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STANDARD: Das Flüchtlingsthema hat die Westbalkankonferenz dominiert. Wie sollte man in der EU vorgehen?

Hahn: Unser Ziel muss es sein, in den Ursprungsländern zu verhindern, dass Menschen flüchten müssen. Deshalb bin ich etwa über den Ausgang der Iran-Gespräche froh, weil das hoffentlich positive Auswirkungen im Nahen und Mittleren Osten haben wird, auch was die Rolle Russlands anbelangt. Man soll aber auch nicht übersehen, dass alles auch mit der Situation in der Türkei zusammenhängt. Seit den türkischen Wahlen haben wir die Zunahme an Flüchtlingen, weil die innenpolitische Situation unklar ist und alle Parteien auf die Wahlen fokussiert sind. Und in Griechenland ist die innenpolitische Situation ja auch nicht gerade klar. Das sind zwei neuralgische Länder, die derzeit innenpolitisch zu sehr unter Druck stehen, um sich in einer angemessenen Form mit der Flüchtlingsproblematik beschäftigen zu können.

STANDARD: Aber was kann man nun von EU-Seite machen?

Hahn: Wir haben vonseiten der Kommission den Griechen hinreichend Unterstützung angeboten und geliefert, damit die Außengrenzen geschützt werden. Das ist von einer Dimension, bei der man fairerweise ein einzelnes Land nicht alleinlassen kann, aber rein rechtlich müssen sie jetzt Verantwortung übernehmen. In Griechenland haben wir die Situation, dass die Armee bei der Sicherung der Außengrenzen nicht einschreiten kann, weil die Armee nur einschreiten kann, wenn es um einen Feind geht. Nun sind Flüchtlinge in der Tat ja keine Feinde. Und das kann nicht die Lösung sein. In einem bestimmten Teil von Mazedonien wurde der Notstand ausgerufen, damit die Armee bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise hinzugezogen werden kann.

STANDARD: Es gibt an der mazedonisch-griechischen Grenze vor allem niemanden, der hilft, den Flüchtlingen zu sagen, wo sie sich registrieren lassen können und wie es weitergeht.

Hahn: Deshalb geht es nun darum, dass wir die Flüchtlinge in Griechenland und in Italien in Empfang nehmen und noch dort registrieren. Das ist die Idee der Hot-Spots. Ich finde ja immer noch, dass es nicht irgendwelcher äußerer Anlässe bedürfen sollte, dass man sich mit Problemen beschäftigt. Die Kommission hat bereits vor neun Jahren eine einheitliche Liste von sicheren Drittstaaten EU-weit vorgeschlagen. Damals haben die Mitgliedstaaten gesagt, dass das eine unzulängliche Einmischung in ihre Souveränität sei.

STANDARD: Die stellen sich noch immer quer gegen so eine Liste.

Hahn: Deswegen ist mir gestern ein wenig die Galle übergegangen, dass sich einige EU-Staaten, die gerade nicht betroffen sind, wegducken. Ich kann mich auch erinnern, dass in Teilen Mitteleuropas die Aufregung nicht so groß war, als wir im Mittelmeer die Probleme hatten und als man nun auf die Entwicklung auf dem Westbalkan hingewiesen hat, haben die am Mittelmeer sich wieder auf den Schlips getreten gefühlt. Aber ich interessiere mich ja auch für die Ukraine, selbst wenn sie jetzt nicht mehr in den Schlagzeilen steht. Ich kann auch die Türkei nicht links liegen lassen.

Fakt ist jedenfalls, dass es eine Grundvoraussetzung ist, dass wir eine einheitliche Beurteilung hinsichtlich der sicheren Drittstaaten haben müssen und auch eine einheitliche Anwendung. Ich höre etwa, dass es in Deutschland einzelne Bundesländer unterschiedlich beurteilen, ob der Kosovo ein sicherer Drittstaat ist. Für derartige Probleme kann nicht die gesamte EU verantwortlich gemacht werden.

STANDARD: Wie könnte man auf dem Balkan eine bessere Koordination der Flüchtlingspolitik erreichen?

Hahn: Wir helfen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (Fyrom) und Serbien. Wir haben gerade dieser Tage zusätzliche Finanzmittel freigegeben. Aber das ändert nichts daran, dass Griechenland sich im Rahmen des Möglichen bemühen sollte. Eigentlich muss man das Thema an der Außengrenze ansprechen.

STANDARD: Es gab ja auch am Gipfel viel Kritik an Griechenland. Griechenland blockiert den EU- und Nato-Beitritt von Mazedonien. Wie könnte man das aufbrechen?

Hahn: Es haben mittlerweile alle verstanden, dass wir gewissermaßen mitverantwortlich sind, weil es nicht gelungen ist, dies zu überwinden. Aber zunächst müssen die Mazedonier jetzt Reformen liefern. Unter unserer Vermittlung wurde ein umfangreiches Reformpaket beschlossen, das hoffentlich auch dazu beitragen wird, die jahrelange politische Krise zu überwinden. Die Umsetzung des Reformpakets ist die Voraussetzung dafür, dass man über die eventuelle Aufnahme von konkreten Beitrittsverhandlungen überhaupt sprechen kann.

Parallel dazu werden sich hoffentlich die Nebelschleier in Griechenland lüften. Wir machen auch neue Grenzübergänge zwischen Griechenland und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Da brauchen sie ja auch uns, weil die beiden können aufgrund des Namensstreits keine Staatsverträge abschließen. Es gibt aber auch Fortschritte: Bei den Schlussfolgerungen des Westbalkangipfels haben die Balkan-Staaten auch unterschrieben, dass sie sich gegenseitig auf dem Weg in die EU nicht behindern werden. Das wäre noch vor einem Jahr undenkbar gewesen.

STANDARD: Zu Serbien: Wann werden die Beitrittsverhandlungen starten können?

Hahn: Ich war schon vor der Einigung zum Kosovo zuversichtlich, obwohl ich ja nicht zu hoffen gewagt habe, dass sie jetzt schon so weit sind. Jetzt ist es aber noch leichter. Rein technisch können wir bis Jahresende Kapitel 35 (Sonstiges) und dann 32 (Finanzkontrolle) öffnen. Aber ich möchte auch, dass zu diesem Zeitpunkt schon klar ist, wann wir Kapitel 23 und 24, die die Rechtsstaatlichkeit betreffen, aufmachen können. Wir haben den größten Hebel, wenn wir die Verhandlungen beginnen, nicht davor – geschweige denn danach. Deshalb müssen wir diesen Prozess starten – und da geht Qualität vor Geschwindigkeit.

STANDARD: Wie geht es jetzt weiter mit Mazedonien?

Hahn: Nächste Woche muss die Opposition, wie vereinbart, ins Parlament zurückkehren. Dann wird ein Sonderstaatsanwalt eingesetzt – da höre ich von Seiten beider großen Parteien, dass es gut vorangeht. Wir, die EU und die international Familie, werden überproportional Aufwendungen betreiben, dass die Wahlen im April fair und in Einklang mit internationalen Standards ablaufen und gut überwacht werden.

STANDARD: Wie kann man dafür sorgen, dass Vereinbarungen wie jene zu Kosovo und Serbien auch umgesetzt werden?

Hahn: Im April war Außenminister Ivica Dačić das erste Mal in Prishtina. Wenn es einmal auf der persönlichen Ebene funktioniert, dann ist das eine gute Voraussetzung für die Umsetzung der Abkommen. Und auch in den Beziehungen zwischen Serbien und Albanien gibt es Entspannung und eine wesentliche Verbesserung der Beziehungen. Der serbische Premier Aleksandar Vučić und der albanische Premier Edi Rama könnten in ihrer neuen Kooperation so etwas wie die Rolle von Berlin und Paris auf dem Balkan übernehmen. Die Beitrittsverhandlungen sind ein Prozess und das betreffende Land definiert die Geschwindigkeit. Schritte zur Versöhnung sind ein ganz wichtiger Teil dieses Prozesses.

STANDARD: Russland meldet sich immer wieder auf dem Balkan zu Wort. Wie sehen Sie das?

Hahn: Ehrlich gesagt ist mein Befund, dass es wieder ruhiger geworden ist. Das gesamte russische Investment in Serbien liegt bei 4,5 Prozent und das von Österreich zum Beispiel liegt bei 18 Prozent. Und wir haben gerade am Westbalkangipfel das grüne Licht für prioritäre Infrastrukturprojekte im Bereich Verkehr und Energie gegeben.

STANDARD: Deswegen verhandelt man das Energiekapitel prioritär?

Hahn: Ja natürlich. Die Achillesferse Europas ist die Abhängigkeit von Rohstoffen, das betrifft sowohl Öl und Gas als auch die seltenen Erden. Wenn man sich die europäische Handelsbilanz ansieht, so hätten wir ohne diese Handelsbilanz einen gigantischen Überschuss, aber durch die Rohstoffe rutschen wir ins Minus. Durch den niedrigen Ölpreis sind wir zurzeit ausgeglichen. Auf dem Balkan forciere ich deshalb ganz besonders die erneuerbaren Energie – insbesondere Wasserkraft.

STANDARD: In Bosnien-Herzegowina fordert die EU, dass Geld von Internationalen Geldgebern nur dann gegeben wird, wenn Reformen gemacht werden. Ist das ein Modell?

Hahn: Das ist mein genereller Ansatz und ich arbeite da auch an einer Vereinbarung mit den wesentlichen Finanzinstitutionen, EIB, EBRD, Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Bosnien-Herzegowina braucht jährlich 900 Millionen Euro und 80 Prozent kommen von diesen Institutionen und der EU-Kommission. Es geht darum, dass die Anreize und Bedingungen zusammengeführt werden. Wenn man vier verschiedene Forderungslisten hat, dann hat ein Staat viele Ausreden, warum er nicht liefern kann. Deshalb versuchen wir die Bedingungen für Gewährung der Finanzhilfe zu harmonisieren. (Adelheid Wölfl, 28.8.2015)