funktion in der Gewerkschaft machte die Rückkehr in die Heimat unmöglich. Mit Krawatte und Aktentasche fand sich Esayas vor dem Bundesasylamt auf der Wiener Landstraßer Hauptstraße wieder, um um Schutz anzusuchen. Vier Monate später kam der positive Bescheid. Mit Unterstützung von Amnesty International und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) fand er ein Zimmer im Lehrlingsheim. "Ich musste Deutsch lernen und mich integrieren. Das war die einzige Möglichkeit, etwas zu schaffen", erinnert sich der heute 45-Jährige.
Arbeit als Banker fand er in Österreich in der Folge nicht. Entmutigen ließ er sich davon nicht, stattdessen nahm er einen Job als Autowäscher an. Es folgten weitere: In einem Geschäft am Flughafen Wien sowie als Laufbursch beim ÖGB, bis er schlussendlich nach Jahren doch noch eine Chance im Bankwesen bekam. Er kletterte die Karriereleiter hinauf und wurde zum Investmentbanker bei der Bawag. Heute arbeitet er bei der Kommunal Kredit Bank. Seit er auf der Landstraße um Asyl ansuchte, sind inzwischen mehr als zwanzig Jahre vergangen. Mittlerweile ist er österreichischer Staatsbürger und hat hier eine neue Heimat gefunden: Er bezeichnet sich selbst als "waschechten Wiener". Gemeinsam mit einer Vorarlbergerin hat er eine Tochter und einen Sohn und kümmert sich darüber hinaus um die vier Kinder seiner verstorbenen Schwester.
Alle Jahre wieder ins Heimatland
2008, 13 Jahre nach seiner Flucht, kehrte er das erste Mal nach Äthiopien zurück. Seither reist er immer wieder dorthin. Da einige seiner Geschwister wie er im Ausland leben, organisieren sie jährlich ein Treffen in Addis Abeba – auch um die Mutter zu besuchen, die immer noch dort wohnt. Die politische Situation in Äthiopien habe sich mittlerweile stark gebessert, meint Esayas. Das Land entwickle sich rasch. In den vergangenen Jahren betrug das Wirtschaftswachstum neun Prozent: An der Stelle des Slums, wo er als Kind hauste, stehen heute große Wohngebäude. (David Stojanoski, 19.8.2015)