Persönliche Mitteilung: Ich kenne Ursula Stenzel seit unserer gemeinsamen Studienzeit am Wiener Institut für Publizistik. Dort und in ihrer späteren Karriere als ORF-Journalistin und Europaabgeordnete blieb ein loser Kontakt, spärlicher dann als Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt. Bis vor wenigen Jahren war Ursula Stenzel eine liberale, weltoffene Bürgerliche. Die NS-Verharmlosung von Haider und Konsorten war ihr ein Gräuel, auch wegen ihrer teilweise jüdischen Vorfahren. Vom Habitus und der Weltanschauung her konnte man sie als aufgeklärte Konservative betrachten.

Vor allem aber war sie eine echte Europäerin. Und fand nur Worte des Widerwillens für antieuropäische Parteien wie die FPÖ. Im "Wende"-Jahr 2000 forderte sie Schüssel auf, sich von Haiders Sprüchen und der Gegnerschaft gegen die EU-Osterweiterung "klar zu distanzieren".

Gilt jetzt alles nicht mehr. In den allerletzten Jahren hat sich Stenzel allerdings innerlich der FPÖ angenähert.

Die entscheidende Frage dabei ist, ob es sich bei dem Entschluss Stenzels um die Folge einer persönlichen Verbitterung über die Behandlung durch die ÖVP handelt – oder um ein Signal an die Bürgerlichen, sich die Strache-FPÖ schönreden zu können.

Die Wiener ÖVP ist eine Verliererpartie. In der Hauptstadt so nichts zusammenzubringen, das muss man erst einmal zusammenbringen. Da ist Stenzels Frust berechtigt. Andererseits ist sie ihrer Partei mit zunehmend erratischem Verhalten schwer auf die Nerven gegangen. Und da die Wiener ÖVP eine Funktionärspartei ist, haben eben die Funktionäre mit einem kleinen Putsch Stenzels Wiederkandidatur als Bezirksvorsteherin verhindert. Ohne zu bedenken, dass sie einen gewissen Wählerappeal hat.

Wie stark der noch ist, wird sich zeigen. Man soll sich aber nicht täuschen: Ein Teil des ÖVP-affinen Perlenketten-und-genagelte-Schuhe-Sets war immer für die FPÖ anfällig. Allerdings eher für den schillernden Haider als für den doch schlichter gestrickten Strache. Auch gibt es kaum eine tiefere Abneigung als zwischen den katholischen CVern und den schlagenden Burschenschaftern, die die Wiener FPÖ dominieren. Dass Stenzels Überlaufen zur FPÖ eine "bürgerlich-liberale, wertkonservative Ansage" sei, wie Strache sagte, ist ein schlechter Witz.

"Bürgerlich" bedeutet außer einem ökonomischen Status auch eine innere Haltung, die von christlich grundiert über weltoffen bis gesellschaftspolitisch liberal reicht. Davon ist im FPÖ-Gebrüll und in den Hasspostings auf Straches Facebook-Seiten nichts zu spüren. "Liberal" ist die FPÖ schon überhaupt nicht.

Stenzel will die "Ausgrenzung" der Strache-FPÖ beenden und ihn wählbar machen. Es wird ihr bis zu einem gewissen Grad bei den Ultrakonservativen in der Wiener ÖVP gelingen. Die bürgerlichen Liberalen sind allerdings längst schon zu den Neos und auch den Grünen geflohen.

Stenzel wird der alten, verkrusteten Wiener ÖVP schaden und Strache ein wenig nutzen. Wer ein modernes, zivilisiertes, intelligentes Wien will, muss sich woanders umschauen. (Hans Rauscher, 1.9.2015)