"Wir haben die Funktion von Chronisten", befindet Kabarettist Florian Scheuba über seinen Berufsstand. "Tagespresse"-Gründer Fritz Jergitsch wünscht sich kühle Köpfe in der Flüchtlingsproblematik.

Foto: Stefan Weiss
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STANDARD: Ursula Stenzel will für die FPÖ den ersten Wiener Bezirk erobern. Was geht da den derzeit besten Satirikern des Landes durch den Kopf?

Florian Scheuba: Ich habe ja den Jergitsch ein bisserl in Verdacht, dass er dahintersteckt.

Fritz Jergitsch: Ich geb’s zu, wir haben uns überlegt, ob wir uns in einer Aussendung davon distanzieren sollen und beteuern, dass wir das nicht waren.

Scheuba: Ich hätte auch, ehrlich gesagt, mit einer eigenen Liste gerechnet. "Pro Stenzel", kurz "PROST".

STANDARD: 2015 wird als das Jahr der großen politischen Überläufer in die Geschichte eingehen. Was ist da passiert? Sind bei den Politikern alle Hemmungen gefallen?

Scheuba: Ich glaube, die Angst vor der Zukunft ist in der Politik angekommen. Weil was sollen der Herr Franz oder solche Leute, die da übergelaufen sind, sonst machen? Wie sollen die einen anderen Arbeitsplatz finden? Natürlich spielt auch der Gedanke eine Rolle, dass es alltäglich geworden ist. Der Farbwechsel ist mittlerweile kaum mehr ein Aufreger, insofern fallen da alle Hemmungen.

STANDARD: Bei allem Ärgernis: Sind so scham- und hemmungslose Politiker Voraussetzung für gute Satire?

Scheuba: Naja, das ist immer die G’schicht: Ich bin ja nicht nur Satiriker, sondern auch Staatsbürger. Und es ist wie beim Arzt, zu dem man sagt "Sind’s eh froh, dass die Leut so krank sind?". – Nur bedingt! Ich würde mich auch gern anderen Themen widmen. Ich muss nicht die ganze Zeit die Innenpolitik abgrasen. Ich sitze nicht zuhause und freue mich, wenn etwas Dummes passiert und sage: "Hurra, jetzt kann ich endlich wieder Satire machen!"

STANDARD: Aber kann Satire nicht auch Zynismus und Politikverdrossenheit ein Stück weit befördern? Weil sich der Leser denkt, es ist eh alles wurscht, ich muss nicht mehr zur Wahl gehen, ich freue mich nur mehr über die Skurrilitäten?

Scheuba: Das passiert nur dann, wenn man nicht differenziert. Wenn die Aussage der Satire ist, es sind eh alles Trotteln und Verbrecher, dann ist das das größte Geschenk, das man den wirklichen Trotteln und Verbrechern machen kann.

Jergitsch: Ich glaube nicht, dass wir Zynismus befördern. Wir rücken gewisse Zustände ins Aufmerksamkeitsfeld der Menschen. Humor macht trockene Inhalte flüssiger. Wenn dadurch Zynismus gefördert wird, ist das darauf zurückzuführen, dass wir eigentlich die kritikwürdigen Zustände sichtbarer gemacht haben.

Reaktion der "Tagespresse" auf Ursula Stenzels Überlauf zur FPÖ.
Foto: Die Tagespresse

STANDARD: Entladen Satire und Kabarett nicht auch das Empörungspotential der Leute, sodass die sich entlastet zurück in die Couch sinken lassen? Geht da nicht Handlungspotential beim Publikum verloren?

Scheuba: Das ist eine uralte Geschichte, die ich immer noch für falsch halte. Weil wir in einer Gesellschaft leben, die einen Informationsüberfluss hat. Was wir tun können, ist Dinge zu ordnen und wieder zu erinnern, die sonst untergehen. Die Sau, die durch’s Dorf gejagt wird, hat halt den Effekt, dass die anderen Schweine am Straßenrand nicht wahrgenommen werden. Und da sehe ich auch die Aufgabe. Wenn alle wegen etwas ganz aufgebracht sind, fände ich es schlecht, wenn andere Dinge ungesehen bleiben.

STANDARD: Wie viel Einfluss, glauben Sie, hat man da?

Scheuba: Ich weiß nicht, ob wir was bewegen können. Aber wenn wir Ruhe geben, weil etwas momentan nicht so aktuell ist, dann haben die schon gewonnen. Wir haben mittlerweile die Funktion von Chronisten: Wir gehen auf Fälle ein, die allgemein unwichtig erscheinen. Wir können etwas in der Wahrnehmung platzieren. Dass die Leute nicht rausgehen und eine Revolution beginnen, ist klar. Diese Illusion dürfen wir uns nicht machen. Ob ich damit irgendetwas erreiche, habe ich eh nicht im Griff. Und ich möchte mich auch nicht dadurch demotivieren lassen, wenn es gar nichts bringt.

STANDARD: Wie wichtig ist der Zeitpunkt? Die Tagespresse hat den Vorteil, dass sie täglich aktuell online stellen kann.

Jergitsch: Wir haben zwar hin und wieder auch zeitlose Artikel, aber die aktuellen Artikel laufen am besten. Mit Aktualität kann man einen Witz sehr viel besser machen, weil es die Leute gerade beschäftigt, weil sie vor einer Stunde den entsprechenden Artikel wo gelesen haben. Der Nachteil ist die Kurzlebigkeit – wir bringen fünfmal in der Woche einen Artikel und am nächsten Tag sind die oft wieder vergessen. Das ist auch der größte Unterschied zum Kabarett.

Scheuba: Genau. Die Form von Kabarett, die ich machen möchte, ist nicht darauf aufgebaut, die letzte Tagesaktualität drin vorkommen zu lassen. Es soll schon eine Geschichte erzählen, die über den Tagesgebrauch hinaus einen gewissen Wert hat.

STANDARD: Herr Jergitsch, Sie haben "Die Tagespresse" allein gegründet und arbeiten jetzt im Team, bei Herrn Scheuba war es genau umgekehrt: er begann im Team und spielte 2014 sein erstes Solo. Was ist leichter, allein oder im Team?

Jergitsch: Im Team kreativ zu arbeiten ist schon sehr schwierig, da kommt man nicht so in Fluss. Wir brainstormen zwar oft gemeinsam und lesen die Artikel des jeweils anderen, aber schreiben tun wir sie allein. Ziel ist ein Artikel pro Werktag, aber wir versuchen, nicht zu viel Druck reinzubringen. Wichtig ist, dass man Spaß hat, solange kann man auch kreativ bleiben.

Scheuba: Ich bin’s an sich im Team gewohnt und ein Teamarbeiter, das Solo ist passiert – aus dem Buch und der Lesung heraus, und auf einmal war es ein Programm. Teamarbeit ist für mich ganz private Lebensqualität – ich habe das große Glück, nur mit Leuten zu arbeiten, die ich persönlich mag. Das ist befriedigend, weil es in unserem Beruf die Grenze zwischen privat und Arbeit nicht gibt. Du kannst nicht sagen, so, jetzt hab ich ausgearbeitet – du kriegst eine Meldung irgendwo mit und im Kopf fängt es zu rattern an, was daraus werden könnte.

Jergitsch: Man macht nicht um 17 Uhr den Computer zu oder legt die Zeitung weg und das war’s. Man ist nie fertig. Wenn ich um 23 Uhr noch etwas lese, kann das eine Kette in Gang setzen, wo ich nicht mehr aufhöre, nachzudenken.

Florian Scheubas erstes Bühnensolo "Bilanz mit Frisur".
TheaterRabenhof

STANDARD: Sie stehen auch für zwei verschiedene Generationen. Hat jede Alterskohorte auch ihren eigenen Zugang zum Humor?

Jergitsch: Die Hauptdeterminante für Satireformate ist die Mediennutzung. Wenn sich die ändert, ist dem immer auch ein bisschen der Humor unterworfen. Das schafft neue Formate und entzieht anderen aber auch den Boden. Zum Beispiel gedruckten Satiremagazinen.

Scheuba: Ich glaube hingegen, dass sich das heute stark durchmischt. Das ist wie in der Popmusik. Die Tribalisierung, wenn ich das eine habe, kann ich das andere nicht haben, ist meinem Gefühl nach nicht mehr so ausgeprägt wie früher.

STANDARD: Wie stark nutzen Sie Social Media?

Scheuba: Nicht so viel, aus einem Grund: Zeitmanagement. Ich gehe nicht so locker um mit den Gleichzeitigkeiten. Wenn ich sitze und an einem Artikel schreibe und da die Versuchung ist, auf Facebook und Twitter zu schauen und dann wird mir das empfohlen und und und … die Gefahr der Verzettelung ist für mich relativ groß. Ich versuche, zu kanalisieren.

Jergitsch: Meine Kanäle sind Facebook und Twitter. Ich habe die Gefahr der Zerstreuung eigentlich nicht, ich muss mich halt auf weniger Sachen konzentrieren.

STANDARD: Haben Facebook und Co auch einen neuen Politisierungsschub gebracht?

Jergitsch: Ja, ich denke schon. Durch Social Media wird Politik für junge Leute zugänglicher, sie können mit den Politikern in Kontakt treten. Man redet auch viel mehr darüber, gewisse politische Nachrichten verbreiten sich schneller und es findet viel mehr auf Augenhöhe der jungen Leute statt.

Scheuba: Als Staatsbürger freue ich mich darüber, das ist prinzipiell ein gutes Zeichen.

STANDARD: Wie sehr verfolgen Sie beide die Arbeit des anderen?

Jergitsch: Ich habe früher immer Dorfer’s Donnerstalk gesehen und einmal haben Sie den Thomas Klestil nachgemacht mit dem Gugelhupf, das ist mir in Erinnerung geblieben. Ihre Imitationen waren für mich immer Highlights.

Scheuba: Ich krieg seine Sachen schon mit und mir fällt besonders positiv auf, dass er sein Level hält. Das ist für mich ein Qualitätsmerkmal. Es ist immer zumindest witzig und manchmal ist es großartig.

STANDARD: Was wünschen Sie sich für den politischen Herbst?

Scheuba: Enthysterisierung. Es gibt einen Satz von Paul Valéry: "Angst ist eine Degeneration der Wahrnehmung." Das Gefühl habe ich momentan in Österreich.

Jergitsch: Mit Blick auf die Flüchtlingsproblematik würde ich mir wünschen, dass der Hass ausbleibt und Hysterie durch Pragmatismus und mehr kühle Köpfe verdrängt wird. (Stefan Weiss, Michael Wurmitzer, 2.9.2015)