OECD-Sozialexperte Förster sieht bei der Mindestsicherung in Österreich noch Verbesserungsbedarf.

Foto: Philipp Naderer

Das Europäische Forum Alpbach steht heuer unter dem Generalthema Ungleichheit. Internationale Organisationen wie der Währungsfonds und die Industriestaatenorganisation OECD haben in jüngster Zeit des Öfteren gewarnt, dass wachsende Verteilungsungerechtigkeit nicht nur soziale Probleme bringt, sondern auch das Wachstum hemmt. Österreich hält sich bei den Einkommen zwar stabil mit relativ guten Werten, zählt aber bei den Vermögen zu den Spitzenreitern in Sachen Ungleichheit.

STANDARD: Was sind die Hauptgründe für die von der OECD kürzlich konstatierte wachsende Ungleichheit bei den Einkommen in den Industriestaaten?

Förster: Direkt sind es Änderungen am Arbeitsmarkt. Mehr als die Hälfte der seit den 1990er-Jahren geschaffenen Arbeitsplätze waren atypische Jobs. Zudem gab es vor der Krise einen Rückgang an Umverteilung. Die Globalisierung hat indirekt dazu beigetragen, indem die Regierungen reagiert und ihre Sozialsystem umgestaltet haben.

STANDARD: Aber es hat sich auch einiges verbessert. Zum Beispiel ist die Armut global gesunken.

Förster: Es gab einen Rückgang absoluter Armut. Das sind die berühmten 1,25 Dollar Einkommen pro Tag. Die Zahl jener Personen, die unter der Schwelle liegt, ist tatsächlich massiv zurückgegangen. Aber wenn man sich die 2,5-Dollar-Grenze anschaut, die vor allem bei Schwellenländern relevant ist, hat sich nichts geändert.

STANDARD: Zurück zu den atypischen Jobs: Wo liegen hier die Hauptprobleme?

Förster: Atypische Jobs sind a priori nicht schlecht, es fragt sich aber für wen? Die Löhne sind geringer, es gibt weniger Fortbildung und Training, und bei vielen dieser Beschäftigungsformen gibt es keine soziale Absicherung. Das gilt vor allem für die neuen Selbstständigen. Das wäre nicht so schlimm, wenn diese Jobs ein Sprungbrett wären – ein oder zwei Jahre könnte man vielleicht damit leben. Aber dem ist nur zum Teil so. Vor allem bei den Jungen und Frauen gelingt der Umstieg zu selten. Da ist die Politik gefragt.

STANDARD: In Deutschland wurden im unteren Lohnsektor viele Jobs geschaffen. Wäre Ihnen lieber, die nun Beschäftigten wären weiterhin arbeitslos?

Förster: Natürlich ist es besser, einen schlechten Job zu haben als gar keinen. Die Frage ist nur: wie lange? Gerade für Jüngere gibt es in Deutschland und in anderen Ländern eine Art Falle: Eine Zeitlang hat man einen befristeten Job, dann geht man zurück in Hartz IV, dann hat man wieder einen befristeten Job. Das kann es ja auch nicht sein.

STANDARD: In Österreich wird derzeit über einen angeblichen Zusammenhang zwischen sozialer Absicherung und schlechte Entwicklung am Arbeitsmarkt diskutiert. Sehen Sie einen?

Förster: Man findet da nicht sehr viel, Österreich ist mit der Mindestsicherung auf dem richtigen Weg, es gibt aber noch Verbesserungsbedarf. Es sollte nicht so sein, dass man beim Umstieg von Teil- auf Vollzeit oder ins Erwerbsleben Einkommen verliert. Bei schlechtbezahlten Jobs stellt sich nicht nur die Frage des fehlenden Anreizes, sondern auch die, ob die Arbeit nicht besser entlohnt werden sollte. Der Mindestlohn in Deutschland geht in diese Richtung. Zudem sollten bei der Annahme eines Jobs nicht sofort alle Transferleistungen wegfallen, sondern diese eingeschliffen werden.

STANDARD: Wie steht Österreich bei Verteilungsgerechtigkeit da?

Förster: Österreich ist bei der Einkommensverteilung seit Ende der 1990er-Jahre stabil und liegt auf Platz zehn von insgesamt 34 OECD-Ländern. Grund dafür ist die hohe Umverteilung, für die allerdings viel eingesetzt wird. Das könnte effizienter gestaltet werden. Das Zweite sind die Vermögen, bei denen die Ungleichheit in Österreich gemeinsam mit Deutschland und den Niederlanden in Europa am größten ist. Das liegt an der hohen Konzentration der Vermögen und ihrer niedrigen Besteuerung.

STANDARD: In Österreich gibt es wenig Immobilienbesitz, dafür hohe Pensionsansprüche. Ersterer fließt in die Untersuchung ein, Letztere werden nicht berücksichtigt, obwohl beide Faktoren für den Wohlstand relevant sind. Das führt dazu, dass Österreicher im Durchschnitt weniger Vermögen haben als die meisten Südländer der Europäischen Union. Sind diese Ergebnisse nicht verzerrend?

Förster: Es ist richtig, dass die öffentlichen Pensionen nicht gezählt werden. Darüber gibt es auch unter den Forschern eine Diskussion. Ich halte die Methodik für gerechtfertigt, weil man seine Pensionsansprüche nicht am Markt verkaufen kann, ein Haus oder eine Aktie aber sehr wohl. Es ist allerdings wichtig, diese Hintergründe zu kennen, um die Studienergebnisse richtig bewerten zu können. (Andreas Schnauder, 2.9.2015)