Die Grenze zwischen Weißrussland und Russland ist prinzipiell offen. Passkontrollen sind also trotz Visumpflicht für österreichische Staatsbürger nicht an der Tagesordnung. Trotzdem waren wir etwas nervös, als wir uns der vermeintlichen Grenze näherten.

Denn bei unserem Visum für Weißrussland wurde ein Tag gekürzt, weshalb sich die Einreiseerlaubnis der beiden Länder dummerweise nicht überschnitten hat. Unser Glück wollten wir trotzdem einen Tag vor Gültigkeit des russischen Visums versuchen – und wir wurden nicht enttäuscht. Mit den russischen Grenzbeamten verständigten wir uns per Google Translate auf deren iPad. Die Grenzbeamten, die lediglich zur Transportkontrolle dort waren, winkten uns schließlich lachend durch – und schon waren wir in Russland.

Willkommen in Russland!

Foto: Stefan Jahrmann

Positiv eingestimmt auf das Land hat uns ein russischer Autofahrer. Ins Gespräch kommen wir ein paar Kilometer vor der Grenze. Er ist sehr interessiert an unserer Reise, radelt selbst gerne und drückt uns dann tatsächlich 2.000 Rubel (etwa 27 Euro) in die Hand mit dem Hinweis, wir sollten damit gut essen gehen. Dieser nette Herr hat wohl auch die Grenzbeamten über unser Kommen informiert.

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Die Suche nach Plätzen zum Campen ist in Russland etwas schwieriger als in Weißrussland, denn auch an den entlegensten Orten – etwa neben einem verlassenen Stall – kommt zumindest hin und wieder jemand vorbei. Zu unserem Glück sind wir den Leuten dennoch größtenteils egal.

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Sogar die russischen Bushütten sind patriotisch.

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Eine Szenerie in Brjansk: Plattenbau, Kampfjet-Denkmal und ein blauer Lada im Vordergrund.

Russische Städte scheinen sehr weitläufig zu sein. Das fällt uns bei der ersten großen Stadt, die wir durchqueren, auf. Etwa zehn Kilometer vor dem offiziellen Stadtanfang nimmt der Verkehr enorm zu, und als Radfahrer fühlen wir uns teilweise nicht mehr so sicher. In Österreich wäre Brjansk mit etwa 415.000 Einwohnern immerhin die zweitgrößte Stadt des Landes, in Russland laut Wikipedia lediglich Platz 41.

Foto: Stefan Jahrmann

Nachdem es in Weißrussland kaum Lokale gegeben hat, finden wir in Russland unser Paradies. Denn Cafés und Restaurants gibt es hier genügend, und auch das Essen hat hier recht gut geschmeckt. Die Portionen sind zwar nicht sehr groß, dafür kann man aus vielen Köstlichkeiten auswählen.

Foto: Stefan Jahrmann

Bei Sonnenschein und recht hohen Temperaturen haben wir uns auf den Weg nach Orel gemacht. Als wir dort in einem Café pausieren – unsere Fahrräder stehen vor der Tür –, kommt ein russischer Fahrradfahrer hereingelaufen. Er meint, die Räder könnten wir doch nicht einfach so draußen auf der Straße stehen lassen. Das sei viel zu unsicher: "This is not Europe!"

Foto: Stefan Jahrmann

Legebatterie einmal anders. Wenn die Russen, auf die wir treffen, auch ein bisschen Englisch können, entstehen recht lustige Gespräche. Etwa kurz vor Woronesch. In der ärgsten Mittagshitze plaudert Stefan mit einigen Männern, die an einer Kreuzung Hühner und deren Eier verkaufen – direkt aus dem Auto. Einer der Männer kommentiert: "Crazy Russians, right?"

Foto: Stefan Jahrmann

Nicht nur uns ist heiß in der Mittagshitze!

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Bronzestatuen scheinen sehr beliebt zu sein in Moskau.

Foto: Stefan Jahrmann

Auf geht's zum Kreml! In Russland hatten wir abermals etwas zu viel Zeit eingeplant. Deshalb nehmen wir den Zug von Woronesch nach Moskau – eine Distanz wie zwischen Wien und Innsbruck.

Moskau selbst hat uns, zumindest innerhalb der Ringlinie der Metro, sehr gut gefallen. Ohne unsere Räder haben wir das Gefühl, normale Touristen zu sein. Lustigerweise treffen wir bei einer Gratis-Stadttour andere Radreisende – die ersten auf unserer Reise. Stefan und Magdalena radelten von Bayern nach St. Petersburg, und von dort nahmen sie auch den Zug nach Moskau.

Foto: Stefan Jahrmann

Die Wachablöse vor dem Kreml.

Foto: Stefan Jahrmann

Hier noch ein Blick auf die Christ-Erlöser-Kathedrale im abendlichen Sonnenschein.

Zurück in Woronesch hätten wir uns eigentlich wieder auf unsere Räder gefreut – wenn nicht das Wetter gewesen wäre. Denn inzwischen hat es deutlich abgekühlt und viel geregnet. Die riesigen Schlaglöcher in der Stadt haben sich in garstige Regenwasserpools verwandelt. Bei jedem Meter müssen wir aufpassen, nicht in ein zu tiefes Loch zu fahren oder von den vorbeirasenden Autos von oben bis unten vollgespritzt zu werden.

Und es scheint so, als ob an diesem Samstag alle Russen aus dem Norden unterwegs in ihren Urlaub nach Sotschi sind. Der Stau erschwert auch unser Vorankommen. Grantig beschließen wir deshalb – nach nur 14 Kilometern –, ein Hotelzimmer zu nehmen und zu hoffen, dass der nächste Tag besser wird.

Foto: Stefan Jahrmann

Und so ist es auch. Nur ist es nach wie vor stark bewölkt – auf den Feldern steht aufgrund des tagelangen Regens das Wasser. An Campen ist daher nicht zu denken. Im Ort Anna logieren wir dafür in einer Unterkunft im Sowjet-Stil – und mit Internet!

Der Tag darauf hält wiederum einige Enttäuschungen bereit. Immer wieder regnet es – wir sind bis auf die Haut nass. Da es tagsüber recht warm ist, ist das zuerst nicht so schlimm. Doch gegen Abend zieht ein Gewitter auf, und gegen 18 Uhr, noch einige Kilometer von unserem Tagesziel Borisogleb entfernt, haben wir den ersten Patschen unserer Reise.

Foto: Stefan Jahrmann

In einer dreckigen Wasserlacke – wie praktisch – können wir das Loch im Hinterrad eruieren und flicken. Und weiter geht es im Regen. Etwa 15 Kilometer vor Borisogleb finden wir ein Motel mit Restaurant und Partymusik. Völlig durchnässt und zitternd vor Kälte mieten wir uns glücklich ein.

Foto: Stefan Jahrmann

Am darauffolgenden Tag: endlich Sonnenschein, eine schöne Straße und Rückenwind.

Beim Frühstück stellen wir – wieder einmal – fest, dass russische Speisekarten lediglich eine Richtlinie sind und nicht bedeuten müssen, dass es die Gerichte tatsächlich gibt. "Blini?" – "Nieto!" – "Cheesecake?" – "Nieto!" Okay, dann einfach einen Apfelstrudel mit tausend Rosinen und Nüssen, bitte ...

Am Abend in Balaschow finden wir beinahe keine leistbare Unterkunft. Nur eine extrem hässliche und eine sehr teure. Als wir gerade den ganzen Ort verfluchen wollen, werden wir vor einem Geschäft von einem russischen Pärchen lachend willkommen geheißen und von einem anderen jungen Russen persönlich zu einem brandneuen und supergünstigen Hotel geleitet. So schnell kann sich die Stimmung ändern!

Foto: Stefan Jahrmann

Auch zu unserer letzten Unterkunft vor Saratow werden wir persönlich gebracht: von einem Beamten, der die Besitzerin sogar für uns angerufen hat. Es gibt dort lediglich ein weiteres Zimmer, und an dessen Tür wird mitten in Nacht plötzlich heftigst geklopft und auf Russisch geschimpft – zumindest klingt es für uns so. Also keine erholsame Nacht.

Saratow ist eine riesige Stadt. Vom Stadtanfang bis zu unserem Hotel sind es etwa 20 Kilometer, in denen das Wetter etwa achtmal wechselt. Die Aussicht auf die Wolga ist dafür unglaublich – welch mächtiger Fluss!

Hier in Saratow legen wir unsere letzte Pause vor Kasachstan ein, so unser Plan. Doch am dritten Tag werden wir mehr oder weniger aus unserem Hotel geworfen. Das Personal hat Probleme mit der Registrierung – jeder Tourist muss sich zumindest einmal während des Aufenthalts in Russland registrieren. Es heißt, man würde Gefahr laufen, eine Strafe zu kassieren, wenn wir noch länger bleiben. Bisher hatten wir mit der Registrierung noch keinerlei Probleme, deshalb sind wir auch ziemlich wütend, dass die Hotelbediensteten uns in keiner Weise weiterhelfen wollen. Zum Glück finden wir eine kleinere Unterkunft mit netteren Leuten und in besserer Lage.

Foto: Stefan Jahrmann

Als wir die Wolga und die Stadt Engels, die am gegenüberliegenden Ufer liegt, queren, ändert sich die Landschaft. Ist sie bisher der mitteleuropäischen noch sehr ähnlich gewesen, mit viel Grün und einigen Hügeln, so wird sie nun sehr trocken und flach. Lustigerweise haben wir gleich unseren nächsten Patschen, dieses Mal an meinem Hinterreifen.

Foto: Stefan Jahrmann

Danach finden wir ein Plätzchen zum Campen, das uns die wohl leiseste Nacht unseres Lebens beschert. Kein Wind, kein Regen, keine Autos, keine Grillen oder sonstigen Insekten – einfach nichts als ein klarer Sternenhimmel über uns.

Foto: Stefan Jahrmann

Dank der flachen Landschaft können wir des Öfteren herrliche Sonnenuntergänge beobachten.

Foto: Stefan Jahrmann

Je näher wir der Grenze zu Kasachstan kommen, umso schlechter scheinen die Straßenverhältnisse zu werden. Als wir im prallen Sonnenschein dahinholpern, werden wir plötzlich von Leuten angehalten.

Es sind ein paar Kasachen, darunter Wiktor und Jana, die in Uralsk, der ersten großen kasachischen Stadt nach der Grenze, wohnen. Sie reichen uns gleich "Butjerbrod" (belegte Brötchen), heißen Tee und Gurken und laden uns ein, doch am nächsten Tag bei ihnen vorbeizuschauen. Eine verlockende Einladung, deshalb treten wir ordentlich in die Pedale!

Foto: Stefan Jahrmann

Bei der Ausreise gibt es übrigens – Stichwort Registrierung – keine Probleme. Die Grenzbeamten drücken den Ausreisestempel in den Pass, und schon geht es in das neuntgrößte Land der Welt – Kasachstan.

Gute Nacht und auf Wiedersehen, Russland! (Alexandra Zöchner, Stefan Jahrmann, 17.9.2015)


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