Der Debütroman der Grazerin Margarita Kinstner wurde zum Über raschungserfolg. Jetzt legt sie mit "Die Schmetterlingsfängerin" einen Familien- und Generationenroman nach.

Foto: Arno Ebner / Deuticke Verlag

Wien – "Wo es keine Ketten zu sprengen gilt, fehlt es an Aussagen [...]. Das ist das Problem der heutigen Generation. Sie wollen alle malen, schreiben oder Filme drehen, aber sie wissen nicht, was und worüber." Das attestiert Albert, Alt-68er, Künstler und Vater der Erzählerin des zweiten Romans von Margarita Kinstner. In einem Buch stehend ist das ein koketter Witz: Es gibt eben doch noch Bilder zu malen, Steine zu behauen und Dinge zu erzählen.

Den Beweis dafür will der auf den Überraschungserfolg Mittelstadtrauschen folgende Familienroman Die Schmetterlingsfängerin antreten. Darin steht eine junge Frau unsicher vor einer bereits getroffenen Entscheidung: Soll sie dem Mann, den sie liebt und dessen Kind sie erwartet, nach Sarajevo folgen? – Diese Frage stellt Katja nicht nur sich, sondern ihrer ganzen Familiengeschichte. Im "Niemandsland zwischen Vergangenheit und Zukunft" – in Wien hat die Lehrerin alle Zelte abgebrochen, der Möbelwagen kommt aber erst in sechs Wochen – beschließt Katja, noch einmal in den Sehnsuchtsort ihrer Kindheit zurückzukehren.

Befrage die Herkunft

Haizendorf ist der Geburtsort ihres Vaters; hier hat sie die ersten Lebensjahre und all ihre Sommerferien verbracht; ein Ort voller Kühe und grüner Hügel, in dem sich – für Generationenromane scheint das ein Muss zu sein – neben dem großmütterlichen Garten mit der Hollywoodschaukel auch etwas Dunkles auftut.

Aufgewachsen zwischen einer allzu jungen Mutter, die Karriere machen wollte und sich schwertat, ihr Kind zu lieben, und einer fürsorglichen Großmutter, wird die erfolglose Suche nach der echten Heimat früh zur Triebfeder der Protagonistin: Wohin gehört die Einzelne in einer Gesellschaft, die durch mehrere Haushalte und Bezugspersonen, mehrere Sprachen und Hintergründe bestimmt ist?

Katja stellt bald fest, dass der Ort ihrer Kindheit nicht mehr ist, was er in ihrer Erinnerung zu sein versprach. Die Freiheit, die diese Heimatlosigkeit erlaubt, ist aber nichts Begehrenswertes: "Ich wollte nach Hause, und nie wusste ich, wo dieses Zuhause eigentlich war." Eine Verlorenheit, die vererbt, die das ungeliebte Geschenk der Eltern, die mit alten Normen gebrochen haben, ist. Diese Normen sind es nun, die Trost spenden und die Suchende erlösen sollen. In ihrer Sehnsucht nach einem Ort und einer Geschichte, denen sie zugehört, folgt Katja entgegen der mütterlichen Selbstständigkeit ihrem Verlobten. "Wenn ich irgendwo zu Hause bin, dann dort, wo Danijel ist" – ein Satz, der von Rosamunde Pilcher sein könnte. In Kinstners Roman ist er erträglich, gibt trotz Unsicherheit vorsichtige Hoffnung. Wenn Katja am Ende alle Krätzen der Vergangenheit aufgekratzt hat und der Ausfluss Schockierendes mitschwemmt, ist es die Keimzelle Familie, die ihr die Kraft gibt, aufzubrechen.

Wegen der Nomadisierungstendenzen unserer Gesellschaft seltsam aktuell, schrammt Kinstners Roman manchmal eng am "Alltagskitsch" vorbei, vermag aber ebenso manch schönen Moment zu erzählen und Einblicke in das noch immer am Krieg würgende Sarajevo zu geben. (Florian Kutej, 28.8.2015)