Neusiedl am See/Eisenstadt – Im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsdrama auf der Ostautobahn (A4) gibt es Kritik an einem von der "Kronen Zeitung" veröffentlichten Foto der toten Flüchtlinge. Leser des Boulevardblatts zeigten sich am Freitag beim Aufschlagen der Zeitung entsetzt: Auf Seite 3 war ein Bild der toten, zusammengepferchten Körper auf der Lkw-Ladefläche zu sehen. Die Veröffentlichung wird auch ein Fall für den Presserat.

Dort sind bis Freitagnachmittag bereits 35 Beschwerden (Stand: 17:00 Uhr) gegen die "Krone" eingelangt. Andreas Koller, Sprecher eines der Senate im Presserat sowie Vertreter der Initiative Qualität im Journalismus: "Ich halte diese Fotos für unentschuldbar. Ich will nicht eine allfällige Entscheidung des Presserats vorwegnehmen, aber Faktum ist, dass Tote auch dann, wenn es sich um Flüchtlinge handelt, Anspruch auf Achtung ihrer Würde haben. Daher ist es inakzeptabel, sie nach ihrem grausamen Tod aus purer Lust an der Sensation im Zeitungsboulevard zur Schau zu stellen", sagte der Innenpolitik-Chef der "Salzburger Nachrichten".

Der Senat 3 des Presserats wird sich bereits am Dienstag mit der Causa beschäftigen, sagte Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats, zum STANDARD. Im Raum steht ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Im Vorjahr wurde die "Kronen Zeitung" mit 16 Verstößen am öftesten von allen Medien vom Presserat gerügt. Am meisten Beschwerden, nämlich 66, hat es bis jetzt nach einem "Heute"-Artikel wegen Diskriminierung von Muslimen gegeben.

"Krone": Identität geschützt

Laut "Krone" zeige das veröffentlichte Foto "die Dramatik des Todeskampfes von Männern und Frauen im Laderaum ohne Sauerstoff". Auf STANDARD-Anfrage verteidigt Richard Schmitt, redaktioneller Berater des "Krone"-Herausgebers und Chefredakteur der Krone Multimedia, die Vorgehensweise: "Das Foto zu bringen war eine gemeinsame Entscheidung der Chefredaktion. Die Gesichter der Todesopfer sind nicht zu sehen, die Identität somit geschützt. Bei einer Tragödie dieses Ausmaßes muss eine entsprechende Bebilderung möglich sein." Und: Medien wie "Bild" und "Le Monde" hätten um Übermittlung des Fotos angesucht.

Die "Bild"-Zeitung tat es der "Krone" in ihrer Samstagsausgabe tatsächlich gleich und zeigt die Fotos ebenfalls. Die Rechtfertigung für die Verwendung des Bildes unter dem Titel "Das Foto der Schande": Das Bild dokumentiere "alles, was die Flüchtlingskatastrophe 2015 so unerträglich macht". Es seien "eben nur solche erschütternden, zeitgeschichtlichen Fotos, die Politik und Öffentlichkeit endlich aufzurütteln vermögen."

Laut Schmitt wird die "Krone" den Verkaufserlös an die "Bild" verdoppeln und als Spende für die Flüchtlingsbetreuung an NGOs weitergeben. "Niemand verdient an diesem Foto aus dem Burgenland – es ist ein erschütterndes Zeitdokument. Wie auch die Fotos von den Stränden im Mittelmeer."

Medienethik

In den sozialen Netzwerken entbrannte nach der Veröffentlichung eine Diskussion darüber, ob Medien solche Fotos zeigen dürfen. Auch bei den Behörden ist das Bild Thema. Es dürfte entstanden sein, als Polizisten den Laderaum des Transporters öffneten. Ob das im Zuge der Amtshandlung oder extra für einen "Krone"-Fotografen geschah, wird noch untersucht.

Das Foto: ATV-Moderator Martin Thür hat es verpixelt.

Polizei untersucht

Bei den Polizeibehörden und im Innenministerium wird die Veröffentlichung des Fotos jedenfalls nicht gern gesehen. Man werde nachverfolgen, wie es dazu kam, sagte Innenministeriumssprecher Alexander Marakovits. Unklar war am Freitag, ob es sich um ein weitergegebenes Polizeifoto handelt oder das Bild auf anderem Weg zustande kam. Laut Marakovits war ein "Hineinfotografieren" in den Lkw nur am Beginn möglich, als die Polizisten erstmals den Laderaum öffneten. Danach sei die Tür immer nur so weit geöffnet worden, dass kaum etwas zu sehen war. "Klar ist, dass die Aufarbeitung des Falles selbst die höchste Priorität hat. Aber wir kümmern uns auch darum, wie die Veröffentlichung des Fotos zustande kam", sagte der Sprecher.

"Komplizenschaft" zwischen Polizei und "Krone"

"Offensichtlich besteht hier eine Komplizenschaft zwischen den Sicherheitsbehörden und der 'Krone'", so Marakovits.

Auch der burgenländische Polizeidirektor Hans Peter Doskozil sagte am Freitagabend in der ZiB2, man werde wegen der Veröffentlichung des Bildes "rigoros vorgehen". Er geht davon aus, dass es von Polizisten weitergegeben wurde. Man sei diesbezüglich bereits in Kontakt mit der Staatsanwaltschaft, so Doskozil.

Diese Form der 'Öffentlichkeitsarbeit' ist widerwärtig", sagte Presseratsmitglied Koller. Die Allianz zwischen der größten österreichischen Tageszeitung sowie Polizeibehörden und Innenministerium sorgt seit vielen Jahren für Diskussionen. Die "Krone" erhält regelmäßig bevorzugten und exklusiven Zugang zu Polizeiinfos, im Gegenzug gibt es publizistische Unterstützung für die Innenminister und immer dann, wenn die Polizei mit öffentlicher Kritik konfrontiert ist. (APA, omark, red, 29.8.2015)