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The Last Internationale legten vor überschaubarem Publikum einen erfrischend unangepassten Auftritt hin. Delila Paz überzeugte sowohl stimmlich als auch an der Bassgitarre.

Foto: APA/Herbert P. Oczeret

Sankt Pölten – Jedem "Anything goes" zum Trotz zeichnet sich am zweiten Tag des Festivals dann doch so etwas wie Uniformität unter den Partygästen ab. Wer hier keine Jeans-Hotpants zu entweder zu langem oder zu kurzem Shirt trägt und dann noch nicht einmal einen Turnbeutel auf den Rücken geschnallt hat, ist wirklich ein bisschen arg aus der Spur. Die Buben sind das sowieso meistens. Dabei hätte ja einer vorgemacht wie es geht.

William Fitzsimmons ist quasi der coole große Bruder der Hotpants-Fraktion. Den Bart trägt er lang und dunkel, den Kopf geschoren, dazu ein Holzfällerhemd und ein Popeye-Ankertattoo am Unterarm. Auf der Bühne spielt er vier verschiedene Gitarren und sagt dann Sachen wie "das nächste Lied wird traurig – genau wie all die anderen." Der Singer-Songwriter aus Springfield Illinois gab am Nachmittag ein beherztes Konzert. Begleitet mit E-Gitarre, Keyboards und E-Drums fühlt der Romantiker mit ganzer Mimik mit, wenn er etwa mit "Fade and the return" einen Song über seinen Großvater singt. Ein bisschen klingt er dabei auch wie der große Justin Vernon (Bon Iver).

Applaus für Dawa

Die österreichische Band Dawa schlug im Anschluss in eine ähnliche Kerbe. "Akustik-Cello-Folk-Soulpop" nennt die Band um Gitarrist und Sänger John Dawa ihr Genre. Beim Protestsongcontest 2014 belegten sie den zweiten Platz, der Vorentscheid zum vergangenen Eurovision Songcontest ging nur wegen den Makemakes verloren – was vielleicht ohnehin gut war. Am Frequency durften Dawa nun auf der großen Bühne ran und präsentierten sich sympathisch mit Coversongs ("Bitter Sweet Symphony") und melancholischen Eigenkompositionen. Über verhältnismäßig großen Applaus freute man sich sichtlich.

Etwas lauter gingen es Irie Révoltés auf der Green Stage an. Die vielköpfige Band aus Heidelberg vermischt Ska-Punk, Hip-Hop, Reggae und Dancehall zu einem hinreißenden Klangkörper, den man so auch von etlichen anderen deutschen Bands kennt. Gesungen wird hier aber auf Französisch, Englisch und Deutsch. Obendrein ist man hochpolitisch, tritt bei Demos auf und engagiert sich für Sozialprojekte. Am Frequency wiesen Irie Révoltés auf die Flüchtlingskrise hin und schwangen Antifa-Fahnen. "In den Neunzigerjahren brannten schon einmal Asylheime. Und jetzt brennen sie wieder. Das dürfen wir nicht zulassen."

Occupy VAZ-Halle!

Politisch ging es auch weiter, bloß auf der von der breiten Festivalöffentlichkeit relativ geringschätzig wahrgenommenen Weekender Stage in der VAZ-Halle. Dabei spielten The Last Internationale auf diesem Festival wohl einen der denkwürdigsten Gigs der letzten Jahre, der alle zeitgleich aufgeigenden Wombats und Frittenbuden in den Schatten stellte. Die 2013 in New York gegründete Rockband besteht aus der energiegeladenen Frontfrau Delila Paz, dem Gitarristen Edgey Pires und Drummer Brad Wilk, der auch bei Rage Against the Machine am Werk ist.

Die Instrumente waren geborgt, weil die eigenen der Airline abhanden gekommen waren. Von ihrer Mission, wieder mehr Politik und Widerständigkeit in die Musik zu bringen, hielt sie das auch am Frequency nicht ab. Delila Pilas, im Body mit Schachbrettmuster, die Mähne wild vorne überhängend, machte von Anfang an klar, dass ihr auch hundert Leute einen Gänsehaut-Gig wert sind. Nach einer Stunde schritt das Trio zum Ballhausschwur. Das Mikrofon wurde ins Publikum gereicht, Gitarrist Edgey Pires tauschte linke Parolen mit den Verbündeten aus, dazu tanzte eine Gruppe nackter Festivalbesucher auf der Bühne. "America’s one-percent-problem" nannte Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz seinen Artikel von 2011 über die soziale Ungleichheit in den USA, der zum Anstoß für Occupy Wallstreet wurde. The Last Internationale sind ohne Zweifel die musikalischen Erben der "We are the 99 Percent"-Bewegung.

Hitfeuerwerk und Störquellen

Kwabs unterstrich auf der Green Stage warum er schon heute als kommender Star gehandelt wird, obwohl sein Debütalbum erst im September erscheint. Der 25-jährige Bariton, der bürgerlich Kwabena Adjepong heißt, bringt den Soul zurück auf die ganz große Bühne. Der Londoner studierte Jazzgesang an der Royal Academy of Music, ehe er in der BBC-Talentshow des Drum’n’Bass-Künstlers Goldie entdeckt und gefördert wurde. Kwabs’ Pop-Single "Walk" hat 75 Millionen Youtube-Views. Dabei reicht die musikalische Bandbreite des Sängers weit über diesen Hit hinaus. Man wird sie noch kennenlernen.

Brechend voll war es vor der kleinen Bühne beim Punkrock-Headliner The Offspring. Die durften bei den meisten Liedern ihre Stimmen schonen, das Publikum übernahm im kollektiven Hittaumel. "Guten Morgän Ästaraich" klappte bei The Offspring nach 30 Jahren Bestand und doch einigen Auftritten hierzulande längst akzentfrei. Von Zugaben sah man dafür ab und hörte aus Rücksicht auf ihre derweil alleingelassene Big Beat-Entsprechung eine halbe Stunde früher auf.

The Prodigy richteten sieben böse Satschüsseln gen Publikum, positionierten sich als Störquellen dazwischen und hielten in gewohnter Manier voll drauf. Die Videowalls zeigten Bilder wie aus einem kaputten Röhrenfernseher. Später trat im Nightpark noch der anonyme deutsche Masken-Elektroniker Claptone auf. Im Oktober erscheint nach mehreren gelungenen Remixes sein Debütalbum "Charmer". Mit der Vorab-Single "Puppet Theatre" kann man sich schon einmal auf ein düsteres Album einstimmen. (Stefan Weiss, 22.8.2015)