In Bernhard Aichners "Totenhaus" spielt die abgebildete Ausstellung "Körperwelten" eine wichtige Rolle.

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Der Tiroler Autor Bernhard Aichner.

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Wien – Das ist die Eine-Million-Euro-Frage: Wie schreibt man einen Krimi oder Thriller mit Peng-Peng, Szenen mit Taschenlampen und Leichen im Keller? Achtung, Sex und etwas Romantik in einer Mischung aus Hedwig Courths-Mahler, Brigitte und Youporn sollte auch dabei sein.

Man kann es nicht oft genug sagen: Das Genre ist gut durchdekliniert. Wenn man nicht gerade die zündenden Ideen hat, den Yeti zum Ermittler in einem Mordfall im Sherpa-Milieu zu machen oder Hansi Hinterseer einer scheinbaren Suizidserie backstage bei der Stadlshow nachgehen zu lassen, wird es seit Jahren eng.

Neben einem ausgefeilten Plot, der einen erstens nicht sofort an US-Underdog-Klassiker oder ein Lachverbot bei den skandinavischen Einschichtmördern denken lässt, muss man also eines schaffen. Man muss einen Protagonisten finden, der sich von den tausenden anderen bereits auf Bücherflohmärkten existierenden abhebt. Einzelhandel gut und schön, ein Serienkiller schreit nach Buchhandelsketten. Kein Verlag dieser Welt bucht mögliche Bestseller auf Verdacht. Der Autor entwirft am Reißbrett, der Verlag analysiert den Markt.

Der 43-jährige Innsbrucker Autor und Werbefotograf Bernhard Aichner hat dies fast geschafft. Offenbar existierten in der Thrillerwelt bis 2014, als sein internationales Debüt Totenfrau erschien, nur drei andere Totengräber, allesamt aber männlich.

Eine Totengräberin, die in einem erwachsenen Befreiungsschlag ihre herzlosen, sadistischen Adoptiveltern ermordet, dann den Familienbetrieb übernimmt, mit dem gegen sie ermittelnden Beamten Kinder zeugt und den Lebensbund eingeht, bis dieser von bösen Männern ermordet wird – worauf die Totenfrau ziemlich sauer und zur rächenden Serienmörderin wird ... Uff, das ist relativ neu. Noch dazu ist der Großteil der Handlung im bisher kriminalliterarisch nicht weiter aufgefallenen Innsbruck angesiedelt. Für Kenner der Stadt kommt es natürlich nicht ganz unerwartet, dass dort jemand nicht länger schwarz-, sondern rotsieht. Und auch in den Hotelbunkern in Kitzbühel oder im Münchner Nobelviertel lässt es sich gut morden.

Rache, Mord und Family

Für den US-Markt (man munkelt in Literaturagentenkreisen gar von einer möglichen TV-Serie) wäre möglicherweise ja "Frau Blücher" oder "Eva Braun" besser gewesen, aber die interessantistisch "Brünhilde Blum" benamste Bestatterin beerdigt ihre Opfer teilweise, also tatsächlich in Teilen gemeinsam mit legalen Toten in sogenannten Kuckuckssärgen. Die bösen Männer sind weg. Spurlos.

Alles geht in Totenfrau gut, bis jetzt zu Beginn von Totenhaus einiges blöd hergeht. Während Brünhilde Blum das Leben mit ihrer Patchworkfamilie, zwei Töchtern, Bestattungs- und Mordgehilfe Reza und ihrem Schwiegervater genießt, wird im Rahmen eines Erbschaftsstreits einer der doppelt belegten Särge exhumiert. Natürlich gerät Brünhilde in Verdacht. Sie muss flüchten. Herzergreifende Abschiedsszenen nahe am Wasser folgen. Atemlos geht es auf dem Motorrad und im kurzatmigen sprachlichen Duktus des Pageturner-Handbuchs durch die Nacht. Ratatat. Ratatat. Vorsicht, ausweichen, ein Beistrich oder reflexive Verben bergen Gefahr! Die Satzellipsen, sie leben hoch! Bernhard Aichner ist der Holzschnitzer des Todes.

Schnell, schnell: Die Bestatterin findet in einer Ausstellung plastinierter und bizarr angeordneter menschlicher Körper einen, der ihr zum Verwechseln ähnlich sieht. Gunther von Hagens Körperwelten lassen grüßen. Adoptivkind Blum hat außer Flüchten und – philosophisch nicht uninteressant – Mit-dem-eigenen-Tod-Konfrontiert-Werden ohnehin nichts Besseres zu tun. So führt ihr Weg auf der Suche nach dem Vorleben ihrer eventuellen Zwillingsschwester streng nach Bauplan schließlich in ein vom Horrorklassiker Shining adaptiertes verlassenes Hotel. Dort geht das Böse um. We are Family!

"Dieses Haus, das sie anzog wie eine fleischfressende Pflanze, es war wie eine Wunde, in die Blum kopfüber hineinflog. Wie eine Fliege (...) es war der Himmel irgendwie."

Bernhard Aichner verkaufte als so grob wie kalkuliert vorgehender Autor von Totenfrau irgendwie 100.000 Stück. Sie wurde in bisher neun Länder lizenziert. Totenhaus wird daran anschließen. Leider ist nicht nur das, sondern die ganze Handlung vorhersehbar. (Christian Schachinger, 3.9.2015)