Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

STANDARD: Mit Numismatik bringt man hauptsächlich alte Münzen in Verbindung. Inwiefern ist der Euro für Sie interessant?

Wolters: Die Euro-Einführung war in mehrerer Hinsicht sehr spannend. Wir konnten einerseits beobachten, mit welchen Motiven sich die einzelnen Staaten repräsentieren. Das sagt viel über die politische und kulturelle Identität der Länder aus. Wir konnten aber auch – wie auf einer leeren Landkarte – beobachten, wie und in welcher Geschwindigkeit sich die neuen Münzen über den Kontinent bewegten. Österreichische Münzen etwa waren viel schneller in Italien und Deutschland anzutreffen als in Portugal.

STANDARD: Warum haben Euro-Noten keine individuelle Seite?

Wolters: Keine unübersichtliche Vielfalt entstehen zu lassen dürfte eine Rolle gespielt haben. Mit etwas Glück können Sie ja auch heute noch mit einem 30-Euro-Schein mit einer Mickymaus darauf – oder anderem Fantasiegeld – zahlen.

STANDARD: Sind Münzen nicht fälschungsanfällig?

Wolters: Aufwand und Ertrag stehen für die Fälscher in einem ganz anderen Verhältnis. Auch ist, am Wert gemessen, der Anteil der Münzen an der insgesamt umlaufenden Bargeldmenge eher klein.

STANDARD: Und alte Münzen?

Wolters: Da sind Fälschungen ein echtes Problem. Vormoderne Münzen sind mehr oder weniger handwerkliche Produkte, was den Fälschern entgegenkommt.

STANDARD: Ist der Markt so groß, dass sich Fälschen lohnt?

Wolters: Auf jeden Fall. Das aktuell noch größere Problem ist aber, dass teils sogar Museumsmünzen aus Kriegsgebieten und aus den zerfallenden Staaten außer Landes gebracht und über dunkle Kanäle in den Handel gebracht werden: Hier brauchen wir eigentlich für jede im Handel befindliche Münze einen Herkunftsnachweis. Aufgrund der Masse ist das kaum zu erbringen.

STANDARD: Welche Münzen sind sehr selten?

Wolters: Münzen, die schon in der Vergangenheit nur in geringem Umfang ausgeprägt wurden, und solche, deren "Überlebenschancen" gering sind: Goldmünzen etwa wurden immer wieder eingeschmolzen und neu verarbeitet. Begehrt sind auch Fehlprägungen, die Rückschlüsse über technische Abläufe bei der Herstellung geben können.

STANDARD: Wird es Münzen immer geben? Der Trend geht doch eher in Richtung elektronischen Zahlungsverkehrs?

Wolters: Dafür, dass es Münzen immer geben wird, würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Vielleicht bleiben sie uns als kulturelles Faktum erhalten, ohne echte Verwendung im Zahlungsverkehr. Banken und Staaten bevorzugen den elektronischen Zahlungsverkehr, und auch wir setzen immer stärker auch für oft sehr kleine Summen Plastikgeld und elektronische Zahlungsmittel ein. Da geht auch Anonymität verloren.

STANDARD: Warum sind Münzen wissenschaftlich bedeutsam?

Wolters: Sie öffnen den Zugang zur Geschichte, zurückgehend bis zur Erfindung der Münzen vor mehr als 2.600 Jahren. Immer wieder sind Ereignisse und Vorgänge nur durch Münzen erschließbar. Hinzu kommt die hohe Anschaulichkeit der Münzen: Für die Lehre sind sie ideal.

STANDARD: Was kann man über Zeiten sagen, aus denen nur Münzen überliefert sind?

Wolters: Die Numismatik beschäftigt sich als historisches Fach mit Münzen aus allen Epochen und Kulturen. Wir können die Kaufkraft von Währungen bestimmen, Handelsströme rekonstruieren und auch Geldpolitik teilweise nachzeichnen. Ab rund 200 nach Christus wurde zum Beispiel die Geldmenge im Römischen Reich stark erweitert: Dazu wurden die Silbermünzen neu geprägt und mit Kupfer gestreckt. Da hat der Staat das Vertrauen der Bürger in die eigene Währung missbraucht. So etwas geht nicht lange gut.

STANDARD: Warum gibt es überhaupt Münzen?

Wolters: Zur Vereinfachung des Zahlungsverkehrs. Eine Münze war anfangs genau das Metall wert, aus dem sie geprägt wurde. Die Prägung durch den Staat garantierte Qualität und Gewicht. Dies hat den Handel erleichtert. Das Metall musste nicht mehr gewogen werden, sondern in Münzform konnte man es zählen und so auch Preise ausdrücken.

STANDARD: Gab es überhaupt andere Zahlungsmittel als Münzen, Noten oder elektronisches Geld?

Wolters: Natürlich. In Ägypten gab es das Getreidegiro, in Neuguinea Federgeld, in Westafrika konnte man mit Kaurischnecken zahlen. Die Nutzer mussten das Zahlungsmittel nur akzeptieren.

STANDARD: Aber warum hatten die meisten Staaten doch immer Metallgeld?

Wolters: Weil vor allem Edelmetalle einen Sachwert haben, der erstaunlich gut über kulturelle Grenzen hinweg funktioniert. Gold und Silber sind knapp, gut zu verarbeiten, "schön" und haltbar – Edelmetall halt.

STANDARD: War die Welt früh globalisiert? Oder weshalb war der überkulturelle Sachwert des Geldes wichtig?

Wolters: Züge von Globalisierung lassen sich schon früh ausmachen. In Indien, weit entfernt von der Grenze des Römischen Reiches, wurden massenhaft römische Münzen gefunden. Am Markt für Luxusgüter spielte Rom weltweit.

STANDARD: Gab es Währungsunionen?

Wolters: Ja, schon vor 2.500 Jahren in Griechenland zwischen Städten. Das sah dann ähnlich aus, wie heute der Euro: Eine Seite der Münze bildete das Zeichen für die Währungsunion ab, die andere Seite wurde von den beteiligten Städten je individuell gestaltet. (Aloysius Widmann, 29.8.2015)