Franz Josef Strauß: volks- und machtverbunden – sei es mit dem Industriellen Friedrich Karl Flick und Münchens Oberbürgermeister Erich Kiesl (1985), ...

Foto: imago stock&people

... sei es auf seiner BMW.

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STANDARD: Die CSU feiert dieser Tage recht intensiv den 100. Geburtstag von Franz Josef Strauß. Vor einigen Jahren noch war sie eher auf Distanz zu ihm. Warum gibt es jetzt dieses Revival?

Möller: Ein 100. Geburtstag bietet sich natürlich für die Rückschau an. Darüber hinaus ist Strauß in einer Zeit, in der es zwischen den großen Parteien nur noch wenige Unterscheidungsmerkmale und in den Parteien kaum prägnante Personen gibt, eine prägende Identifikationsfigur. Er ragt mit seiner urwüchsigen, farbigen und starken Persönlichkeit wie ein Monument aus anderer Zeit in die Gegenwart. In der heutigen Politik wäre eine so ausgeprägte Individualität fast schon anstößig. Heute geht es schon von Beginn an um Konsens. Strauß hingegen war der Meinung: Zuerst Kontroverse, den Konsens suchen wir später.

STANDARD: Überdeckt die Erinnerung an die Persönlichkeit heute seine politischen Leistungen?

Möller: In Bayern weiß man schon, dass die Entwicklung Bayerns vom Agrar- zum Hightechland zwar von seinen Vorgängern eingefädelt, dann aber von Strauß stark forciert wurde. Er förderte die Ansiedlung der Flugindustrie in Bayern, auch den Ausbau des Münchner Flughafens, an dem heute 35.000 Menschen arbeiten.

STANDARD: Strauß war viermal Bundesminister. Was blieb davon?

Möller: Als Verteidigungsminister baute er die Bundeswehr auf. Das war in der damaligen Zeit des Kalten Krieges schon eine Leistung. Und als Finanzminister schuf er mit Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) in der großen Koalition das Fundament für eine umfangreiche Finanzverfassung. Strauß war es auch, der im Jahr 1969 für 45 Jahre den letzten ausgeglichenen Haushalt vorlegte. Unter Strauß hat die CSU im Bund auch noch eine Rolle gespielt, das ist ja heute nicht mehr der Fall.

STANDARD: Warum erinnert man sich hauptsächlich an seine grobe und polternde Seite?

Möller: Wegen der Fernsehbilder. Strauß war hochintelligent und gebildet. Er konnte über Stunden konzentriert und überzeugend sprechen. Aber gezeigt wurde das, was die Leute faszinierte oder eben abstieß: das Schwitzende und das Schimpfende. Aber klar, dieser Teil gehört auch zu Strauß.

STANDARD: So wie die Skandale.

Möller: Wenn man diese genauer betrachtet, dann bleibt bei keinem ein juristisch haltbarer Vorwurf im Sinne von Korruption übrig. Aber natürlich war vieles nach heutigem Stilempfinden angreifbar – etwa, dass er die Privatmaschinen befreundeter Unternehmer nutzte. Ämter und Privatleben allerdings waren früher nicht so strikt getrennt wie heute.

STANDARD: Strauß hat es nicht ins Kanzleramt geschafft. Sah er das selbst als Makel?

Möller: Er trat 1980 als erster CSU-Kandidat an, forderte den damaligen Amtsinhaber Helmut Schmidt (SPD) heraus und unterlag. Darüber war er sehr frustriert, und er hat mit dieser Niederlage sicher nie seinen Frieden gemacht. Er wäre auch noch gerne Außenminister geworden, aber das schaffte er auch nicht, weil unter Helmut Kohl die FDP den ersten Zugriff auf dieses Amt hatte.

STANDARD: Apropos Kohl: Strauß und der CDU-Mann mochten sich nicht. Sie haben als erster Historiker den Briefwechsel der beiden auswerten können. Muss die Geschichte umgeschrieben werden?

Möller: Nein, das nicht. Strauß hat Kohl 1976, als CDU und CSU in Opposition waren, zwar in der berühmten "Wienerwald-Rede" (gehalten in einem Wienerwald-Lokal in München, Anm.) als "total unfähig" beschimpft und unterstellt, Kohl fehlten "die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen" fürs Kanzleramt. Aber später, als Kohl Bundeskanzler war, hatten die beiden doch eine ordentliche Arbeitsbeziehung. Sie schrieben sich lange Briefe und klärten viele Probleme beim Wandern.

STANDARD: Es muss Strauß gewurmt haben, als Kohl 1982 ins Kanzleramt einzog.

Möller: Das hat es. Kohl war 15 Jahre jünger und Strauß eigentlich der Meinung, er sei dran. Aber Kohl war nicht zu unterschätzen. Schon 1976 hat Strauß einen schweren Fehler gemacht, der CDU aus Unzufriedenheit über deren Arbeit in der Opposition die Fraktionsgemeinschaft im Bundestag aufgekündigt und erklärt, die CSU werde bei der Wahl in ganz Deutschland antreten. Das war mangelhaft durchdacht und unkalkuliert.

STANDARD: Kohl drohte im Gegenzug mit "Einmarsch" der CDU in Bayern.

Möller: Das hätte die CSU mindestens ein Drittel der Mandate gekostet. Damit war die Sache auch erledigt, CDU und CSU blieben zusammen. Strauß steckte in der Sackgasse. Und dennoch gelang es ihm, noch ein paar Zugeständnisse für die CSU-Landesgruppe im Bundestag herauszuholen. (Birgit Baumann, 4.9.2015)