Es ist kurz nach sieben Uhr in der Früh, als der Gestank von Verwesung durch das Taxifenster weht. Auf einer Schutthalde neben der Straße verrotten die Kadaver von einem Dutzend Kamelen. Staubbedeckt, von Fliegen umschwirrt, Vögel picken in den Augen.

Der Kamelmarkt von Birqash liegt nördlich von Kairo im Nildelta. Wenn die Kamele, die meisten von ihnen aus dem Sudan, hier ankommen, haben sie 2.000 und mehr Kilometer hinter sich. Zu viel für manche Tiere, die auf den Ladeflächen der Pick-ups und Lastwagen verrecken.

Wüstentier zum Kilopreis

Hinter dem Tor zum ummauerten Markt wird es laut. Störrische Kamele brüllen, Händler rufen den Treibern zu, die ihre Stöcke schwingen: das Klatschen auf der Haut, der dumpfe Schlag, wenn er den Knochen trifft. Es wird verhandelt, mit viel Geschrei und großen Gesten – das stolze Wüstentier zum Kilopreis. Vor einem Café, eine Bretterbude mit ein paar Holzhockern, blubbern Wasserpfeifen, Fliegen schwirren, krabbeln am Teeglas, kriechen in die Nase. Auf dem staubigen Platz stehen Kamele in Gruppen beisammen, einen Vorderfuß nach oben gebunden. Andere haben sich auf ihre Knie niedergelassen, einige mit blutigen Wunden. Die Köpfe gehoben, schauen sie hierhin und dorthin, und es sieht aus, als würden sie lächeln. Ein Junge in Gallabiya, nicht viel größer als der Holzstock, schlägt im Vorbeigehen auf den Rücken eines cremefarbenen Tieres.

Auf dem Kamelmarkt.
Foto: Markus Schauta
Der Markt beginnt um sechs Uhr früh, gegen acht Uhr sind die meisten Geschäfte abgewickelt, und es bleibt Zeit für Shisha und Tee.
Foto: Markus Schauta

Ein letzter Tanz

Ich spreche mit einem sudanesischen Händler in weißer Gallabiya. "Wie viel kostet ein Kamel?" "Welches?" Ich zeige auf ein großes hellbraunes mit dunklen Haaren am Höcker. "Was willst du mit dem Kamel?" "In die Wüste reiten." Er lacht. "Diese Tiere werden ausgeschlachtet; Fleisch zum Essen, Sehnen und Hufe für Leim, die Knochen, um Kämme und Knöpfe zu schnitzen, Kamelhaardecken aus dem Fell." "Wie schmeckt Kamelfleisch?" "Ich weiß es nicht. Nur die Armen essen Kamelfleisch."

Dann wendet er sich einem potenziellen Käufer zu. Ein Treiber zerrt ein Kamel aus der Gruppe, es humpelt durch den Staub. Dann schlägt er es, lässt es tanzen, wie er sagt, damit der Käufer es von allen Seiten betrachten kann. Später sprüht der neue Besitzer mit einer Spraydose sein Zeichen auf den Höcker des Kamels.

Es ist jetzt nach acht Uhr, der Markt geht dem Ende zu. Kamele werden auf Pick-ups verladen. Laderampen gibt es nicht, es wird gezogen, geschoben und geschlagen. Fleisch auf vier Beinen. Bis Kairo sind es 30 Kilometer. In den Schlachthäusern der Millionenmetropole endet ihre Reise.

Im Horreya

Ich sitze in einem Café und warte auf die Nacht, sauge an der Wasserpfeife, schlürfe am Tee. Auf der Straße braust vierspurig der Abendverkehr vorbei. Die kleinen schwarz-weißen Taxis, zigmal repariert und wieder neu zusammengesetzt, sind fast vollständig von den Straßen verschwunden. Stattdessen ziehen Flotten von weißen Sedans vor dem Café vorbei; geräumige Taxis, deren Beifahrertüren sich auch von innen öffnen lassen, mit Fensterscheiben, die nicht festklemmen, und Sicherheitsgurten, die sichern und nicht im Falle eines Unfalles erwürgen oder schwere Abschürfungen im Halsbereich verursachen.

Ein weißes Taxi bringt mich ins Horreya, ein altes Kaffeehaus am Midan Falaky. Von der hohen Decke hängen Ventilatoren an Eisenstielen. Ein Gemurmel aus Arabisch, Englisch und Französisch füllt den Raum. Man trinkt Stella-Bier. Die Zahl der Bars, in denen Alkohol ausgeschenkt wird, ist seit den 60ern zurückgegangen. Die Gesellschaft veränderte sich, die Islamisten wurden lauter, das Trinken von Alkohol wird nicht gern gesehen. So nannten sich die Lokale nicht mehr "Bar", sondern "Café" oder "Restaurant". Viele mussten zusperren, weil die Genehmigung zum Alkoholausschank nach dem Tod des Besitzers nicht verlängert wurde. Die verbliebenen Bars befinden sich heute oft in Seitenstraßen, Gassen oder auf Dachterrassen, die Fenster bis auf Sichthöhe abgeklebt, so wie das Horreya.

Kairoer Geschichten

Es ist Donnerstagabend – Wochenende –, und der Laden ist voll, bekannte Gesichter an den Tischen. Der Kellner stellt mir eine Flasche Stella hin. Geschichten werden ausgetauscht. Vom Studenten aus Norwegen etwa, der nach Kairo kam, um hier ein Semester Journalismus zu studieren. Als Erstes ging er los, um das Gerichtsgebäude zu fotografieren – weiß Gott, warum. Zehn Minuten später war er verhaftet, und er musste die Nacht im Gefängnis verbringen. Jetzt wird seine Wohnung überwacht. Oder vom Priester Samaan, der in einer Felsenkirche am Fuße des Muqattam den Teufel austreibt. Jeden Donnerstag nach der Abendmesse kommen dutzende Besessene dorthin, um am Exorzismus teilzunehmen. Ich notiere mir den Namen der Kirche.

Mit einem Arm voller Bierflaschen dreht der Kellner seine Runde durchs Lokal, klopft dabei mit dem Flaschenöffner gegen das Glas. Er tauscht meine leere gegen eine volle Flasche aus. Die Ventilatoren drehen sich, Bier wird nachgereicht, und irgendwann ist es Früh.

Im Taxi

Ich winke ein Taxi herbei – eines der letzten schwarz-weißen Gefährte. "Ya Captain", sage ich, "Garden City." Und der Fahrer nickt. Es ist drei Uhr früh, aber auf den Straßen ist immer noch viel Verkehr. Schwüle Hitze. Ich kurble am Fenster, der Fahrer sagt etwas, das ich nicht verstehe, dann rutscht die gesamte Scheibe in die Tür. Hoppla, dafür hab ich jetzt frische Luft. Der Fahrer flucht. Ich lehne mich im Sitz zurück. "Mumkin?" Ich zupfe ein Tuch aus dem Karton, der am Armaturenbrett klebt, wische mir damit übers Gesicht, als der Fahrer mich fragt, ob ich verheiratet bin. Bin ich nicht. Der Fahrer ist entsetzt. "Wie alt bist du?" "39." Der Fahrer schnalzt mit der Zunge: "Allah, Allah!" Viel Zeit bleibe nicht mehr. "Du brauchst eine Frau", sagt der Fahrer. "Und Kinder!"

Jaja, sage ich. Kein Geld, und außerdem sei ich viel unterwegs, Nahost und so. Dann komm ich mit meinem Arabisch nicht weiter. Ich strecke den Kopf aus dem Fenster, der Fahrtwind kühlt, der Fahrer redet weiter auf mich ein. Ich solle mich gleich morgen nach einer Frau umsehen, mit Gottvertrauen werde alles gut. Dann hält er vor meiner Wohnung.

Ein letzter Tipp vom dreifachen Vater: Was die Potenz anbelangt, sei Kamelfleisch das Beste, das wecke die Manneskraft. Ich nicke und zahle. Aber es braucht noch eine Weile, bis ich aus dem Taxi raus bin – die Tür lässt sich nur von außen öffnen. (Markus Schauta, 2.9.2015)