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Liebe beginnt mit Selbstliebe, lautet das Mantra, mit dem US-Rapper Kendrick Lamar gegen Rassismus und Bandenkriminalität ins Feld zieht.

Foto: APA/Herbert P. Oczeret

St. Pölten – Nach drei Tagen mit rund 120 Auftritten endete am Samstag das FM4-Frequency-Festival in Niederösterreich. Die Party, bei der sich jährlich über 100.000 weitgehend junge Menschen der Lust und dem Leid hingeben und zwischen acht Bühnen irrlichternd noch ein bisschen Zerstreuung suchen, bevor in zwei Wochen wieder die Schule anfängt, hatte diesmal ausgesprochen viel Hip-Hop im Programm.

Der Deutschrapper Alligatoah besorgte am Samstag, wofür seine Kollegen Casper, K.I.Z oder Frittenbude bereits Vorarbeit geleistet hatten: Gute-Laune-Hip-Hop mit komödiantischer Schlagseite, ein bisschen Kuschelromantik und reichlich Stinkefinger gegen die Welt der "sogenannten Erwachsenen" (K.I.Z).

Dem 25-jährigen Lausbub, der nach dem Abi aus der niedersächsischen Provinz nach Berlin zog und dort als Rapper und Produzent durchstartete, waren vier Begleitmusiker mit Engelsflügeln (einer mit Sprengstoffgürtel) einem überhöhten Streitwagen vorgespannt. Auf diesem stehend spulte der Centurio Alligatoah seine Musikcomedy für die Generation Youtube herunter, bei der ein Rap-Battle schon einmal tatsächlich mit Mantel und Degen ausgefochten wird. Irgendwann hieß es dann: "Mund auf! Kopf in den Nacken! Es geht den Bach runter!" Die Hymne "Willst du" (mit mir Drogen nehmen) katapultierte Alligatoah 2013 mitten in die Herzen seiner jungen Fans und auch darüber hinaus.

Der Deejay am Küchentisch

Das ältere Publikum, das schon in die Discos mit der bösen Türpolitik darf, blieb dann auch für den nächsten Gast. "Hallo, ich bin der Fritz und fang jetzt an", sagte der andere Kalkbrenner, der ruhigere, der auch singt und Bruder Paul hin und wieder ein paar Zeilen Refrain leiht. Gesungen wurde live am Küchentisch, der Rest kam aus der Konserve. Ein Headset diente als Beweis, dass hier auch wirklich ein Meisterkoch am Rühren ist, der dazu noch beide Hände braucht. 2014 erschien Kalkbrenners viertes Album "Ways over Water", das sich sowohl musikalisch als auch verkaufsmäßig wenig überraschend bei den Vorgängern einreihte.

Mit TV on the Radio durfte am Samstag noch einmal eine Band ran, die das Frequency-Soundsystem mehrmals über die Belastungsgrenzen brachte. Das Konzert der experimentierfreudigen New Yorker Indie-Band, die neben Rock auch Soul, Jazz, Hip-Hop, traditionelle afrikanische Musik, Psychedelic und Electro in ihre Kompositionen packt, hatte den Anschein einer Jamsession.

Zu sechst nahm man in einem Wirrwarr aus Verstärkern und Instrumenten Aufstellung und schien mehr für sich selbst zu geigen als für das Publikum. Das war für ein wie am Truppenübungsplatz durchorganisiertes Festival erfreulich unkonventionell. An frühere Erfolge konnte die Band mit ihrem letzten Album "Seeds" (2014) nicht mehr anschließen. Mit dem Krebstod des Bassisten Gerard Smith hatte die Combo 2011 einen Schicksalsschlag zu verkraften.

Das Wunderkind des US-Hip-Hop

Lieder vom Schicksal sang schließlich auch das US-amerikanische Rap-Genie Kendrick Lamar, dessen Österreich-Premiere mit Spannung erwartet wurde. "To pimp a butterfly" heißt das im März erschienene dritte Album des 28-Jährigen, mit dem er erstmals auch in Europa bis an die Spitze der Charts stürmte.

Dabei geht es dem Propheten aus dem Rap-Mekka Compton in Los Angeles nicht um das verfestigte Bild des Gangsterrappers mit den Goldketten. Das mit Hip-Hop-Übervater Dr. Dre produzierte Konzeptalbum ist die musikalische Antwort auf rassistische Gewalt, wie sie in vielen US-Städten nach wie vor auf der Tagesordnung steht. "We hate po-po / Wanna kill us dead in the street fo sho" ("Wir hassen die Polizei / Sie wollen uns auf der Straße töten, ganz sicher") lautet eine Zeile aus dem Lied "Alright", mit dem er der Wut, wie sie sich nach dem Tod von Michael Brown in der Stadt Ferguson entlud, Ausdruck verleiht.

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Mit der nachdenklichen Hymne beschloss Lamar auch sein Frequency-Konzert. Die 60 Minuten davor bestritt er mehrheitlich mit Songs aus früheren Alben – zu feingeistig, zu lyrisch ist sein neues Werk: nicht für die große Partybühne gemacht, sondern fürs Studierzimmer und als politische Handlungsanleitung einer neuen Bürgerbewegung. "Lass dich nicht vom Dollar schwächen", sagt er, der Malcolm X, Martin Luther King und Rap-Legende Tupac als Bezugsgrößen nennt.

Rassismus begreift Kendrick Lamar auch als inhärentes Problem der sogenannten Black Community: Hört auf, die Vorurteile der Weißen über uns zu bestätigen, so seine Message. Liebe beginnt mit Selbstliebe, das ist das Mantra, mit dem Lamar auch gegen Banden- und Drogenkriminalität ins Feld zieht. (Stefan Weiss, 23.8.2015)

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