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Angriff oder Zurückhaltung: die ehemaligen Verteidigungsminister Ehud Barak (stehend) und Außenminister Avigdor Lieberman (sitzend) sowie deren Chef Benjamin Netanjahu (rechts) im Jahr 2012.
Seit vielen Jahren fragt man sich, ob Israel bloß mit dem Säbel rasselt oder wirklich den Versuch riskieren würde, das iranische Nuklearprogramm durch einen Militärschlag zu stoppen. Eine Teilantwort auf die immer noch aktuelle Frage scheint nun der ehemalige Verteidigungsminister Ehud Barak geliefert zu haben, der im Plauderton Details aus streng geheimen Sicherheitsberatungen preisgab.
Demnach sei Israel zwischen 2010 und 2012 zumindest dreimal ganz nahe daran gewesen, den Iran anzugreifen. Zu hören ist das auf Tonaufnahmen Baraks für eine Biografie, die unter dem Titel "Barak: Die Kriege meines Lebens" demnächst in hebräischer Sprache erscheinen soll. Auszüge hat nun der israelische TV-Privatsender Kanal 2 am Freitag ausgestrahlt – und seither diskutiert man in Israel darüber, wieso Barak sich zu diesen Enthüllungen hat hinreißen lassen.
Trio zu Angriff bereit
2010 soll das Führungstrio der israelischen Regierung – damals also Premier Benjamin Netanjahu, Verteidigungsminister Barak und Außenminister Avigdor Lieberman – bereits zu einem Angriff entschlossen gewesen sein. Doch laut Barak konnte der damalige Armeechef Gabi Aschkenasi in einem erlesenen kleinen Forum – zu dem auch die Leiter der Geheimdienste Mossad (Ausland) und Schabak (Inland) geladen waren – nicht vorbehaltlos bestätigen, dass militärisch alles bereit wäre. "Man kann nicht mit dem Plan ins Kabinett gehen, wenn der Generalstabschef sagt: ‚Entschuldigung, ich habe Nein gesagt‘", so Barak.
Im zweiten Fall sei 2011 schon das "Achterforum" der wichtigsten Minister versammelt worden, um über einen Angriff abzustimmen. Doch zwei Minister von Netanjahus Likud-Partei sollen im letzten Moment umgeschwenkt sein, sodass es keine Mehrheit für einen Angriff gegeben habe. Dabei habe es sich um Moshe Jaalon, den jetzigen Verteidigungsminister, und Juval Steinitz, den jetzigen Infrastrukturminister, gehandelt – sie beide gelten als Verfechter einer harten Linie gegen den Iran.
Kalte Füße
Als der Armeechef seinen Vortrag über die komplexe militärische Operation gehalten habe, hätten Jaalon und Steinitz kalte Füße bekommen: "Du konntest sehen, wie sie vor deinen Augen einknicken – du siehst das an den Reaktionen, an den Zwischenfragen, an den Gesichtern", erzählt Barak.
Anfang 2012 habe es neuerlich die konkrete Absicht gegeben, den Angriffsplan auszuführen – doch genau für diesen Zeitpunkt war in Israel ein gemeinsames Militärmanöver mit den USA angesetzt, und man habe die Amerikaner nicht in Verlegenheit bringen wollen. Der Ex-Verteidigungsminister: "Du verlangst von Amerika, deine Souveränität zu respektieren. Und umgekehrt kannst du Amerika nicht zwingen, an etwas teilzunehmen, nur weil es hier bei einer Übung ist."
Barak akkordierte mit seinem damaligen US-Amtskollegen Leon Panetta eine Verschiebung des Manövers, aber danach ergab sich nie mehr ein Zeitfenster für einen Angriff.
Jaalon teilte mit, er werde keine Stellung nehmen "zu Gesprächen des Achterforums oder des Kabinetts im Allgemeinen und zu verzerrten oder tendenziösen Versionen im Besonderen".
Ungewöhnliche Enthüllung
In Israel wundert man nun sich darüber, dass die Militärzensur die Veröffentlichung von Informationen über nur kurz zurückliegende Kabinettsdebatten tatsächlich zugelassen hat. Die Verwendung von brisantem Material für Biografien oder zeitgeschichtliche Bücher wird gewöhnlich erst nach Jahrzehnten genehmigt.
"Ich verstehe nicht, welche Begründungen eine solch beispiellose Offenlegung von geheimsten Erörterungen in der heikelsten Sicherheitsfrage rechtfertigen können", sagte etwa Zachi Hanegbi, Vorsitzender des Sicherheitsausschusses im israelischen Parlament. "Wenn Sie alle Veröffentlichungen seit 2009 durchschauen, werden Sie keine einzige Gelegenheit finden, bei der Netanjahu öffentlich eine militärische Aktion im Iran angesprochen hat – es gibt Dinge, über die man nicht auf direkte Weise spricht." (Ben Segenreich aus Tel Aviv, 23.8.2015)