"Es gibt keine Grauschattierungen, wenn jemand beim Ertrinken ist", sagt der Filmemacher Patrick Catuz und fordert auf, in Sachen Flucht klar Stellung zu beziehen und Statements abzugeben. Mit der Platform "Flüchtlingskinder" will er mehr Öffentlichkeit für die "Menschen mit Fluchthintergrund" schaffen.

STANDARD: Ihr Kollege, der Linzer Rapper Willi Ban, und Sie haben das Projekt "Flüchtlingskinder" ins Leben gerufen. Was wollen Sie damit erreichen?

Catuz: Sowohl Willi als auch ich sind Kinder von Flüchtlingen. Seine Eltern sind aus Kambodscha und meine ursprünglich aus Polen. Wir haben uns gedacht, dass wir Flüchtlingskinder mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, etwas unternehmen müssen, um beim Deutungskampf, der derzeit rund um das Thema Flüchtlinge tobt, einen positiven Beitrag beizusteuern. Da er ein Rapper ist und ich ein Filmer bin, lag es nahe, dass wir ein Rapvideo produzieren. Daraus wurde dann die Idee, eine Plattform zu gründen, auf der Stimmen und Bilder pro Flüchtlinge gesammelt und gebündelt werden. Es handelt sich um eine audiovisuelle Plattform wider die Hetze gegen Flüchtlinge.

Wir sehen es als ein offenes Projekt, jeder kann mitmachen. Wir bitten die Menschen, uns ihre Beiträge zu schicken, die wir dann auf der Seite posten. Egal ob Musikvideos oder Statements. Wir wollen auf diese Art und Weise die vielen Stimmen zeigen, die anders denken als in den Hassbotschaften, die man täglich hören oder lesen kann.

Flüchtlingskinder Projekt


STANDARD: Sie selbst sind mit gutem Beispiel vorangegangen und haben schon zwei Videos gedreht. Worum geht es in denen?

Catuz: Ursprünglich wollten wir nur ein Rapvideo drehen, wo wir unsere gesamte Wut und den Frust aufgrund der derzeitigen Antiflüchtlingsstimmung in Österreich hineinpacken, der Rest kam erst später. Wir haben eine neue Version des Liedes von Jay-Z, "99 Problems", aufgenommen, mit dem Titel "Ich habe 99 Probleme, aber ein Flüchtling ist keines". Um die Plattform zu verbreiten, habe ich auch noch mein Statement eingesprochen. Wir werden demnächst auch Porträts von Flüchtlingen präsentieren, um den Flüchtlingen ein Gesicht zu geben und damit auf diesem Wege ihre Geschichten gehört werden.

STANDARD: Frustriert und wütend über die derzeitige Antiflüchtlingsstimmung sind derzeit vermutliche viele Menschen in Österreich. Warum schweigen so viele – und warum konnten Sie nicht mehr?

Catuz: Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo es keine Neutralität mehr gibt. Und das ist beim Flüchtlingsthema schon längst erreicht. In dieser Sache kann man nicht mehr zwischen den Stühlen stehen, und wir fordern die Leute auf, klar Stellung zu beziehen. Es gibt keine Grauschattierungen, wenn jemand am Ertrinken ist, dann rettest du die Person, oder du lässt sie ersaufen. Das kann man sich nicht schönreden. Wenn wir weiter zusehen, machen wir uns mitschuldig.

Flüchtlingskinder Projekt


STANDARD: Das ist auch einer der Slogans auf Ihrer Seite: "Auf welcher Seite stehst du?"

Catuz: Wir wollen die Leute wachrütteln. Ein Teil der Botschaft ist "Du musst!" – es ist eine Verantwortung, die jeder und jede trägt. Der andere Teil der Botschaft ist "Du kannst!", da die Leute ja oft wollen, aber nicht wissen, wie. Wir müssen es schaffen, dass die Stimmung kippt. Wir wollen die Leute dazu animieren, dass sie aktiv werden, und zeigen ihnen Möglichkeiten, wie das gehen kann.

STANDARD: In Österreich leben sehr viele Menschen mit Flüchtlingshintergrund, und viele wissen gar nicht, dass vielleicht ihre Nachbarn, mit denen sie sich gut verstehen, oder deren Eltern auch früher Flüchtlinge waren.

Catuz: Menschen mit Flüchtlingshintergrund sind überall in der Gesellschaft zu finden. Die meisten wissen es aber nicht, weil das selten thematisiert wird. Wir kochen euer Essen, reparieren eure Autos, holen euren Müll ab, passen auf eure Kinder auf, untersuchen euch, wenn ihr krank seid, betreuen eure Bankkonten. Deswegen wollen wir auch Porträts machen von aktuellen und von ehemaligen Flüchtlingen, um aufzuzeigen, dass es keinen Grund gibt, sich vor uns zu fürchten.

STANDARD: Wie viele Personen machen bei Ihrem Projekt schon mit?

Catuz: Angefangen hat es mit Willi und mir, in der Zwischenzeit melden sich immer mehr Leute, die mitmachen wollen. So hat ein Grafiker das Logo entworfen, ein anderer hat die Homepage gestaltet. Bei dem Video zu "99 Probleme" haben größtenteils Flüchtlinge oder Flüchtlingskinder mitgemacht. Aber ich freue mich auch sehr über die große Unterstützung von Österreicherinnen und Österreichern ohne Fluchthintergrund. Die mediale Aufmerksamkeit hilft, damit wir uns weiter vernetzen. Schon am ersten Tag, als das Video online ging, meldeten sich zahlreiche Menschen mit Ideen oder auch nur damit, dass sie gerne etwas tun würden und ob wir eine Idee hätten, wie.

STANDARD: Wenn jemand mitmachen möchte, wie kann er oder sie das machen?

Catuz: Sie können uns einfach per Facebook anschreiben, und wir melden uns, so schnell wir können. Wenn es schon ein Video für uns gibt, kann man uns auch einfach einen Dropbox- oder Wetransfer-Link schicken. (Siniša Puktalović, 20.8.2015)