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Albaniens Premier Edi Rama: Im Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo hat es "viele Fortschritte gegeben".

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Ein albanisches Kind schläft in Berlin vor einer Behörde. Viele Albaner hoffen in Deutschland auf eine bessere Zukunft.

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Wien steht am Donnerstag im Zeichen des Westbalkans. Auf einer Konferenz, bei der sich führende Politiker der EU und des Westbalkans an einen Tisch setzen, soll vor allem die EU-Annäherung der Balkanstaaten besprochen werden. Hauptthema wird aber wohl die Flüchtlingsfrage sein. Symbolträchtig wurden vor und auf der Konferenz zahlreiche Verträge zur Zusammenarbeit besiegelt.

Um die wirtschaftliche Lage auf dem Westbalkan zu verbessern, plant die EU massive Investitionen. Für 2014 bis 2020 hat sie für die Region und die Türkei 11,7 Milliarden Euro bereitgestellt. Vor der Konferenz sprach DER STANDARD mit dem albanischen Premierminister Edi Rama über Albaner, die ihr Glück in Westeuropa suchen, zwischenstaatliche Initiativen und den Neustart der belasteten Beziehungen zu den Nachbarn. Die Unterstützung der EU sei dabei essenziell.

STANDARD: Im Herbst vergangenen Jahres, als serbische Fußballfans das Spielfeld des Belgrader Stadions stürmten, weil Unbekannte eine großalbanische Flagge über das Stadion fliegen ließen, war die Stimmung zwischen Albanien und Serbien schlecht. In der Zwischenzeit haben Sie sich mit Premier Aleksandar Vučić getroffen. Was erwarten Sie von den Gesprächen mit ihm in Wien?

Rama: Die Magie des Fußball geht über das Fußballfeld hinaus, weil sogar Leute wie Sie, die sich nicht um Fußball kümmern, aber sehr aufmerksam sind, wenn es um den Balkan geht, sich an das Spiel erinnern, nicht aber daran, dass ich ein paar Wochen später in Belgrad war und mich mit Vučić getroffen habe.

STANDARD: Natürlich weiß ich das.

Rama: Ich meine nur, dass die Leute sich eher an schlechte Dinge erinnern. Aber in diesem Fall hat sich das Schlechte zu etwas Gutem entwickelt. Wir haben diesen Moment in eine großartige Möglichkeit verwandelt. Statt in ein Kapitel der Vergangenheit zurückzukehren, haben wir einen freundlichen Schritt gemacht und uns getroffen. Und dann ist er nach Albanien gekommen. Der Besuch eines albanischen Premiers in Belgrad war der erste seit 68 Jahren. Und es war der erste Besuch eines serbischen Premiers in Albanien überhaupt. Wir haben gar kein Problem miteinander und verstehen uns sehr gut. Er war sehr empfänglich für die Bedürfnisse der Albaner, die im Preševo-Tal in Serbien leben. Und ich hoffe, dass er sein Bestes tun wird, wenn es darum geht, diese sehr marginalisierte Gegend in eine normale zu verwandeln, wo Albaner sich zu Hause fühlen und nicht wie unter Besatzung.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass die Albaner im Preševo-Tal sich unter Besatzung fühlen?

Rama: Nichts ändert sich innerhalb eines Tages. Die Wunden von hundert Jahren können nicht in einem Jahr geheilt werden. Es hat viele Fortschritte gegeben, auch im Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo. Wir sind auf dem richtigen Weg.

STANDARD: Es fehlt noch ein Stück der Autobahn, die Belgrad mit der albanischen Hafenstadt Durrës verbinden soll. Diese Autobahn ist eines der regionalen Kooperationsprojekte, die im Rahmen des Berlin-Prozesses gefördert werden. Wann wird sie fertig sein?

Rama: Das ist eine Frage, die Sie dem von mir sehr geschätzten Kommissar Hahn stellen können. Es geht darum, ob Europa denselben Willen zeigt, den wir gezeigt haben. Es war historisch, was wir gemacht haben, aber die Zukunft der Menschen wird nicht besser, wenn sie diese historischen Fotos anschauen. Jetzt ist es Zeit, den Menschen zu zeigen, dass wirklich ein neues Kapitel aufschlagen. Und dafür brauchen wir Europa und dass die EU das nicht als "business as usual" ansieht und nicht vergisst, dass hier Blut vergossen wurde.

STANDARD: Am Ende geht es Ihnen um Geld der EU?

Rama: Am Ende geht es darum, strategisch zu sein. Europa hat seinen Weg verloren, was bedeuten würde, strategisch zu sein. Wenn Europa mit dem Balkan strategisch umgehen würde, würde auch das Geld kommen. Wenn Europa aber nur taktisch agiert, können wieder schlimme Dinge passieren.

STANDARD: Viele Albaner gehen aus wirtschaftlichen Gründen weg und suchen etwa in Deutschland um Asyl an. Welche Wirtschaftsreformen können Sie durchführen, damit sich die Situation verbessert?

Rama: Viele Albaner, die nach Deutschland gehen, kommen aus Griechenland. Die haben dort jahrelang als Emigranten gelebt und versuchen es jetzt in Deutschland. Natürlich kommen auch welche aus Albanien, Serbien oder dem Kosovo. Die Leute brauchen mehr. Deshalb brauchen wir Hilfe. Wir sind keine Zauberer, und wir können nicht diese Wirklichkeit ändern und es schaffen, dass die Leute sich wohlfühlen, wenn sie im Fernsehen sehen, wie die Europäer in der EU leben, und wenn wir mit unseren kleinen Budgets arbeiten. Wir können kein Wunder vollbringen, wenn uns nicht konsistent von Europa geholfen wird. Europa hilft uns besser hier, als wenn die Menschen dorthin gehen.

STANDARD: Aber welche Wirtschaftsreformen können Sie durchführen?

Rama: Wir machen alle wirtschaftlichen Reformen, die notwendig sind. Aber wir leben in einer anderen Zeit. Die Geschwindigkeit ist ganz anders. Und die jungen Menschen haben keine Zeit zu warten, bis die Reformen Ergebnisse zeigen. Deshalb brauchen wir mehr Hilfe und viel mehr Unterstützung der EU.

STANDARD: Wenn es um junge Menschen geht, so gibt es Privatunis auf dem Balkan mit niedrigen Standards, aber gleichzeitig zu wenige Berufsschulen. Braucht es Bildungsreformen?

Rama: Die haben wir gemacht, wir haben alle Privatunis mit niedrigen Standards geschlossen. Wir haben die britische Nationalagentur für Akkreditierungen von Universitäten eingebracht. Und jetzt haben wir das deutsche Ausbildungs-Dualsystem. Aber natürlich braucht das Zeit. Wenn alle deutschen Bundesländer die Berufsschulen in Albanien oder der Region übernehmen würden oder noch einige dazugeben würden, lägen die Dinge anders. Und die Kosten wären viel geringer als das, was sie zahlen, wenn sie die Prävention dieser Auswanderungswelle nur als etwas sehen, das mit Deutschland zu tun hat.

STANDARD: Sind Sie dafür, dass Deutschland Albanien als sicheres Herkunftsland definiert?

Rama: Das unterstütze ich voll.

STANDARD: Welches Ziel hat die Initiative für die Westbalkanstaaten, innerhalb der Jugendliche aus der Region künftig einen Austausch pflegen sollen?

Rama: Ich bin überzeugt, dass Albanien und Serbien oder, besser, Albaner und Serben für die Region das tun können, was Deutsche und Franzosen für Europa getan haben. Wir können diese Nachbarschaft zwischen uns zu einer strategischen Allianz für eine bessere Zukunft für die Menschen und die Region machen. Und wir können zuversichtlich sein, denn wenn Deutschland und Frankreich es für Europa getan haben, dann ist es möglich. Warum sollten wir es nicht tun können?

STANDARD: Was ist also der Plan?

Rama: Wir wollen das großartige Mittel des Jugendaustauschs, wie es ihn zwischen Frankreich und Deutschland gibt, als Haltung für andere Annäherungen und Zusammenarbeit verwenden, um echte Freundschaften herzustellen.

STANDARD: Was soll konkret passieren?

Rama: Es kann ein Austausch zwischen Schulen, Universitäten, zwischen jungen Menschen, die in der Verwaltung arbeiten, sein. Wir haben über ein Praktikumsprojekt gesprochen – junge Albaner könnten Praktika in Serbien absolvieren und umgekehrt. (Adelheid Wölfl, 27.8.2015)