Es war ihnen dann doch zu peinlich, mit leeren Händen nach Wien zu kommen. Am Dienstag, kurz vor Beginn des großen Westbalkangipfels, brachten die Delegationen von Serbien und dem Kosovo in Brüssel noch schnell die längst ausstehende Einigung für den Nordkosovo unter Dach und Fach. Konkret geht es um die Bildung einer Assoziation der serbischen Gemeinden, um Energie, Telekommunikation und die Brücke über den Ibar in der geteilten Stadt Mitrovica.

Auch einige andere südosteuropäischen Staaten hatten im Vorfeld der Konferenz in Wien noch politische Lösungen gefunden. So haben sich die mazedonischen Parteichefs auf ein Prozedere für die Neuwahlen kommenden April unter der Mediation von EU-Kommissar Johannes Hahn geeinigt, die Föderation in Bosnien-Herzegowina hat das von der EU geforderte Arbeitsgesetz unterschrieben, und Bosnien-Herzegowina und Montenegro haben sich auf ein Grenzabkommen geeinigt.

Grenzabkommen in der Hofburg

Das wird am Mittwoch unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Heinz Fischer in der Hofburg unterschrieben. Anfangs hatten die Bosnier noch Bedenken, ob das nicht allzu viele kakanische Züge haben könnte, doch schließlich fand man es doch einleuchtend, in der Wiener Hofburg ein wenig feiern zu können. Das Grenzabkommen folgt auf einen Streit um ein Gebiet in Montenegro, das unter der Besatzung von Österreich-Ungarn noch zu Bosnien-Herzegowina gehörte. Es ging um 74 Quadratkilometer vor der Bucht von Kotor. Doch die bosnischen Ansprüche hatten von Anfang an keine Chance. Noch ein weiteres Grenzabkommen, jenes zwischen dem Kosovo und Montenegro, könnte in Wien unterzeichnet werden.

Zentral ist aber eine Deklaration aller südosteuropäischen Staaten, die noch keine EU-Mitglieder sind. Sie besagt, dass sie einander bei der EU-Annäherung nicht blockieren werden. Angesichts der Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo, der von Serbien nicht als Staat anerkannt wird, ist diese Deklaration weitreichend. Aber auch die anderen Balkanstaaten haben offene bilaterale Streitigkeiten. Zudem wurden die benachbarten EU-Staaten eingeladen, die Deklaration zu unterzeichnen.

Offene bilaterale Konflikte

Besonders wichtig wäre das im Fall von Griechenland, das die EU- und Nato-Integration Mazedoniens seit zehn Jahren per Veto verhindert und auch beginnt, Albanien Schwierigkeiten zu machen. Wichtig wäre es auch im Fall von Kroatien, das einen nationalistischen Kurs gegenüber Serbien und Bosnien-Herzegowina eingeschlagen hat. Doch die beiden EU-Staaten zeigen bisher keine Ambitionen mitzumachen.

Am Mittwoch wird im Außenministerium mit Unterstützung des European Fund for the Balkans über die offenen bilateralen Konflikte diskutiert. Das Konzept stammt von dem Südosteuropa-Experten Florian Bieber von der Universität Graz. Am Mittwochabend findet in der Ankerbrotfabrik eine Diskussionsveranstaltung mit den Premierministern von Serbien und Albanien, Aleksandar Vučić und Edi Rama, sowie den Außenministern von Bosnien-Herzegowina und Montenegro und Vertretern der Zivilgesellschaft aus Südosteuropa statt.

Berlin-Prozess

Es geht um drei große Themenblöcke: wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen, Meinungsfreiheit und regionale Zusammenarbeit. Das Außenministerium ist an die Erste Stiftung herangetreten, die Veranstaltung zu organisieren. "Es geht darum, dass die Politiker und die Zivilgesellschaft auf Augenhöhe diskutieren", sagt Maribel Königer von der Erste Stiftung.

Das Thema wirtschaftliche Entwicklung wurde vergangenes Jahr auf Initiative der deutschen Kanzlerin Angela Merkel angestoßen. Sie ist es auch, die den Berlin-Prozess begonnen hat, bei dem sich die Premiers, die Wirtschafts- und Außenminister nun jährlich treffen, um gemeinsame Projekte zu besprechen. Merkel wird am Donnerstag auch in Wien sein, ebenso die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und EU-Kommissar Hahn.

Nächstes Treffen in Paris

Das nächste Treffen innerhalb des Berlin-Prozesses findet kommendes Jahr in Paris statt, 2017 ist Italien dran. Weil es in absehbarer Zeit keine EU-Erweiterung geben wird, wollen zentrale EU-Staaten so signalisieren, dass die südosteuropäischen Staaten sich trotzdem an der EU orientieren sollen. Man will sie quasi an der Stange halten und gleichzeitig den Einfluss Russlands im Zaum halten. Deutschland ist seit vielen Jahren das engagierteste Land auf dem Balkan. Aber auch Österreich ist nicht nur wirtschaftlich interessiert. Sebastian Kurz ist der erste Außenminister seit langem, der den Balkan wirklich zu einem Schwerpunktgebiet gemacht hat und sich tatsächlich interessiert.

Konkret soll es bei der Diskussion auch um die Bildungssysteme auf dem Balkan gehen. Es gibt sehr viele Hochschulabsolventen, aber wenige Berufsschüler. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche private Universitäten gegründet worden, mit zweifelhaftem Ruf. Es ist relativ einfach, in Südosteuropa einen Abschluss mit Geld zu bekommen. Die Vertreter der Zivilgesellschaft sollen auch die mangelnde Medienfreiheit (auch in Serbien kontrolliert die Regierung zahlreiche Medien) ansprechen. Am Donnerstag sollen dann die Empfehlungen der Zivilgesellschaft den Politikern auf dem Gipfeltreffen präsentiert werden.

Konkrete Ideen zu Asylthema

Sorge hat man, dass der Gipfel zu sehr von dem Asylthema und den Migranten aus den Balkanstaaten dominiert werden könnte. Deshalb ist Kurz auch nach Mazedonien geflogen, um das Thema "abzufangen". Im Vorfeld des Gipfels wird auch in der EU-Kommission darum gerungen, dass Mogherini und Hahn mit ein paar konkreten Ideen zu den Asylsuchenden in der EU nach Wien kommen.

Die "wichtigste" Veranstaltung findet im Anschluss an die Diskussionsveranstaltung in der Ankerbrotfabrik statt. Im Austria-Stadion wird ein Politikerteam aus Südosteuropa gegen Österreicher und Slowenen spielen. Das Ganze steht unter dem Motto "FC Future EU against FC EU". Wer von den Balkan-Premiers im Tor stehen wird, ist noch nicht ausgemacht. Die beiden "großen" Führer, der Serbe Vučić und der Albaner Rama, kommen infrage. Kurz und der slowenische Regierungschef Miro Cerar sind auch dabei. Letzterer wird als sehr fussballbegabt eingeschätzt. Auf der "Europaseite" spielen auch der politische Direktor im Außenministerium, Jan Kickert, und der Chef der Balkanabteilung, Johann Sattler, der sich den "Kick" ausgedacht hat. (Adelheid Wölfl, 25.8.2015)