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In der Traditionellen Chinesischen Medizin ist Ginseng seit Jahrtausenden im Einsatz: Die Wurzel, aber auch Blätter und Stängel.

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Wien – Ginseng gehört zur Pflanzengattung mit dem Namen Panax – das kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Allheilmittel". Damit ist schon viel gesagt: Ginseng wurde und wird gegen alle möglichen Beschwerden eingesetzt. Inzwischen gibt es hunderte von Studien, die zeigen, wogegen das Heilkraut helfen soll. "Leider sind die meisten von schlechter Qualität", sagt Andreas Michalsen, Professor für Naturheilkunde an der Charité in Berlin. "Die meisten Daten gibt es dafür, dass Ginseng als ergänzende Therapie bei Diabetes wirkt, bei chronischer Erschöpfung oder bei leichten Depressionen."

In Korea, China und Japan werden Wurzeln, Stängel und Blätter von Ginseng seit 2000 Jahren als Heilpflanze eingesetzt; Shi-Zhen Li in Ben Cao Gang Mu beschrieb es während der Ming-Dynastie als angstlösend, antidepressiv und die Hirnleistung steigernd.

Es gibt verschiedene Ginseng-Arten, am meisten untersucht ist der asiatische Ginseng (Panax ginseng C.A. Meyer) und der amerikanische (Panax quinquefolius). Mehr als 60 Inhaltsstoffe, sogenannte Ginsenoside, sind enthalten. Sie scheinen verschiedene Enzyme zu beeinflussen, die eine Vielzahl von Signalwegen steuern, zum Beispiel im Gehirn, bei der Entstehung von Entzündungen, oder um den Zuckerstoffwechsel zu kontrollieren.

Effekt beim Zuckerstoffwechsel und Immunsystem

Diese Effekte sahen Forscher zunächst in der Petrischale oder bei Tierversuchen. Seit Anfang der 1980er-Jahre fanden sie in klinischen Studien aber immer mehr Hinweise, dass die im Labor und von den traditionellen Heilern beobachteten Effekte tatsächlich zusammenpassten.

Johannah Shergis und ihr Team von der Universität Melbourne analysierten 2013 die besten Studien mit amerikanischem Ginseng. Von 475 Studien erfüllten nur 65 mit insgesamt 3.843 Teilnehmern die Kriterien einer guten Studie. Das heißt, dass genügend Leute teilnahmen, Ginsengjeweils mit Placebo verglichen wurde und die Probanden nicht wussten, welches Präparat sie verabreicht bekamen.

Den deutlichsten Effekt sahen die Forscher beim Zuckerstoffwechsel und im Immunsystem: Ginseng könne helfen, die Zuckerwerte bei Diabetikern zu senken und das Immunsystem zu stärken, etwa bei chronischer Bronchitis, schließt Shergis.

Gegen chronische Müdigkeit und Erschöpfung

Für andere Krankheiten gibt es nicht genügend Belege: Etwa dass Ginseng gegen Potenzstörungen hilft, gegen Krebs oder bei Herz-Kreislauf-Krankheiten. Bei einigen psychiatrischen und neurologischen Krankheiten könnte Ginseng aber helfen: So linderte es bei Frauen mit depressiven Verstimmungen und bei Patienten mit Alzheimer die Beschwerden jeweils besser als Placebo.

Auch bei chronischer Müdigkeit und Erschöpfung durch Krebs, Fatigue genannt, scheint Ginseng zu wirken. So fühlten sich Patienten mit Fatigue nach einer achtwöchigen Ginseng-Therapie deutlich weniger schwach und erschöpft. "Als ich von der Studie erfuhr, fand ich das sehr spannend", erzählt Claudia Witt, Leiterin des Lehrstuhls für komplementäre und integrative Medizin an der Uniklinik in Zürich. Mehr als die Hälfte der Krebspatienten leidet an Fatigue und ist in ihrer Lebensqualität stark beeinträchtigt. Es gibt kaum Therapien.

"Wir sind froh über jede Behandlungsoption, die wir anbieten können", sagt Witt. Andreas Michalsen schlägt Ginseng auch Patienten mit Burnout vor – als Decoct, das ist ein Vielstoffgemisch zusammen mit anderen Phytotherapeutika, sagt er. "Gemäß der Lehre der Traditionellen Chinesischen Medizin gehen wir davon aus, dass sich positive Wirkungen der einzelnen Heilkräuter verstärken und wir Nebenwirkungen vermeiden, weil wir die einzelnen Stoffe geringer dosieren können."

Ergänzende Wirkung

Ginseng wird gut vertragen. In der australischen Analyse litten die Probanden in den Studien am ehesten unter Durchfall, Schlaflosigkeit, Herzklopfen, Kopfschmerzen und Übelkeit. "Aufpassen muss man aber, wenn man zusätzlich andere Medikamente nimmt, da kann es zu Wechselwirkungen kommen", sagt Michalsen. So könne Ginseng die Wirkung des Blutverdünners Marcumar abschwächen, sodass das Risiko für die Bildung eines Blutgerinnsels steigt. "Am besten spricht man mit dem Arzt, bevor man Ginseng nimmt", sagt Witt, "aber das gilt für viele Pflanzenpräparate."

Der komplementäre, also ergänzende Einsatz, sei wichtig, sagt Martin Keck, Chef-Psychiater am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. "Als zusätzliches Medikament entfaltet Ginseng sicherlich positive Effekte, möglicherweise auch vorbeugend. Aber es kann die durch ausreichende wissenschaftliche Belege gesicherte Standardtherapie nicht ersetzen – gerade bei so schwerwiegenden Krankheiten wie Alzheimer oder Depressionen." (Felicitas Witte, 22.8.2015)