Ruth (Anja Kling) freut sich, dass ihr Vater Edek (Dieter Hallervorden) zu ihr nach Berlin zieht.

Foto: ARD Degeto / Tivoli Film / Julia Terjung

Wien – Edek hat den Holocaust überlebt und emigrierte nach Australien, wo er sich ein neues Leben aufbaute. Mittlerweile ist er Witwer, und auch seine Freunde sind bereits verschieden. Seine Tochter Ruth holt ihn zurück zu sich nach Berlin.

Als Vorlage für den Fernsehfilm Chuzpe – Klops braucht der Mensch! diente Lily Bretts Roman You Gotta Have Balls. Das Buch wurde bereits als Bühnenstück adaptiert und hatte 2012 seine Uraufführung im Theater in der Josefstadt. Für Anja Kling war die Romanvorlage nur einer von vielen Gründen, die Rolle der Ruth zu übernehmen: „Ein gutes Buch, Dieter Hallervorden und eine sehr wunderbare Regisseurin Isabel Kleefeld, mit der ich schon zwei Filme gedreht habe“, sagt Kling im STANDARD-Gespräch.

Edeks Wunsch, gebraucht zu werden, richtet in Ruths Leben ein ziemliches Chaos an. Mit seinem Entschluss, ein Spezialitätenrestaurant zu eröffnen, ist sie schlicht überfordert. Kling sieht ihr Spiel zwiespältig: „Normalerweise lässt man ja von sich viel in eine Rolle miteinfließen. In diesem Fall dachte ich mir, ich würde mich nicht so wie Ruth verhalten. Ich habe mir überlegt, wie ich mit einem solchen Vater umgehen würde. Ich hätte mich sicher sehr gefreut für meinen Vater und ihn dabei unterstützt, Kontakt zu Menschen zu suchen, zum Sport gehen zu wollen und nicht nur vor dem Fernseher zu sitzen.“

Später Fachwechsel

Chuzpe dürfte auch Hallervorden selbst besitzen – erscheint der Film doch just an seinem 80. Geburtstag: ein Alter, in dem die meisten mit der Arbeitswelt nicht mehr viel zu tun haben wollen. Hallervorden verfolgt seine Karriere abseits der Comedy konsequent weiter und patzt nicht immer, so wie zuletzt bei der Romy-Verleihung mit dem Nazi-Sager („Heim ins Reich“). Filmtochter Kling zeigt sich von seiner Arbeitsweise und dem Werdegang in den späten Jahren beeindruckt: „Wir sind ja alle mit Nonstop Nonsens groß geworden. Man hat ihn natürlich als Komiker wahrgenommen, aber dass da ein ganz großartiger Schauspieler steckt, hat man leider ein bisschen vergessen. Er ist professionell und gut vorbereitet. Dazu kommt, dass er ein Charmeur der alten Schule ist, ausnehmend höflich und freundlich ist.“

Die Ratlosigkeit ihrer eigenen Rolle, einer Frau, die andere berät, aber an ihren eigenen Problemen scheitert, ist für Kling eine Reverenz an die tägliche Wirklichkeit: „Jeder kennt das, in der Theorie ist man für andere ein guter Ratgeber, bleibt aber in der gleichen Situation für sich selbst ratlos vor einem scheinbar unbezwingbaren Berg stehen. Deshalb ist es so wichtig, den Mut zu haben, andere um Rat zu fragen, wenn man nicht weiterweiß.“

Freiheit ist erarbeitet

Genau wie Hallervorden konnte auch Kling ihre Karriere mit der Zeit breiter aufstellen. Wendepunkt war die Rolle in Michael „Bully“ Herbigs Traumschiff Surprise: „Viele Schauspieler haben die berechtigte Angst, in Schubladen gesteckt zu werden. Auch ich musste mich da erst rausarbeiten. Mit Anfang 20 war ich oft die gute Tochter, dann war ich sehr lange im Drama verhaftet, und durch Traumschiff Surprise hatte ich plötzlich viele Komödien auf dem Tisch. Heute empfinde ich es als großes Privileg, dass ich alles spielen darf.“

Für ihre Rolle im DDR-Drama Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen wurde Kling mit der Goldenen Kamera und dem Bayrischen Fernsehpreis ausgezeichnet – Hauptmotivation sind die Preise für sie allerdings nicht: „Ich arbeite nicht, um Preise zu bekommen. Hat man aber die Chance und das Glück, bei einem gelungenen Film dabei zu sein, und wird man für die Darstellung seiner Figur ausgezeichnet, freut man sich natürlich sehr.“

Ihre konsequente Arbeit hat sich ausgezahlt. Auf die Frage, ob diese künstlerische Freiheit in Bezug auf ihr Rollenangebot aus harter Arbeit resultiere, gibt sie sich kritisch: „Das ist erarbeitet, ja. Und natürlich gehört da auch ein bisschen Glück dazu. Manche bleiben dann ja unverschuldet in solchen Schubladen stecken.“ (Andreas Haberl, 1.9.2015)