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"Revolution" ist ein Schlagwort, das man in der blauen Zentrale offenbar für positiv besetzt hält.

FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER

Katharina Tiwalds Userkommentar vom 27. August ("Lenin rotiert im Grab: Die FPÖ entdeckt die Oktoberrevolution") irrt in allen drei wesentlichen Punkten. Erstens im Vergleich der Oktoberrevolution mit dem Wüten des IS – Tiwald zitiert den "Welt"-Kolumnisten Hannes Stein. Zweitens in der Analyse, warum die FPÖ auf linke Symbolik zurückgreift. Und drittens in der Reduktion des "Problems FPÖ" auf eine Bildungsfrage. Eine Replik.

Den Oktoberaufstand als "äußerst blutiges" Ereignis und die Bolschewiki als eine einzige Terrorbande darzustellen ist mindestens ebenso einseitig wie die quasi religöse Umdeutung der historischen Abläufe im Hochstalinismus. Der Aufstand selbst war weder ein Geheimputsch noch ein Blutbad. Er war ein öffentliches Unterfangen – die "Prawda" berichtete vorab – mit rund einem Dutzend toter Personen.

Bolschewiki sehnten sich nach ehrenwerten Dingen

Die Bolschewiki selbst waren zu diesem Zeitpunkt eine Partei von – oft im westlichen Exil sozialisierten – Intellektuellen mit einem rasant gewachsenen Anhang in der Arbeiterschaft. Ihre zahlreichen Anhänger sehnten sich nach ehrenwerten Dingen, nämlich nach Frieden, sozialen und demokratischen Veränderungen. Die damalige Programmatik der Bolschewiki und gerade ihre ersten Reformen in den Bereichen Bildung, Kultur und Frauen wurden auch unter fortschrittlichen Kreisen im Westen positiv rezipiert. Der Vergleich mit dem IS ist hier mehrfach verfehlt und geradezu peinlich.

Differenziert sind die Reaktionen auf die Oktoberrevolution zu bewerten. Die Stärkung der europäischen Friedensbewegung gehörte hier ebenso dazu wie die Entfesselung eines mörderischen Bürgerkriegs mit zahlreichen Gräueltaten. Eine einseitige Zuschreibung damaliger Verbrechen auf das Konto der Bolschewiki hält aber umgekehrt nicht nur den historischen Tatsachen nicht stand. Sie macht auch die Interessen und Kriegsziele der Gegenseite vergessen – nämlich die Errichtung einer autoritären Rechtsdiktatur. Also etwas, das – zugegeben flapsig formuliert – viel eher den Ansätzen jener Partei entspricht, die jetzt den Begriff Oktoberrevolution für sich reklamiert.

Kapern fremder Slogans hat Tradition

Womit wir bei Irrtum Nummer zwei wären. Die FPÖ greift auf linke Symbolik nicht einfach nur zurück, um "Gutmenschen" zu provozieren und irgendwie in die Medien zu kommen. "Stra_CHE" und "Revolution" – mit oder ohne Oktober –, das sind Schlagworte, die man in der blauen Zentrale offenbar für positiv besetzt hält. (Radikale) Veränderungen wollen ja schließlich viele Menschen.

Das Kapern fremder Slogans für die eigene Propaganda hat zudem Tradition. Die Lehrmeister dieser Vorgangsweise waren beziehungsweise sind die neuartigen Rechtsbewegungen der 1920er-Jahre, die exklusiv linke Begriffe nach entsprechender Neuaufladung für sich reklamierten. Gerade der Revolutionsbegriff war – und ist – hier bereits seit Mussolini offensichtlich besonders begehrt.

Keine Frage der politischen (Un-)Bildung

Drittens ist der Aufstieg der extremen Rechten nur in beschränktem Maße eine Frage der politischen (Un-)Bildung. Zu Haider liefen Ende der 1980er-Jahre zunächst die ÖVP-Wählerinnen und -Wähler in Scharen über, und im FPÖ-Parlamentsklub sitzen zahlreiche Akademiker; wenn auch mit Schmiss. Pädagoginnen und Pädagogen, die etwas anderes glauben, überschätzen vor allem die eigenen Möglichkeiten maßlos. Unsere Bemühungen sind wichtig und wertvoll, aber gegenüber dem FPÖ-Werbeetat, ihrer perfiden Propaganda und nicht zuletzt den Beschwichtigern und Kollaborateuren aus den anderen Lagern oft auch ohnmächtig. Zumindest solange es nicht (auch) gelingt, der FPÖ echte Gegenbewegungen auf der politischen Ebene entgegenzusetzen. (John Evers, 2.9.2015)