Der "Goldzug der Nazis" fasziniert in Polen alle. In 70 Metern Tiefe soll der gepanzerte Zug stehen, in einem eingestürzten Tunnel, der zum Komplex Riese gehört. Hier hatte Adolf Hitler seine "Wunderwaffe" bauen wollen, eine Rakete, die 1944 doch noch den "Endsieg" bringen sollte. Albert Speer, Hitlers Rüstungsminister, baute in den Berg bei Waldenburg (Walbrzych) eine gigantische Waffen- und Munitionsfabrik hinein. Unterirdisch, sodass die Alliierten die Fabrik nicht bombardieren konnten. Zehntausende von Zwangsarbeitern – Juden wie christliche Polen – fanden hier nach meist nur drei Monaten einen furchtbaren Tod.

Dass irgendwo in diesem gigantischen Tunnelsystem ein bis heute unentdeckter Nazi-Goldzug stehen könnte, gehört zu den Legenden, die alle Touristen hören, die den Komplex besichtigen. Wer durch kilometerlange Tunnel gelaufen ist, riesige, taghell erleuchtete Hallen durchquert hat, die wie ein Flugzeughangar aussehen, und mit einem Ruderboot die unterirdischen Seen bei dämmrigem Funzellicht überquert hat, glaubt diese Legende gerne. Denn nur der kleinste Teil der Tunnelanlage ist zugänglich. Die Nazis sprengten die Anlage beim Vorrücken der Roten Armee. Und bis heute sind keine Pläne für das Tunnelsystem aufgetaucht.

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In dem riesigen Tunnelsystem im Komplex Riese soll angeblich ein noch unentdeckter Nazi-Zug voll Gold stehen.
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Dass gegen Ende des Krieges tatsächlich ein mit Kostbarkeiten beladener Zug Breslau (Wroclaw) verlassen hat, scheint sicher zu sein – auch, dass er nirgends ankam. Einige Nazis könnten den Zug geplündert und sich dann aus dem Staub gemacht haben. Theoretisch sei auch denkbar, dass der Zug tatsächlich in den Komplex eingefahren ist und seitdem dort steht.

Seit ein paar Tagen sind in der Gegend wieder hunderte Hobbyschatzsucher unterwegs. Selbst die Warnung vor einer möglichen Verminung des "Goldzugs" hält sie nicht davon ab, in Waldfurchen nach dem angeblichen Tunneleingang zu graben. Nun brach dort ein Feuer aus und vernichtete einige Hektar Wald. Die Behörden erwägen inzwischen, das gesamte Waldstück zu einer Sperrzone zu erklären.

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Polizisten bewachen das Gebiet.
Foto: EPA/MACIEJ KULCZYNSKI

Womöglich wäre es gar nicht zu dieser Goldgräberstimmung gekommen, hätte Polens Vizekulturminister Piotr Zuchowski nicht öffentlich die Existenz des Panzerzuges bestätigt. Er sei sich "zu 99 Prozent sicher", dass es den Zug gebe, erklärte er, nachdem er angeblich Georadaraufnahmen gesehen hatte. Publiziert wurden diese Aufnahmen jedoch bis heute nicht. Niemand weiß, was tatsächlich darauf zu sehen ist. Experten bezweifeln, dass Georadaraufnahmen mehr als nur Unregelmäßigkeiten im Boden aufzeigen können. Zuchowski hat sich nach seiner offiziellen "Panzerzug-Rede" erst einmal in den Urlaub verabschiedet und ist auf seinem Handy nicht zu erreichen.

Schon öfter hatten Schatzsucher einen sagenhaften Fund vorausgesagt, ohne dass dann je tatsächlich etwas aufgetaucht war. Diesmal sollen die Entdecker ein Pole und ein Deutscher sein. Angeblich habe der Vater oder Großvater dem Deutschen auf dem Sterbebett das Geheimnis des Zuges und dessen Fundort anvertraut. Überprüfen lässt sich die Geschichte nicht, da die Entdecker des angeblichen Zuges nach wie vor anonym sind. Spekuliert wird, dass es sich um regional bekannte Schatzsucher handelt, die schon häufiger von einem Sensationsfund fantasierten und von niemandem mehr ernst genommen werden. Nun aber, als anonyme Entdecker, scheinen sie Berge versetzen zu können.

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Die polnische Regierung will nun eine offizielle Suche einleiten.
REUTERS/Kacper Pempel

Obwohl lokale Historiker und Archäologen schon gegen die Nachricht vom angeblichen Sensationsfund Sturm gelaufen sind, will das Kulturministerium nun ganz offiziell nach dem Zug graben lassen. Die Freude über mögliche Reichtümer wird allerdings bereits getrübt durch Ansprüche, die von Russland und dem Jüdischen Weltkongress in New York angemeldet wurden. Es könnte sich ja um Raubgut aus der ehemaligen Sowjetunion oder jüdisches Eigentum handeln.

Die Anwohner in Niederschlesien haben da ganz andere Sorgen. Sie befürchten, dass bei Grabungen tatsächlich irgendwelche Minen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs explodieren könnten. (Gabriele Lesser aus Warschau, 2.9.2015)