Parteiwechsel mit beinahe 70 Jahren: Ursula Stenzel.

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Ihr größtes Asset war immer ihre Bekanntheit: Bei der EU-Wahl in Österreich war sie als langjährige Präsentatorin der Zeit im Bild vielen Wählern noch gut in Erinnerung. Dass sie 1996 ziemlich überraschend von der ÖVP als Spitzenkandidatin aufgestellt wurde, lohnte sich für die Volkspartei und ihren damals nicht erfolgverwöhnten Parteichef Wolfgang Schüssel – mit Stenzel an der Spitze holte die ÖVP die 29,65 Prozent der Stimmen und damit erstmals seit 1966 den ersten Platz bei einer bundesweiten Wahl.

Die "ZiB-Lady", wie sie damals tituliert wurde, erwies sich – anders als viele andere Umsteiger vom Journalismus in die Politik – auch im politischen Geschäft als sattelfest. Sie selbst führte das auf ihre Erfahrung im ORF zurück. Dort hatte sie nach abgebrochenem Publizistikstudium eine Karriere als Außenpolitikjournalistin gemacht, die ihr schließlich zu hoher Bekanntheit verhalf. Im Straßburger EU-Parlament bewährte sie sich nicht nur als Leiterin der ÖVP-Delegation, sondern auch im außenpolitischen Ausschuss.

Die Europapolitik hat allerdings den Nachteil, dass man sich in den Mitgliedsländern wenig für die Tätigkeit der Mandatare interessiert – und dass diese von den eigenen Parteien nur in Wahlkämpfen öffentlich präsentiert werden: So sah man Stenzel nur jeweils vor EU-Wahlen und bei der Werbung für die Euro-Einführung umgänglich, wenn auch immer mit einem Hauch von Unnahbarkeit mit den Wahlberechtigten plaudern.

Sie wollte aber näher an die Leute heran: 2005 wechselte die glühende Europäerin in die Wiener Kommunalpolitik und wurde mit großem Stimmengewinn Bezirksvorsteherin im ersten Wiener Gemeindebezirk, wohin sie aus der Leopoldstädter Wohnung ihres jüdischen Großvaters gezogen war. Die Abstammung von einem Rabbiner mache sie unempfindlich für Avancen der FPÖ, hatte sie früher gemeint.

Aber von ihren Wurzeln, auch den politischen, hat sich Stenzel nach und nach entfernt. In der Innenstadt wurde die ÖVP mit ihrem Aushängeschild Stenzel längst nicht mehr als bürgerlich-liberal, sondern als rechtskonservativ wahrgenommen. Was letztlich auch zum Bruch mit der Stadtpartei führte, die 2014 wissen ließ, dass sie Stenzel nicht weiter an der Bezirksspitze haben wollte. Dort hatte sich die knapp 70 Jahre alte City-Lady bei den alten, reichen und ruhebedürftigen Bewohnern beliebt gemacht – um den Preis, die Jugend zu verlieren. (Conrad Seidl, 2.9.2015)