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Rapper Casper am Donnerstag auf der Green Stage des Frequency-Festivals.
St. Pölten – Die Hinweistafeln entlang der Landstraße muten prophetisch an: "Sportlerfest", "Westernparty in Zagging", "Riesenheidelbeeren selber pflücken", "Erlebnisspielplatz". Am Ende der Straße liegt St. Pölten. Und dort findet in etwa genau das gerade statt. Das FM4-Frequency-Festival feiert 15 Jahre Bestand, zum siebenten Mal bespielt man das VAZ-Gelände in der niederösterreichischen Landeshauptstadt. Kühl, aber weitgehend trocken.
"Way to Madness" steht in riesigen bunten Buchstaben über dem Eingang. Dahinter wartet ein Labyrinth aus Sperrgittern und etlichen Wassergräben – Takeshi's Castle für Einsteiger. Sicherheit werde diesmal großgeschrieben, heißt es, wie eigentlich eh immer. "Party hard – but clean", wird man an jedem Mistkübel erinnert. Auch das ist nicht neu. Das Müllproblem versuchen die Veranstalter in diesem Jahr mit einem drängenden Sozialproblem zu verknüpfen. Zelte können am Ende des Festivals für das Flüchtlingslager Traiskirchen gespendet werden.
Mit Dildo am Gürtel
Auf dem Festivalgelände scheppert es von allen Seiten, weil jeder Tattoo-Stand mittlerweile seine eigene Anlage braucht. Thementränken vom englischen Pub bis zum Pariser Bistro haben etwas von Disneyland. In einem Zirkuszelt gibt es auch wieder einen "Artpark". Dort treten den ganzen Tag über Straßenkünstler von Breakdancern bis zu Feuerspuckern auf. An einem besonders schmucken Stand verkaufen hornbebrillte Styler Waren der Marke "fick dich". Dazu passen Verkleidungen wie Engelsflügel, die zum Shirt mit der Aufschrift "random bitch" getragen werden. Und natürlich gibt es auch wieder einige Super-Mario-Darsteller im Blaumann und mit Dildo-Pistole am Gürtel. Dagegen wirken vollbesetzte 360-Grad-Pissoirs wie originelle soziale Plastiken.
Der US-Singer-Songwriter Chuck Ragan versuchte trotz Stimmproblemen gegen das nachmittägliche Desinteresse des Publikums anzukämpfen. Eine launige Mischung aus Folk und Southern Rock, bei der auch Zither und Violine zum Einsatz kommen. Als auf Ragans Frage, ob denn schon alle bereit für Bad Religion seien, kaum Reaktion aufbrandete, war klar, dass auch die nächste Band nicht besonders viele hinter den Öfen hervorlocken würde. Aber 35 Jahre Bandgeschichte können auch überfordern. Noch dazu, wenn Greg Graffin, Sänger der Punkrocktruppe, mittlerweile mit Landeshauptmannfrisur und Lesebrille agitiert.
Ruhestörung bei José González
Am frühen Abend lockte dann die Pärchenstunde vor beiden Hauptbühnen. Mit The Script in groß und José González in klein kamen Frischverliebte auf ihre Kosten. Die irische Kuschelrock-Band The Script, bestehend seit 2001, gab ihr erstes Österreich-Konzert. Zu Ohrwürmern wie "Breakeven" und "Superheroes" formte Sänger Daniel O'Donoghue kleine Fingerherzchen. Für 2016 lud er sich und seine Band gleich selber ein: "Der Veranstalter steht hier an der Seite, wollt ihr, dass wir nächstes Jahr wieder kommen?"
José González hielt seinen Vortrag bescheidener. Der sanfte Singer-Songwriter aus Schweden wurde bekannt durch seine melancholischen Akustiknummern "Crosses" und "Heartbeats", die in zahlreichen Filmen, Serien und Werbevideos Verwendung fanden. Im Februar erschien nach längerer Absenz sein drittes Album "Vestiges & Claws". Der Auftritt mit seiner vierköpfigen Band (immerhin mit den wohl gefühlvollsten Schlagwerkern des Festivals) hätte ein alternatives Highlight des Abends werden können. Wenn nicht die Party-Deejays vom Commercial-Stand einer Biermarke gnadenlos zur Ruhestörung geschritten wären.
Radical Chic mit Molotov
Die Hip-Hop-Formation K.I.Z baute bei ihrer Fascho-Satire auf einen Haufen Uniformierter mit Sturmgewehren, meterhohe Marmorstatuen ebensolcher und Illuminaten-Symbolik. "Ein K.I.Z-Konzert ist keine demokratische Veranstaltung", sagte der Rapdiktator, ehe alle "Tanz den Adolf Hitler" schrien. Die Mischung aus Möchtegern-Deichkind und Laibach geht aber nur bei der Ausstattung auf, stimmlich war bei den Jungs aus Berlin nicht viel los. Immerhin, am Ende versuchte man sich als Therapeut: "Ihr müsst die Probleme aus eurer Kindheit verarbeiten. Zeigt den reifen Menschen den Fickfinger!"
Der Finger war auch häufig bei Rap-Kollege Casper im Einsatz, zum Beispiel gegen Rassismus, Sexismus und Fremdenhass. Tausende waren vor den Chemical Brothers von der großen zu ihm auf die kleine Bühne geflüchtet. Der deutsch-amerikanische Rapper, der live mit Rockband auftritt, coverte nach einer halben Stunde Bilderbuchs "Maschin". Neben viel Schunkelmusik gab es auch ein bisschen linken Radical Chic mit Molotov-Cocktail. Das gipfelte in einer Zugabe im Verbund mit K.I.Z. Einigen konnte man sich auf "BGS GSG" der 70er-Jahre-Punkband The Buttocks. Polizisten, aufgepasst!
Die Elektroniker von den Chemical Brothers – bei denen derzeit mit Tom Rowlands nur ein originaler Bruder am Gerät steht – machten indes auf der großen Bühne Schluss. Dazu wurde erst einmal das gesamte Feld eingeräuchert, fette Laser und psychedelische Visuals inklusive. Im Unterschied zu dem davor vom Publikum abgefeierten EDM-Duo Major Lazer haben die reiferen Herren der Chemical Brothers noch Gefühl für Dramatik. Auch nach 20 Jahren Bestand fasziniert das Dunkle und Störende ihrer Deejay-Sets. Da wird auch noch so mancher Höhepunkt abgewürgt und nicht alle 30 Sekunden mit einem anderen beliebigen Hit aus den Charts auf den nächsten Drop hingearbeitet. Gegen Ende baumeln zwei riesige Roboter von der Decke, die mit ihren Laserstrahl-Augen das Gelände scannen. "World, the time has come to ...". Husch, husch, ins Zelt! (Stefan Weiss, 21.8.2015)