Die letzten Meter hinauf bis zur Dreifaltigkeitskirche Tsminda Sameba oberhalb der Ortschaft Stepantsminda in der Kaukasusregion Kasbegi sind dann doch etwas anstrengend. Immerhin hat man am Vortag (nach einer oder drei Weinverkostungen am Tag davor) um zehn Uhr früh wieder eine erste Weindegustation in der Nähe der Hauptstadt Tiflis gehabt. Vier Personen ergeben drei Flaschen Wein. Eine einmal geöffnete Flasche wird in alter östlicher Tradition nicht mehr zugestöpselt. Das muss allen klar sein: Wer durch Georgien reist, kann das nicht ohne Weinbegleitung tun. Dazu aber später mehr.

Von Tbilisi in die Anorakzone

Zu Tiflis muss man in Tiflis übrigens dringend Tbilisi sagen, damit sich die durchwegs sehr patriotisch eingestellten Einheimischen freuen. Nach der besagten aktuellsten Weinverkostung wird man also von Tbilisi gute vier Stunden lang Richtung Norden durch das Aragvi-Tal und über den 2400 Meter hohen Kreuzpass entlang der alten Georgischen Heerstraße heraus aus dem feuchtfröhlich dampfenden T-Shirt-Wetter in die Anorakzone des Kaukasus gefahren.

Die Dreifaltigkeitskirche Tsminda Sameba oberhalb der Ortschaft Stepantsminda.
Foto: Georgian National Tourism Administration

Dazu muss man sagen: Wenn man in einem Reiseführer liest, dass man als Tourist in Georgien selbstständig Autos mieten kann, es aber besser ist, einen Fahrer dazuzunehmen, dann stimmt das so. Georgien ist ein stolzes altes Land voller Naturschönheiten, Weinverkostungen, alten Kirchen, aber auch Modernität und dazwischen gestreutem Sowjet-Retro-Chic – sowie immer wieder auch alten Klöstern und Kirchen und Weinverkostungen. Der Straßenbau speziell entlang der von Russland okkupierten, nein, betreuten und immer schon von Georgien beanspruchten Republik Südossetien in Richtung der russischen Grenze zählt aber sicherlich nicht zu den dringlichsten Aufgaben des georgischen Volkes. Vorsicht: Das ist in Georgien ein Gesprächsthema, bei dem man sich auf sehr, sehr dünnem Eis bewegt. Als Gast ist es besser, harmlose Burgenländerwitze über das südlich liegende georgische Nachbarland Armenien zu machen. Sie haben dort große Nasen. He he.

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Im georgischen Landesteil Kachetien ging einst Christianisierung mit Weinbau einher.

Rumms! Das war wieder ein Schlagloch. Für Georgier ist die Grenze nach Russland gesperrt und die wirtschaftlich geduldeten, nein, unerlässlichen und gern zum Essen, Trinken, Singen, Tanzen und Weinbeständeaufkaufen herüberkommenden Russen sollen sich halt in ihren BMWs, SUVs und Lkws Schaufeln und Sand mitnehmen, wenn sie etwas gegen Fallgruben auf der vom Fluss regelmäßig mit Hochwasser über- und ausgeschwemmten Schotterpiste haben. Georgische Fahrer sind das gewohnt, schließlich machen das alle so, ausländische Besucher müssen sehr tapfer sein: Überhöhte Geschwindigkeit, Überholen in Rechtskurven und/oder bei Gegenverkehr gehören zur real existierenden Verkehrspraxis. Das Ausweichen vor Schlaglöchern oder Schafherden sorgt bloß noch für zusätzliche Kicks. Sei ein Mann, gib Gas. Dolmetscher Lasha sitzt auf der Rückbank und gibt hinein in das bedrückte Schweigen kurz patriotische Volkslieder auf einer dreisaitigen Balalaika zum Besten. Jemand müsste singen können. Niemand lacht.

Wir sind immer oben

Wir sind jetzt also wieder oben bei der Kirche Tsminda Sameba. Der Aufstieg zu Fuß war sehr schön, man hätte aber eventuell ein wenig früher lossollen. Immerhin überholen einen jetzt alle gelangweilten russischen Reicheleutekinder in Miet-Jeeps. Am Abend zuvor haben sie an der Hotelbar Ballermann in Zeitlupe und mit unendlich gelangweilten Gesichtern gespielt. Die Hotelleitung weiß, was von der Kundschaft gewünscht wird. Schließlich gilt Georgien in der russischen Geschichte als Gegenstück von Bella Italia. Es gibt Köstlichkeiten wie Burger, Pommes, Pizza und Steak. Die eigentliche Sensation: Klischeeverdächtig weißblonde Russinnen erledigen die Bergwertung selbstverständlich in High Heels. Die letzten 300 Meter vom Parkplatz zur einst als Trutzburg gegen das Heidentum und die gebirglerische Wild- und Wüstheit seiner Bewohner gebauten Kirche, in der noch heute drei Mönche eingeschneit den langen Wintern trotzen, werden mit stützender Hilfe der Göttergatten bewältigt.

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Noch heute trotzen einige Mönche den langen Wintern am Fuße des Kasbek.

Apropos Mönche: Die georgisch-orthodoxe Kirche ist ein wenig lebensfroher ausgerichtet als zum Beispiel ihre grimmige russische Schwester mit der dunklen Mystik und der ewigen Verdammnis. Kommt halt oft auch auf das Wetter und überhaupt das Klima an. Der gute Gott in Georgien erlaubt es nicht nur, dass man sich aussuchen kann, ob man lieber mit oder ohne Frauen leben will. Er hat den zumindest für die Hitze im Tal eher unpassend in schwarze Winterkutten gekleideten Mannsbildern mit den ZZ-Top-Bärten auch den Wein geschickt.

Wehrhaft und weinselig

Die Kirche selbst gibt es erst seit dem vierten Jahrhundert. Und weil Georgien seine vielfältige Kultur entlang der das Land durchziehenden Seidenstraße entwickelt hat, ist diese Kirche nicht nur sehr wehrhaft. Man hat auch die zumindest für österreichische Verhältnisse oft fatale Kulturtechnik entwickelt, bei einem Glaserl Wein mit durchziehenden Eroberern, Leuten aus der antiken Export/Import-Szene, Maro- und Hasardeuren oder Wegelagerern wie du und ich auf einen gemeinsamen Nenner kommen zu können. Ein Glas ist natürlich ein ausgewiesener Blödsinn, aber ab einer Flasche oder einigen Kuhhörnern oder Schöpfkellen ex geht dann immer ein bisserl was.

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Die Georgskirche in Alaverdi zählt zu den ältesten Weinbauzentralen Georgiens.
Foto: picturedesk / Zurab Kurtsikidze

Im nahe der Grenze zum weniger trinkfesten als muslimischem Aserbaidschan gelegenen Landesteil Kachetien kann man zum Beispiel in der alten Wehrkirche von Alaverdi zwei, drei Flaschen mit Mama Gervise teilen. Mama steht im Georgischen für Bruder. Papa heißt Opa. Gervise ist Weinbaupriester. Die 15.000 Liter, die hier pro Jahr traditionell im gut 6000 Jahre alten Gärverfahren in riesigen, in die Erde eingegrabenen Tonbottichen namens Kvevris gekeltert werden, sollen eigentlich der Selbstversorgung dienen. In diesem Zusammenhang wird auch gern von spiritueller Erbauung und Stärkung des Glaubens gesprochen. Immerhin brachte einst bei der Christianisierung Georgiens die Heilige Nino aus Kappadokien (Konstantinopel) das mit Weinreben geschmückte Kreuz als schlüssiges Argument in das Land. Weintrinken ist also gelebter Glaube. Allerdings könnte man mit dem Weinbau auch reich werden. Regelmäßig fragen Leute aus Norwegen, Japan oder Geschäftsleute aus Russland an, zu denen man eigentlich nicht Nein sagen soll, weil alles im Leben seinen Preis hat. Aber im Wesentlichen wird Wein aus dem Kvevri wie ganz allgemein im mit 400 bis 500 verschiedenen Rebsorten gesegneten Land für den Hausgebrauch produziert.

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Im Wesentlichen wird Wein aus dem Tonbehältner Kvevri für den Hausgebrauch produziert.

Mittlerweile sorgt diese urige wie ursprüngliche Kelterungsmethode, bei der die Trauben mit Stiel und Stängel in die manchmal bis zu 6000 Liter und mehr fassenden, mit etwas Honig eingelassenen Tongefäße gegeben werden, um dort dann einige Monate zu ziehen, auch international für Furore. Georgien war schon zu Zeiten der Sowjetunion der wichtigste Weinlieferant des Ostens. Und herkömmlich in Fässern gekelterter Wein geht aufgrund heutiger westlicher Investoren auch preismäßig durch die Decke.

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Der Weinbauort Sighnaghi thront auf 700 Metern über dem Meeresspiegel in perfekter Panoramalage.

Im Zuge des heutigen Dranges zurück zur verlorenen Natürlichkeit entwickelte sich von Weinbauhauptorten wie dem auf 700 Meter über Meereshöhe gelegenen Ort Sighnaghi aus allerdings auch eine in Georgien nicht ganz unumstrittene fundamentalistische und von einem vor 20 Jahren hängengebliebenen US-amerikanischen Backpacker geführte Organisation namens "No Compromise". Die mittlerweile auch international vernetzten Fundamentalisten mit ihrer Liebe zum naturbelassenen und ungeschwefelten, aufgrund der Gärmethode "Orange Wine" genannten Göttersaft ziehen jedenfalls ihre Kreise. Mittlerweile nur noch von wenigen Familien in Kachetien hergestellte Kvevris finden ihren Weg auch zu Weinbauern in den Westen. Den jungen Russen auf dem Berg im Kaukasus ist das eher egal. Sie lassen sich dann wieder runter ins Hotel auf einen Gin Tonic fahren. (Christian Schachinger, Rondo, 4.9.2015)